Im Rahmen unserer Reihe „PE in der Neonatalogie“ haben wir in dem Beitrag „Parenteral ernährt: Frühstart ins Leben (1/2)“ bereits die besonderen Herausforderungen und praxisrelevanten Lösungen bei der parenteralen Ernährung (PE) in der Neonatologie beleuchtet.
Ein zentrales Thema, das in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit verdient, ist die Fettzufuhr und die damit verbundene Bereitstellung von Energie und die Applikation von essentiellen Fettsäuren. Denn Fettsäuren sind nicht nur konzentrierte Energieträger und strukturelle Bausteine der Zellmembranen, sondern, gerade die Metabolite aus den essentiellen langkettigen und ungesättigten Fettsäuren übernehmen zentrale regulatorische Funktionen im Körper.1
Wenn Früh- oder Reifgeborene in der Neonatologie vollständig parenteral ernährt werden, wird in der Regel eine Fettzufuhr von 25–50 % der Nicht-Protein-Kalorien empfohlen. Fette liefern essentielle Fettsäuren (EFA) und tragen zur Versorgung mit den fettlöslichen Vitaminen A, D, E und K bei. Insbesondere die Versorgung mit den Fettsäuren Linolsäure (LA) und Alpha-Linolensäure (ALA) ist entscheidend zur Verhinderung eines Defizits an essentiellen Fettsäuren, das sich bei einer fettfreien Ernährung innerhalb weniger Tage manifestieren kann.2 Daher sollten Frühgeborene mindestens 0,25 g LA/kg KG pro Tag und Reifgeborene mindestens 0,1 g LA/kg KG pro Tag erhalten. Diese Dosis sichert auch eine adäquate Versorgung mit ALA bei allen Fettemulsionen die für die Pädiatrie zugelassen sind.2–5
Die aktuelle Leitlinie empfiehlt ein ausgewogenes Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten. Daher erachtet es sich als sinnvoll Fettsäurezusammensetzungen zu wählen, die der Muttermilch ähnlich sind. Obwohl die Leitlinien Lipidemulsionen mit und ohne Fischöl empfehlen,2 können fischölhaltige Fettemulsionen bei Frühgeborenen möglicherweise mit Risiken verbunden sein.2,6,7 Der Grund dafür liegt in der fötalen Physiologie.
Im dritten Trimester werden über die Plazenta aktiv vermehrt Arachidonsäure (ARA), ein Metabolit des Omega-6-Stoffwechsels, sowie Docosahexaensäure (DHA), ein Metabolit des Omega-3-Stoffwechsels, vom Körper der Mutter zum Fötus transportiert. Auf diese Weise wird dessen hoher Bedarf während des Wachstums und der Organreifung gedeckt.8,9 Dieser Prozess wird auch als „Biomagnifikation“ bezeichnet und führt zu einer Anreicherung von ARA und DHA im Fötus, vor allem im Gehirn und im Fettgewebe. Allgemein ist die Biomagnifikation von ARA größer als die von DHA. Deshalb liegt das ARA/DHA-Verhältnis vor allem im Blut, im Gehirn und im Fettgewebe zwischen 2:1 und 9:1.10–13
Im Omega-6-Stoffwechselweg wird LA zunächst durch die Δ-6-Desaturase in γ-Linolensäure umgewandelt. Anschließend wird diese über die Δ-6-Elongase weiter zu Dihomo-γ-Linolensäure und schließlich durch die Δ-5-Desaturase zu ARA desaturiert.14
ARA reichert sich dann im Zuge der Biomagnifikation in den Membranen zahlreicher Gewebe, vor allem im Gehirn und in Immunzellen, an und ist dort von großer funktioneller Bedeutung. ARA ist an der Regulation der synaptischen Übertragung beteiligt, unterstützt die strukturelle Ordnung von Zellmembranen und schützt diese vor oxidativem Stress.15,16 Weiter ist ARA über die Aktivierung von Syntaxin-3 in das Wachstum und die Reperatur von Neuriten involviert, sowie als Vorläufer der Adreninsäure an der Entwicklung der Myelinscheide beteiligt.16,17 Darüber hinaus spielt ARA eine wesentliche Rolle bei der Alveologenese18,19 und der Entwicklung des Magen-Darm-Trakts20,21 sowie bei der Regulierung der intestinalen Mikrozirkulation,22 wobei sie vor allem über ihre Metabolite wirkt.
Parallel dazu verläuft der Omega-3-Stoffwechselweg, bei dem ALA über dieselben enzymatischen Schritte wie LA zu ARA, zunächst zu Eicosapentaensäure (EPA) und anschließend zu DHA umgewandelt wird. DHA ist eine langkettige Omega-3-Fettsäure, die essenziell für die Gehirnentwicklung ist und strukturell ein Hauptbestandteil der neuronalen Membranen darstellt. DHA unterstützt das neuronale Wachstum, fördert die Migration von Nervenzellen, während der Gehirnentwicklung, regt die Synaptogenese an und trägt maßgeblich zur Plastizität dieser Verbindungen bei. Darüber hinaus beeinflusst DHA die Genexpression in neuronalen Zellen, was für deren funktionelle Spezialisierung von entscheidender Bedeutung ist.23,24
Dabei ist das Zusammenspiel und Verhältnis zwischen ARA und DHA ist von besonderer Bedeutung, da beide Fettsäuren in einem austarierten Gleichgewicht die neuronale Entwicklung regulieren. Sie wirken komplementär auf das Wachstum und die funktionellen Eigenschaften neuronaler Membranen sowie auf die Signalübertragung im Nervensystem. ARA verleiht strukturelle Stabilität und unterstützt die Signalweitergabe, während DHA die Membranfluidität erhöht und die Effizienz neuronaler Kommunikation optimiert. Ein ausgewogenes Verhältnis beider Fettsäuren ist daher für die frühkindliche Entwicklung von Gehirn, Lunge, Darm und Immunsystem von fundamentaler Bedeutung.17
Abbildung 1: Omega-3- und Omega-6-Stoffwechsel im Detail. Modifiziert nach 25.
Sowohl der Omega-6- als auch der Omega-3-Stoffwechsel nutzt dieselben Desaturasen und Elongasen, was zu einer direkten Konkurrenz bei der Umwandlung ihrer Vorstufen führt.14,17,25,26 Da die Umwandlung von LA in ARA aufgrund der geringen Aktivität der Δ-5- und Δ-6-Desaturase gering ist, wird dies besonders bei der Gabe von Fischöl relevant, das reich an EPA ist.17 Denn EPA konkurriert dann mit ARA um dieselben Enzyme. Dies kann die endogene Synthese von ARA und insbesondere die Bildung seiner abgeleiteten Metaboliten weiter hemmen.2,7,11
Diese Metaboliten von ARA sind jedoch, wie oben gezeigt für die Reifung verschiedener Organsysteme essenziell. Eine reduzierte ARA-Verfügbarkeit kann daher negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Neugeborenen haben. Dazu zählen beispielsweise Wachstumsstörungen sowie Beeinträchtigungen der Gehirn- und Neuroentwicklung.2,6,7
Durch die Gabe von Fischöl ohne Anreicherung mit ARA können die durch ARA-vermittelten Prozesse gehemmt werden. Daher bieten mit Blick auf die Organentwicklung gemischte und mit Fischöl angereicherte Fettemulsionen womöglich keinen Vorteil in der Neonatologie.11,27,28
In folgendem Video erhalten Sie wertvolle Einblicke einer Expertin vom EAPS-Kongress zur Fettzufuhr bei Frühgeborenen:
Die bedarfsgerechte Zufuhr essentieller Fettsäuren ist entscheidend für einen erfolgreichen Start ins Leben von Frühgeborenen. Die Zufuhr von Fischöl kann den Fettsäurestoffwechsel negativ beeinflussen, was zu einer beeinträchtigten neuronalen Entwicklung der Frühgeborenen führen kann. Fettsäuren unterstützen nicht nur grundlegende Stoffwechselprozesse, sondern auch das Wachstum, die neuronale Reifung und die langfristige Entwicklung dieser besonders vulnerablen Patient:innengruppe.
Wer sich für die besonderen Anforderungen der PE in anderen klinischen und ambulanten Settings interessiert – etwa in der Pädiatrie, Onkologie oder Intensivmedizin – findet in den weiteren Teilen unserer Serie Einblicke in aktuelle Leitlinien, Herausforderungen und Lösungsstrategien. Dranbleiben lohnt sich!
Fachpersonen können die angeführten Referenzen bei Baxter anfordern.
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