Zahlreiche Deutsche leiden an Schlafstörungen. Ein YouTube-Trend unter dem Kürzel ASMR verspricht besseres Einschlafen. Was ist dran an diesem Hype? Erste Studien suchen nach Antworten.
43 % aller Deutschen haben Probleme beim Schlafen. Zu diesem besorgniserregenden Ergebnis kommt Statista nach einer Befragung von mehr als 2.000 Personen zwischen 18 und 64 Jahren aus verschiedenen Ländern über mögliche Schlafprobleme in den 12 Monaten zwischen Januar und Dezember 2022. Kein Wunder also, dass Betroffene abseits von Schlaftabletten nach Hilfestellungen für einen besseren Weg ins Traumland suchen. Ein YouTube-Trend unter dem Kürzel ASMR könnte so ein Hilfsmittel ohne ernsthafte Risiken und Nebenwirkungen sein. Aber was verbirgt sich hinter dem Hype?
ASMR ist die geläufige Abkürzung für den englischen Begriff „Autonomous Sensory Meridian Response“, der ins Deutsche als „Autonome sensorische Meridianreaktion“ übersetzt werden kann. Obgleich sich das Ganze zunächst anhört wie eine komplexe Wissenschaft, geht es im Prinzip um die Wahrnehmung angenehmer Gefühle auf der Haut mit Beginn auf der Kopfhaut. Gängige Auslöser, die dann auch hauptsächlich in entsprechenden Videos vorkommen, sind akustische und visuelle Reize sowie bestimmte Berührungen. Klassiker in zahlreichen Videos sind die Geräusche von Haarbürsten oder das Klopfen mit Fingernägeln auf verschiedenen Oberflächen. Im Optimalfall entsteht eine Art Gänsehaut bzw. ein kribbelndes Gefühl, das für Entspannung und besseres Einschlafen sorgen kann.
Dass der Konsum von ASMR-Videos positive Effekte entfaltet, lässt sich zunächst an der unglaublich hohen Anzahl der Klicks und der vielen Abonnenten entsprechender Kanäle erkennen. Aber gibt es wirklich schon wissenschaftliche Studien, die insbesondere positive Effekte auf Schlafstörungen belegen?
Ich starte meine Literaturrecherche mit den Suchwörtern „ASMR“ und „Sleep“ und erhalte eine Liste von zehn (!) Publikationen, die ASMR mit unterschiedlichen Fragestellungen beleuchten. So wollten Zielinski-Nicolson und ihre Arbeitsgruppe wissen, ob ein geistig flexibler kognitiver Stil die Fähigkeit des ASMR-Erlebens beeinflussen könnte und haben eine Studie mit knapp 400 Studenten durchgeführt. Im Hauptergebnis gab es keine eindeutigen Belege für eine allgemein geistig flexible Denkweise als Voraussetzung für ASMR-Erleben. Im Gegensatz dazu konnten eine emotionale Ansteckungsfähigkeit, positive schizotypische Charakteristika sowie die Fähigkeit zum Rollenspiel das Ansprechen auf ASMR tendenziell positiv beeinflussen. Braucht es folglich besondere Eigenschaften, um von ASMR profitieren zu können? Die Forschung steckt an diesem Punkt sicher noch in den Kinderschuhen.
Bei meiner weiteren Recherche stoße ich noch auf eine systematische Übersicht von Forschern der Ruhr-Universität Bochum. Sie stellten fest, dass ASMR von etwa 25–30 % der Menschen als entspannend empfunden wird und teils zu einer langsameren Herzfrequenz führt. Kurzfristige physiologische und psychische Effekte wie Stressreduktion wurden beobachtet, während Langzeiteffekte noch unklar sind.
Kehrt man zurück zum Ausgangsthema Schlafstörungen, ist sicher die im Januar 2023 publizierte und derzeit frei verfügbare Studie mit der vielversprechenden Überschrift „It's like taking a sleeping pill“ von Woods und Turner-Cobb interessant. Sie wollten wissen, wie ASMR von YouTube-Nutzern eingesetzt wird und welche gesundheitlichen Vorteile die Konsumenten berichten. Dazu führten sie halbstrukturierte qualitative Interviews mit 8 Studentinnen durch, die regelmäßig entsprechende Videos schauten.
Nach Auswertung der Gespräche wurde schnell deutlich, dass die meisten Studentinnen die Videos in irgendeiner Form zur Förderung ihrer Gesundheit einsetzen. Dabei wurden die Videos am häufigsten zur Einschlafhilfe oder zur Ablenkung bei Angstzuständen eingesetzt. Obgleich die Stichprobe natürlich extrem klein war und diese Studie diversen Limitierungen unterliegt, geben diese Ergebnisse dennoch erste Hinweise auf mögliche positive Effekte in Bezug auf Einschlafstörungen.
Mein Fazit fällt also erst einmal positiv aus: Auch wenn Forschung zum Thema noch rar gesät ist, könnte ASMR unter bestimmten Voraussetzungen stressbedingte Beschwerden, darunter Einschlafstörungen, lindern. Wer genau davon profitieren kann, bleibt derweil unklar. Sollte die Forschung aber weiter voranschreiten, könnte das Schauen der einschlägigen Videos eine Alternative zu klassischen Schlafmitteln werden.
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