Der Anstieg neurodegenerativer Alterserkrankungen wie Alzheimer und Parkinson ist höher als erwartet – deutlich höher, als durch die Überalterung der Gesellschaft erklärt werden kann. Eine Studie zeigt, wie Umwelttoxine dazu beitragen.
Der demografische Wandel führt in der Gesellschaft zu einer Zunahme altersassoziierter Erkrankungen, wie Alzheimer und Parkinson. Bei beiden Erkrankungen treten auf molekularer Ebene fehlerhafte Proteinstrukturen auf, die sich im Gehirn ablagern und zum Nervenzellverlust beitragen.
Eine mögliche Ursache sind Genmutationen, allerdings ist die Mehrzahl der Fälle ist nicht auf die Genetik zurückzuführen. Auch lebensstilbedingte Faktoren wie Depression, Bluthochdruck, Rauchen und Übergewicht spielen nachweislich eine Rolle. Die Vermeidung dieser Risikofaktoren könnte laut Experten etwa 40 % aller Demenzerkrankungen verhindern. Nun wurden drei weitere Faktoren zur Liste hinzugefügt: Schädel-Hirn-Traumen, exzessiver Alkoholkonsum und Luftverschmutzung. Dass Partikelschadstoffe aus der Luft und Umwelttoxine sich akut auf das Nervensystem auswirken, zeigt sich bei Vergiftungen. Doch in welchem Zusammenhang stehen Umwelttoxine mit neurodegenerativen Alterserkrankungen?
Die Liste verdächtiger Substanzen ist lang: Neben Feinstaub werden Pflanzenschutzmittel/Pestizide, Lösemittel (z. B. Toluol), Mineralöle, chemische Weichmacher, Bisphenol A (BPA), Mikroplastik und Nanopartikel genannt, aber auch neurotoxische Metalle wie Blei, Quecksilber, Cadmium und Mangan. Mit einigen dieser Stoffe werden insbesondere typische biochemische Parkinson-Merkmale in Verbindung gebracht, z. B. mitochondriale Dysfunktion, Störungen der Metallhomöostase und Aggregation von Proteinen.
Seit längerer Zeit wird die mögliche Rolle des industriellen Lösungsmittels Trichlorethylen (TCE) bei der Entstehung von Parkinson diskutiert. Gerade erschien eine Publikation, die den Verdacht auf toxische Effekte von TCE deutlich erhärtet und Grundlage künftiger Evidenz sein kann. Die Kohortenstudie untersuchte das Parkinson-Risiko bei US-Marineangehörigen, die zwischen 1975 und 1985 für mindestens drei Monate im Camp Lejeune in North Carolina stationiert waren. Dort war es in dieser Zeit zu einer Verunreinigung des Trinkwassers mit verschiedenen Lösungsmitteln gekommen (DocCheck berichtete).
Die höchsten Konzentrationen betrafen TCE: Die Werte überstiegen das bis zur 70-Fache der zulässigen Menge. Die heutigen Veteranen waren bei ihrer Ankunft im Camp ungefähr 20 Jahre alt und hatten durchschnittlich zwei Jahre dort gelebt. Verglichen wurde diese Kohorte mit einer ähnlich großen, die in Camp Pendleton in Kalifornien stationiert war, wo es keine Trinkwasserkontamination gab. Die demografischen Merkmale der beiden Kohorten waren vergleichbar, das mittlere Alter der Nachuntersuchten betrug knapp 60 Jahre.
Insgesamt hatten 430 Veteranen eine Parkinson-Erkrankung entwickelt, 279 aus Camp Lejeune (Prävalenz 0,33 %) und 151 aus Camp Pendleton (Prävalenz 0,21 %). Somit war das statistische Parkinson-Risiko für Veteranen aus Camp Lejeune um 70 % höher und sie hatten auch ein um 15 % erhöhtes kumulatives Risiko für Symptome, die Jahrzehnte vor einer Parkinsonerkrankung auftreten, wie Tremor, Angsterkrankungen und erektile Dysfunktion. Viele weitere Parkinson-Fälle könnten also noch diagnostiziert werden.
„Die Auswirkung von Umwelttoxinen wie TCE auf das Parkinson-Risiko zu erforschen, ist ausgesprochen wichtig“, erklärt Prof. Daniela Berg von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Noch lässt sich eine Kausalkette zwischen Exposition und einer späteren Parkinson-Erkrankung nicht nachweisen. An dieser Fragestellung und der Quantifizierung des Risikos arbeiten derzeit mehrere internationale Forschergruppen.“
Dennoch sieht die Expertin viele Indizien für einen Zusammenhang zwischen Umweltgiften und dem Anstieg neurodegenerativer Erkrankungen. Daher sei es ein wichtiger Schritt, Substanzen, die neurodegenerative Prozesse auslösen, zu identifizieren, ihr Risiko zu beziffern und diese dann konsequent zu vermeiden, so die Studienautoren.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Die Originalpubliaktionen findet ihr hier und im Text.
Bildquelle: Naja Bertolt Jensen, unsplash