Will eine Frau Mutter werden, bekommt sie meist viele ärztliche Empfehlungen – nicht aber ihr Mann. Dabei spielt der Gesundheitszustand des Vaters schon vor der Zeugung eine Rolle. Wie wichtig dabei die Ernährung ist, lest ihr hier.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
„Dicke Eltern, dicke Kinder“ – diese grob klingende Sentenz würdigt nicht hinreichend die Verzweiflung vieler liebender übergewichtiger Eltern. Aber es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass neben genetischer Veranlagung – über deren alleinige Einflussstärke kaum verlässliche Zahlen vorliegen – sowie prägende Ernährungsgewohnheiten im Elternhaus auch epigenetische Mechanismen eine große Rolle für Körperproportionen und Fettverteilung des Nachwuchses spielen. Bis dato sind einige hundert Genloci identifiziert, die mit der Fettverteilung, Gewichtsentwicklung und dem Diabetesrisiko in Verbindung stehen. Die phänotypische Ausprägung wird dabei maßgebend von der Stärke der Expression dieser Gene bestimmt, die über lebensstilabhängige epigenetische Regulationsmechanismen gesteuert wird.
Als besonders sensibel im Hinblick auf das Lebenszeitrisiko für die Entwicklung von Adipositas und konsekutiven Erkrankungen der metabolischen, kardiovaskulären und onkologischen Formenkreise haben sich die Phasen der Organreifung erwiesen. Damit werden bereits vor der Still- und frühkindlichen Entwicklungsphase in utero entscheidende Weichen gestellt. Dass es dabei nicht allein um die direkte, vom Ernährungszustand der Schwangeren abhängige Nährstoffwirkungen geht, hat die epigenetische Forschung in den vergangenen zwei Dekaden aufgedeckt. So werden bereits bei der Verschmelzung vom Oozyte und Spermium epigenetische Schalterstellungen beider Elternteile in die Zygote übertragen, die dem Föten vom Moment seiner Entstehung an einen Schaltplan seiner Gene (Epigenom) mit auf den Lebensweg gibt.
Wenngleich diese Genregulationsmuster grundsätzlich über die eigene Lebensweise beinflussbar sind, weisen sie doch eine hohe Stabilität auf, welche die Umprogrammierung der eigenen „Gensoftware“ zu einem langwierigen Unterfangen macht. Vor diesem Hintergrund entscheiden bereits die elterlichen Lebensweisen vor der erfolgreichen Vereinigung mit darüber, welchen epigenetischen Rucksack der neue Erdenbürger mit auf seinen Lebensweg bekommt.
Epigenetik subsumiert all jene zellulären Mechanismen, die ohne Veränderung der DNA-Sequenz die Expression von Genen modulieren. Bislang hat die Forschung drei genregulatorische Hauptwege identifiziert, die entweder die Ablese-/Transkriptionsrate (1. + 2.) oder die ribosomale Proteinsynthese-/Translationsrate (3.) verändern:
Epigenomweite Assoziationsstudien haben gezeigt, dass Adipositas und Typ-2-Diabetes mit charakteristischen Veränderungen im Methylierungsmuster von rund 200 Genorten korrelieren. Signifikante Modifikationen betreffen besonders Gene, die für den Fettstoffwechsel, den Nährstofftransport, aber auch für die Entzündungsregulation relevant sind.
Die Vorstellung, dass allein Frauen mit ihrer Lebensweise während der Schwangerschaft das Wohlergehen ihrer Kinder prägen und die zeugenden Männer „fein raus“ sind, ist durch den epigenetischen Erkenntnisgewinn nicht mehr zu halten. Demnach hinterlässt die Lebensweise beider Elternteile bereits vor Eintritt der Schwangerschaft epigenetische Spuren nicht nur in den Köper-, sondern auch in den Keimzellen, aus denen das neue Leben erwächst.
Erste Hinweise auf die Bedeutung der präkonzeptionellen väterlichen Ernährung für gesundheitsrelevante epigenetische Prägungen des Nachwuchses haben tierexperimentelle Studien geliefert. Um den zugrundeliegenden Mechanismen auf die Spur zu kommen, ist zuletzt ein in Spermien enthaltener Pool von kurzen, umweltsensiblen, nicht-proteinkodierenden RNAs in den Forschungsfokus der Epigenetik geraten. Die mögliche Bedeutung dieser sncRNAs (small non coding) für generationsübergreifend wirksame genregulatorische Mechanismen (RNA-Interferenz) hat sich in einer Reihe von Arbeiten seit etwa 2015 herauskristallisiert. Demnach beeinflusst womöglich das vom individuellen Lebensstil abhängige sncRNA-Spektrum im Spermium von dem Moment der Zeugung an die fötale und postnatale Entwicklung des Kindes.
Argumente für eine Epigenom-verändernde Umweltsensibilität der männlichen Spermien mit Folgen für den gezeugten Nachwuchs haben bereits Ly et al. 2015 geliefert. Offen aber blieb die Frage nach den greifenden epigenetischen Mechanismen sowie die Ungewissheit, in welcher Phase ihrer Bildung im Hoden und Reifung im Nebenhoden das Spermien-Epigenom direkt auf Umweltreize reagiert. Eine im Juni 2024 publizierte Studie der Forschungsgruppe „Umwelt-Epigenetik“ am Helmholtz-Zentrum München liefert nun Hinweise, dass die von Männern mit Kinderwunsch bereits vor der Zeugung praktizierte Ernährungsweise sowie ihr davon abhängender (Über-)Gewichtsstatus über einen zuvor nicht bekannten epigenetischen Mechanismus Einfluss auf die Gewichts-/Fettverteilungsentwicklung ihrer Kinder nehmen: Über mitochondriale DNA (mtDNA).
Bis vor wenigen Jahren galt die Lehrmeinung, dass die mtDNA ausschließlich über die mütterliche Keimbahn an den Nachwuchs übertragen wird. Da bei der Befruchtung in der Regel nur der Kern und damit nur die Kern-DNA des Spermiums mit der Oozyte verschmilzt, sollte die mtDNA eines jedes Menschen nur aus der mütterlichen Eizelle stammen. 2018 geriet das „Dogma“ der ausschließlich über die mütterliche Keimbahn erfolgenden mtDNA-Weitergabe durch generationsübergreifende mtDNA-Sequenzanalysen mehrerer Familien ins Wanken. Luo et al. wiesen nach, dass neben maternaler auch paternale mtDNA an die Nachkommen weitergegeben wird.
Die Studie auf einen Blick
Die eindrückliche Empfehlung für werdende Mütter, während der Schwangerschaft nicht zu rauchen, auf Alkohol zu verzichten sowie nährstoffreich, aber „nicht für zwei“ zu essen, ist wichtig, aber nicht hinreichend. Die präkonzeptionellen Lebensweisen beider Elternteile hinterlassen bereits stabile Spuren in den Epigenomen von Oozyten und Spermien, was den Nachwuchs vom Moment der Zeugung an nachhaltig prägt und seine gesundheitliche Entwicklung beeinflusst.
Die vielfältigen Mechanismen, über welche die individuelle Lebensweise die Expressionsmuster unserer Gene beeinflusst, beginnen wir gerade erst in Ansätzen zu verstehen. Neben chemischen Anhängseln an die DNA und ihre Verpackungsproteine scheinen kurze RNA-Moleküle, die aus dem großen Pool nicht proteinkodierender DNA – früher abschätzig zur „Junk-DNA“ degradiert – transkribiert werden, maßgeblich in die umweltsensible Modulation der Genexpression (Translationskontrolle) involviert zu sein. Das gilt den neuen Befunden zufolge für die nukleare wie für die mitochondriale DNA.
„Mater semper certa“– (nur) die Mutter ist gewiss, lautet ein antiker juristischer Grundsatz. Heute lässt sich nicht nur eine Vaterschaft sicher nachweisen, es verdichtet sich auch die Gewissheit, dass die Väter mit ihrer Lebensweise vor der Zeugung das Epigenom jener Spermien prägen, die sie ihren Kindern mit auch den Lebensweg geben.
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