Die Corona-Zahlen steigen wieder und ich kann es nicht fassen. So wird sich die Lage auf unseren Intensivstationen in der vierten Welle nicht bessern. Ich bin ehrlich: Kein Verständnis für Impfverweigerer.
Kennt ihr diese Schilder am Ende einer ewig langen Baustelle? Man sieht keinen Bauarbeiter (auch nicht unter der Fahrbahn), kilometerlang Tempo 50 und am Ende das Schild „Wir danken für ihr Verständnis!“ und ich möchte dann ins Lenkrad beißen und „Ich habe dafür kein Verständnis!“ brüllen.
Die Zahlen steigen wieder und ich kann es nicht fassen. Wir haben so gute Fortschritte mit den Impfungen gemacht und jetzt geht das Ganze wieder los. Nicht zum zweiten Mal, nicht zum dritten Mal, sondern voraussichtlich zum vierten Mal.
Es gibt verschiedene Prognosen, wann der nächste Peak kommt (Ende September/Anfang Oktober). Es bleibt ein gigantisches Experiment, wie sich die Deltavariante, die fehlende Impfung bei Kindern und die Wiedereröffnung der Schulen auswirken werden.
Und dann lese ich „Ärzte nicht in Sorge wegen vierter Corona-Welle“ und finde heraus, dass das mal wieder derselbe dreiste alte Mann sagt, der sich schon in der Vergangenheit gerne mal als Sprachroher aller Ärzte bezeichnet. Ich finde: Er ist es nicht. Es hat vor allem überhaupt keine Relevanz, wenn er die Lage falsch einschätzt und das herausposaunt. Es sendet nur ein falsches, ein fatales Signal.
Alles im Griff, Corona vorbei, entspannt euch. Das ist die Botschaft. Das Gegenteil ist der Fall. Wir wissen überhaupt nicht, was in den nächsten Wochen passiert. Wir sehen aktuell, dass die Zahlen langsam, aber deutlich ansteigen. Es ist wie gesagt ein großes Experiment, alle Hygienemaßnahmen sind lediglich dazu geeignet, den Fortschritt der Pandemie zu bremsen. Eine effektive Eindämmung ist nur durch eine möglichst vollständige Impfung zu realisieren.
Man kann sich darüber streiten, welcher Impfstoff oder welche Kombination am wirksamsten ist.
Aber Fakt ist – alle derzeit verfügbaren Impfstoffe senken bei vollständigem Impfstatus das Risiko für einen schweren Verlauf nahezu auf Null. Die realen Risiken durch die Impfung beschränken sich auf muskelkaterartige Schmerzen im Bereich der Einstichstelle, selten mal Fieber oder Schüttelfrost. Alles auch ansatzweise kein Vergleich zu einer Intensivtherapie!
Herrje, die Krankheit ist vermeidbar. Es ist kein Schicksal mehr.Wer sich im März 2020 ansteckte, hatte Pech. Es gab keine Impfung, die Therapie ist rein symptomatisch. Jetzt, wo jeder die Möglichkeit hatte, sich impfen zu lassen, gibt es keine Ausrede mehr. Das ist auch kein Pech mehr, wenn man sich jetzt noch ansteckt und schwer erkrankt. Das ist vermeidbar!
Es gibt 1.000 Gründe, auf eine Intensivstation zu kommen, manche davon sind selbst verursacht. Ein Motorradfahrer nach einem schweren Verkehrsunfall – klar, der hätte nicht zwingend Motorrad fahren müssen, aber so ist das Leben.Ein Alkoholexzess und hinterher im Koma mit dem Rettungsdienst zu uns? Muss nicht sein, aber wir helfen allen, wir verurteilen niemanden.
Sich wegen Faulheit oder weil man sich von irgendeinem Schwurbelquark auf Youtube oder Facebook bekloppt machen lässt, nicht impfen zu lassen, ist aber leider nur dumm.
Und „zu dumm“ oder „zu faul“ sind wirklich doofe Gründe für einen Aufenthalt auf der Intensivstation.
Daher sollte man im Oktober nicht unbedingt mit viel Verständnis beim Rettungsdienst und den Kollegen auf der Intensivstation rechnen. Klar, Menschen, die nicht geimpft werden dürfen oder die wegen Immunsupressiva oder einer Laune ihres Immunsystems keine Antikörper aufbauen usw., können natürlich nichts dafür. Umso tragischer wäre es, wenn diese Menschen, die sich gerne impfen lassen würden, aber es nicht dürfen, dann selber schwer an COVID-19 erkranken.
Vor allem für diese Mitmenschen müssen alle anderen sich impfen lassen.
Und um den Aufgeregten zuvorzukommen: Natürlich werden wir auch Menschen helfen, die sich nicht impfen ließen und die dann schwer erkranken werden. Aber ich kann es niemandem meiner Kollegen verübeln, wenn da kein Verständnis mehr aufgebracht wird.
Die Stimmung auf der Intensivstation ist so schlecht wie lange nicht mehr. Viele erfahrene Kollegen sind gegangen, die werden auch nicht mehr wiederkommen. Die Stimmung wird sicher nicht besser, wenn wir dann wieder schwerkranke Covid-Patienten versorgen müssen, die sich einfach nicht haben impfen lassen, weil kein Bock, keine Zeit oder andere Ausreden.
Impfgelegenheiten gibt es genug, hier bei uns sogar auf dem Parkplatz vom Schnellrestaurant oder im Supermarkt. Da kann niemand sagen, es hätte keine Chance gegeben.
Bildquelle: Mat Napo, unsplash