Long Covid aus dem Weg gehen – das war bisher nur möglich, indem man sich nicht mit Corona ansteckt. Doch ein altbewährtes Antidiabetikum soll das jetzt auch schaffen: Metformin. Was ist dran?
Die Folgen der Corona-Pandemie werden uns wohl noch lange begleiten: Laut Schätzungen sind weltweit mindestens 65 Millionen Menschen von den Langzeitfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion betroffen (wir berichteten). Die Ursachen von Long Covid sind dabei immer noch nicht eindeutig geklärt – es gibt einige Hypothesen, aber keine eindeutigen Beweise (wir berichteten). Das erschwert natürlich die Behandlung, die aktuell eher symptomorientiert verläuft. Hilfreicher wäre ein Mittel, das verhindert, dass Long Covid überhaupt auftritt. Genau diesen Ansatz verfolgte nun eine US-amerikanische Forschergruppe und setzte dabei auf ein altbewährtes Mittel: Metformin. Die Ergebnisse publizierten sie als Preprint im Fachmagazin The Lancet.
Im Rahmen der multizentrischen, vierfach verblindeten, randomisierten und placebokontrollierten Phase-III-Studie untersuchten die Forscher drei verschiedene Medikamente: Metformin, Ivermectin, Fluvoxamin. Insgesamt nahmen 1.125 Probanden an der COVID-OUT-Studie mit einem Follow-up von 10 Monaten teil. Die Teilnehmer waren zwischen 30 und 85 Jahre alt und entweder übergewichtig oder adipös – letzteres können Risikofaktoren für Long Covid sein. Auch schwangere und stillende Frauen wurden miteingeschlossen, sie erhielten entweder Metformin oder Placebo. Teilnahmevoraussetzung war eine bestätigte SARS-CoV-2-Infektion. Etwas mehr als die Hälfte war vollständig geimpft, einige hatten bereits eine Booster-Impfung erhalten.
Bei insgesamt 8,4 % der Teilnehmer wurde Long Covid diagnostiziert: In der Metformin-Gruppe waren es 6,3 %, dagegen mit Placebo 10,6 % (HR: 0,58; 95 % KI: 0,38–0,88). Dieses Ergebnis variiert auch nicht zwischen den einzelnen Sub-Gruppen; damit hatten unterschiedliche Altersgruppen oder Virusvarianten keinen Einfluss auf die Long-Covid-Inzidenz, allerdings waren die jeweiligen Subgruppen dann sehr klein. Die Metformin-Therapie wirkte besonders gut, wenn die Probanden bereits innerhalb von vier Tagen nach Auftreten der Symptome eine Tablette einnahmen (500 mg), anschließend vier Tage lang zwei Tabletten pro Tag und anschließend drei Tabletten pro Tag bis Tag 14. In dieser Therapiekonstellation betrug die Hazard Ratio für das Auftreten von Long Covid im Vergleich zur Placebo-Gruppe dann nur noch 0,37 (95 % KI: 0,15–0,95).
Bei der oralen Gabe der anderen Wirkstoffe – dem von vielen Corona-Kritikern angepriesenen Anti-Wurmmittel Ivermectin oder dem eine Zeitlang als vielversprechend geltenden und auch von Karl Lauterbach gehypten Antidepressivum Fluvoxamin – konnten die Forscher hingegen keinen signifikanten Unterschied zum Placebo feststellen. Diese Medikamente verhinderten somit nicht das Auftreten von Long-Covid.
„Bei Teilnehmern, die eine frühzeitige ambulante COVID-19-Behandlung mit Metformin erhielten, kam es im Vergleich zum exakt gematchten Placebo zu einer relativen Abnahme von 42 % und einer absoluten Abnahme von 4,3 % der Long-Covid-Inzidenz“, fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen. Eric Topol, der sich in den letzten drei Jahren als einer der eifrigsten Twitter-Experten zu Corona profiliert hat, teilte das Preprint auf Twitter als „sehr gute Nachrichten“.
Sollte der Tweet nicht angezeigt werden, bitte die Seite neu laden.
Metformin könnte gar als Wundermittel angesehen werden: Bei Typ-2-Diabetes hilft es, den Zuckerhaushalt zu regulieren und reduziert das Risiko für Folgeerkrankungen, wie Schlaganfälle oder Herzinfarkte. Auch als Abnehmhilfe wird es seit Kurzem in der Adipositas-Therapie eingesetzt. Klinische Studien haben außerdem gezeigt, dass Metformin bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS), Osteoporose, Krebs, Parodontitis, neuronalen Schäden und neurodegenerativen Erkrankungen, Entzündungen, entzündlichen Darmerkrankungen (IBD) und Tuberkulose eingesetzt werden kann (wir berichteten). Weitere Studien haben auch gezeigt, dass das Antidiabetikum die SARS-CoV-2-Viruslast und das Risiko für Hospitalisierung sowie schwere Verläufe bei COVID-19-Patienten verringern kann.
Der zugrundeliegende Mechanismus von Metformin gegen die Entwicklung von Long Covid ist unbekannt, erklärt Topol in seinem Artikel. Möglicherweise hänge dieser Effekt mit der Wirkung auf die Verringerung von oxidativem Stress und Entzündungen oder der Unterdrückung der Virusreplikation zusammen, vermutet der Kardiologe.
Bramate et al. konnten zwar eine potenzielle Wirkung gegen die Entwicklung von Long Covid aufzeigen, weisen aber gleichzeitig auch auf die Limitationen ihrer Studie hin. So hätte sich die Definition von Long Covid während des Untersuchungszeitraum geändert, was wiederum zu fehlerhaften bzw. ausbleibenden Diagnosen in den Gruppen geführt haben könnte. Da für die Studie nur übergewichtige oder adipöse Menschen zwischen 30 und 85 Jahren untersucht wurden, lassen sich die Ergebnisse nicht auf Personen übertragen, die einen BMI im normalen oder niedrigen Bereich aufweisen oder jünger als 30 Jahre sind.
Gideon Myerowitz-Katz, Epidemiologe und Journalist beim Guardian, merkte auf Twitter auch an, dass die Long-Covid-Inzidenz in der Studie relativ gering sei und die meisten Teilnehmer überwiegend im Jahr 2021 in die Studie eingeschlossen wurden. Auch die absolute Risikoreduktion von 4,3 % durch Metformin sei relativ klein: „Auf 100 Personen, die das Medikament einnahmen, gab es in den 9 Monaten nach der Infektion 4 Fälle weniger von Long Covid.“ Das entspricht einer Number-Needed-to-Treat von 25. Dennoch seien die Ergebnisse vielversprechend und suggerierten, dass die Einnahme von Metformin mit weniger schweren COVID-19-Verläufen und einem reduzierten Risiko für Long Covid verbunden sei, so das Fazit des Epidemiologen.
Bisher gibt es auch keine anderen ausreichend großen oder gründlichen Studien, die Metformin im Zusammenhang mit Long Covid bewertet hätten, schreibt Topol. Daher kommt für ihn die Frage auf: Sollten die Ergebnisse dieser Studie ausreichend berücksichtigt werden, um Metformin in der klinischen Praxis zu empfehlen? „Meiner Ansicht nach ja, da das Risiko von Nebenwirkungen für 2 Wochen Metformin gegen Null geht.“
Bildquelle: Alistair MacRobert, Unsplash