Was ist die beste Therapie bei spontaner Hirnblutung? Und welches Medikament sollten MS-Patienten nach Natalizumab-Stopp bekommen? Die Antworten erfahrt ihr hier.
MS-Therapie nach Natalizumab-Stopp: Ocrelizumab wirksamer als Fingolimod und Dimethylfumarat
Hintergrund: Natalizumab ist ein monoklonaler Antikörper, der gegen α4-Integrin gerichtet ist. Integrine sind Oberflächenproteine auf Leukozyten, mit denen diese an Endothelzellen in der Wand von Blutgefäßen andocken, um in das Gewebe einzuwandern. Durch die Therapie mit Natalizumab wird bei der multiplen Sklerose (MS) verhindert, dass Entzündungszellen in das zentrale Nervensystem einwandern. Natalizumab ist eine effektive Therapie bei der schubförmigen MS. Ein Problem der Therapie ist das seltene Auftreten einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML), einer schweren Infektion des Gehirns mit dem JC-Virus. Das Risiko für die Entwicklung einer PML steigt mit einer zunehmenden Therapiedauer unter Natalizumab an. Besonders gefährdet sind Patienten mit serologischem JCV-Antikörpernachweis und hohem Antikörperindex.
Aufgrund des PML-Risikos muss Natalizumab häufig im Krankheitsverlauf beendet und auf eine andere Schubprophylaxe umgestellt werden. Die Patienten sind besonders gefährdet, weitere MS-Schübe zu erleiden, da Natalizumab in der Regel bei einer hohen Krankheitsaktivität angewandt wird, die Patienten haben also intrinsisch ein hohes Risiko für neue Schübe. Außerdem gibt es nach Absetzen von Natalizumab ein Rebound-Phänomen mit Auftreten einer erhöhten Krankheitsaktivität nach Beendigung der Therapie. Die Frage, welches Medikament nach der Beendigung von Natalizumab das richtige ist, hat folglich eine hohe Relevanz. Zur Unterstützung der Therapieentscheidung erschien jetzt eine Studie in JAMA Neurology.
Studiendesign: In die Beobachtungsstudie wurden 1.386 Patienten aus dem MSBase-Register eingeschlossen, die nach Beendigung von Natalizumab auf Dimethylfumarat, Fingolimod oder Ocrelizumab eingestellt wurden. Primäre Endpunkte waren die jährliche Schubrate (Annualized Relapse Rate ARR) und die Zeit bis zum nächsten Schub. Als sekundäre Endpunkte wurden eine bestätigte Behinderungsprogression (Zunahme im EDSS; Expanded Disability Status Scale), eine Verbesserung im EDSS und die Zeit bis zum Therapie-Abbruch gewählt. Die Ergebnisse wurden für Unterschiede in den Behandlungsgruppen statistisch korrigiert.
Ergebnisse: Die ARR für Patienten, die mit Ocrelizumab behandelt wurden, war 0,06, für Fingolimod 0,26 und für Dimethylfumarat 0,27. Der Unterschied zwischen Ocrelizumab und den beiden anderen untersuchten Substanzen war dabei signifikant. Ähnlich verhielt es sich mit der Zeit bis zum nächsten Schub. Das Risiko für den nächsten Schub war für Fingolimod und Dimethylfumarat gegenüber Ocrelizumab ca. 4-fach erhöht. Da die Gruppe der Patienten, die Dimethylfumarat erhielt, relativ klein war, konnten die sekundären Endpunkte nur für Ocrelizumab und Fingolimod untersucht werden. Bei Fingolimod ergab sich ein um 49 % erhöhtes Risiko für eine Behinderungsprogression im Vergleich zu Ocrelizumab. Die Häufigkeit einer Abnahme der Behinderung unterschied sich nicht signifikant. Die Behandlung wurde außerdem bei Fingolimod und Dimethylfumarat häufiger abgebrochen, als bei Ocrelizumab. Einziger Punkt, der zum Teil gegen Ocrelizumab sprechen könnte, waren die Gründe für einen Therapieabbruch. Während der am häufigsten genannte Grund für einen Therapieabbruch bei Fingolimod und Dimethylfumarat eine fehlende Wirksamkeit war, waren dies für Ocrelizumab unerwünschte Wirkungen.
Beurteilung: Dass Ocrelizumab eine effektivere Therapie als Fingolimod und Dimethylfumarat hinsichtlich der Verringerung der ARR und anderer Parameter ist, ist bekannt. Dass dies auch bei Patienten nach Natalizumab-Therapie, bei denen es sich um ein Hochrisiko-Kollektiv für hohe Krankheitsaktivität handelt, war zu erwarten. Trotzdem ergibt sich durch die Studie eine breitere wissenschaftliche Basis für die Entscheidung, welches Medikament nach Natalizumab gewählt werden sollte. Im klinischen Alltag wird offensichtlich schon danach gehandelt. So beschreiben die Autoren, dass die Anzahl der Patienten, die nach Natalizumab auf Fingolimod und Dimethylfumarat eingestellt wurden, ab 2018 zugunsten von Ocrelizumab stark abnahm. Es handelt sich um eine Beobachtungsstudie mit Daten von MSBase. Randomisierte kontrollierte Studien zum Vergleich verschiedener MS-Therapeutika sind leider weiter rar.
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Tirofiban verbessert Outcome für Patienten mit ischämischem Schlaganfall ohne Großgefäß-Verschluss
Hintergrund: Beim akuten ischämischen Schlaganfall sind intravenöse Thrombolyse und Thrombektomie wirksame Therapieoptionen. Bei vielen Patienten können diese Therapien aber nicht angewandt werden. Die intravenöse Thrombolyse ist nur in einem engen Zeitfenster nach Symptombeginn wirksam (i.d.R. 4,5 h), die Thrombektomie kann nur bei einem erreichbaren Gefäßverschluss einer mittleren bis großen Arterie erfolgen. Patienten, bei denen die genannten Therapien nicht anwendbar sind, werden mit Thrombozytenaggregations-Hemmern wie ASS behandelt, dies hat eine geringe Effektstärke. Viele Patienten, die eine intravenöse Thrombolyse erhalten, zeigen auch unter der Therapie keine Besserung ihrer Schlaganfall-Symptome. Für diese Patienten fehlen wirksame Therapieoptionen. Inhibitoren des Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptors, die die Thrombozytenfunktion über einen anderen Signalweg als ASS hemmen, werden in der Behandlung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom mit Erfolg eingesetzt. In der Therapie des akuten ischämischen Schlaganfalls wurde ihr Nutzen bislang nicht ausreichend untersucht. Im New England Journal of Medicine erschien hierzu eine Studie.
Studiendesign: In die randomisierte, doppel-verblindete, multizentrische Studie aus China wurden 1.177 Patienten mit einem akuten ischämischen Schlaganfall eingeschlossen. Einschlusskriterien waren ein NIHSS (National Institutes of Health Stroke Scale) von ≥ 5 und eine mindestens mittelgradige Parese in mindestens einer Extremität. Ausgeschlossen wurden Patienten mit einem Großgefäßverschluss und mit einer angenommenen kardio-embolischen Schlaganfallursache. Bei den Patienten musste zudem eine der folgenden vier Situationen vorliegen:
Die nach den genannten Kriterien eingeschlossenen Patienten wurden in zwei Gruppen randomisiert. Die Interventionsgruppe erhielt eine Tirofiban-Infusion über 2 Tage. Die Kontrollgruppe erhielt in der selben Zeit 100 mg ASS täglich. Im Anschluss erhielten beiden Gruppen ASS 100 mg täglich. Die Patienten wurden nach 90 Tagen untersucht. Primärer Endpunkt war ein exzellentes funktionelles Ergebnis (modified Rankin Scale mRS 0–1). Sekundäre Endpunkte u. a. der Grad der Behinderung und eine funktionelle Unabhängigkeit. Sicherheitsendpunkte waren Tod jeglicher Ursache und symptomatische intrakranielle Blutungen.
Ergebnisse: Der primäre Endpunkt (mRS 0–1) wurde in der Tirofiban-Gruppe in 29 % gegenüber 22 % in der ASS-Gruppe erreicht. Der Unterschied war signifikant. Die meisten sekundären Endpunkte zeigten keinen signifikanten Unterschied. Die Mortalität unterschied sich nicht zwischen den Gruppen, in der Tirofiban-Gruppe gab es selten, aber signifikant häufiger als in der ASS-Gruppe symptomatische intrakranielle Blutungen (1 % vs. 0 %).
Beurteilung: Die Studie zeigt eine gute Wirksamkeit von Tirofiban für eine Untergruppe von Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall, für die bislang unzureichende Therapieoptionen bestehen. Für Patienten mit einem Großgefäßverschluss, die Tirofiban vor der Thrombektomie erhielten, zeigte eine Vorgänger-Studie keinen Nutzen. Wahrscheinlich spielt die Schlaganfallursache eine Rolle. In der aktuellen Studie hatte ein großer Anteil der Patienten ein kleines Infarktvolumen in der Bildgebung und als Schlaganfallursache wurde am häufigsten ein atherosklerotischer Verschluss einer penetrierenden Arterie angenommen. Für Patienten mit einer angenommenen lokal atherosklerotischen Schlaganfall-Ätiologie kann Tirofiban also eine gute therapeutische Option sein. In der Studie hatten viele Patienten eine intrakranielle Gefäßstenose. Dies ist in asiatischen Ländern deutlich häufiger als in europäischen – die Übertragbarkeit auf Populationen außerhalb von China könnte also limitiert sein. Vor der Routine-Anwendung von Tirofiban sollten die Ergebnisse in weiteren Studien bestätigt werden.
Zielgerichtete Intensivtherapie bei spontaner intrazerebraler Blutung
Hintergrund: Intrazerebrale Blutungen führen häufiger zu schweren Behinderungen oder Tod als ischämische Schlaganfälle. Gleichzeitig sind sie schwieriger zu behandeln, da wenig Therapien mit guter Evidenz verfügbar sind. Die frühzeitige Senkung eines erhöhten Blutdrucks ist die vielversprechendste Therapieoption. Ob eine Kombination von zielgerichteten Therapien mit der Blutdrucksenkung als zentralem Baustein bei Patienten mit spontaner intrazerebraler Blutung wirksam ist, wurde in einer Studie in The Lancet untersucht.
Studiendesign: Die randomisierte kontrollierte Studie wurde an 121 Krankenhäusern in 10 verschiedenen Ländern (überwiegend einkommensschwache Länder) durchgeführt. Die teilnehmenden Krankenhäuser durften vor Studienbeginn kein klares Protokoll für die Einstellung der verschiedenen physiologischen Parameter haben und mussten bereit sein, das vorgegebene Protokoll zu etablieren. Insgesamt wurden gut 7.000 Patienten mit spontaner intrazerebraler Blutung maximal 6 h nach Symptombeginn eingeschlossen. Ausschlusskriterium waren durch strukturelle Veränderungen (Gefäßmalformation, Hirntumor) oder Reperfusionstherapien (Thrombolyse, Thrombektomie) verursachte Blutungen. Die Interventionsgruppe erhielt eine zielgerichtet Therapie-Kombination mit intensiver Blutdrucksenkung (Ziel < 140 mmHg), Blutzuckereinstellung (Ziel 6,1–7,8 mmol/L), Fiebersenkung (Ziel >37,5°C) und schneller Antagonisierung einer Antikoagulation (Ziel-INR <1,5). Die Zielwerte sollten innerhalb einer Stunde nach Therapiebeginn erreicht werden und für 7 Tage oder bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus aufrechterhalten werden. Die Kontroll-Gruppe erhielt die an den jeweiligen Krankenhäusern etablierte Standard-Therapie. Der primäre Endpunkt war das funktionelle Ergebnis, gemessen mittels mRS (modified Rankin Scale) nach 6 Monaten. Dies wurde von unabhängigen Untersuchern erhoben, die nicht wussten, ob der jeweilige Patient zur Interventions- oder Kontrollgruppe gehörte.
Ergebnisse: Das mediane Alter der gut 7.000 Patienten war 62 Jahre, 36 % waren Frauen, der mediane NIHSS bei Aufnahme war 13. In 94 % wurde eine hypertensive Genese der Blutung angenommen, 82 % der Blutungen waren in den Stammganglien lokalisiert. 90 % hatten einen erhöhten Blutdruck und 36 % einen erhöhten Blutzucker, die Temperatur war nur bei 1,7 % erhöht und der INR bei 1,2 %. Die verschiedenen Parameter unterschieden sich nicht zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe. Das funktionelle Outcome nach 6 Monaten, gemessen mittels mRS, war in der Interventionsgruppe signifikant besser als in der Kontrollgruppe. Auch einige sekundäre Endpunkte waren positiv, wie das Überleben und die Gesundheits-bezogene Lebensqualität.
Beurteilung: Die intrazerebrale Blutung ist eine behandelbare Erkrankung. Die aktuelle Studie hat die großen Schwierigkeiten überwunden, die bisher ein positives Ergebnis bei den meisten Untersuchungen zu intrazerebralen Blutungen verhindert haben. Die Kombination der verschiedenen Maßnahmen hat dazu geführt, dass am Ende das funktionelle Ergebnis in der Interventionsgruppe signifikant besser war. In der Größe handelt es sich um die erste positive multizentrische randomisierte kontrollierte Studie zur Therapie bei intrazerebralen Blutungen. Das Ergebnis ist ohne Zweifel ein großer Erfolg und sollte dazu veranlassen, intensivtherapeutische zielgerichtete Protokolle für die Behandlung von intrazerebralen Blutungen an allen Krankenhäusern zu etablieren.
Bildquelle: Jeff Cooper, unsplash