Löst Corona eine erektile Dysfunktion aus? Kann eine Diät bei Long Covid helfen? Und wie kommt es überhaupt zu den Langzeitfolgen? Lest hier das Wichtigste zu Forschung und Behandlung.
Corona wird uns auch nach der Pandemie noch lange begleiten – besonders in Form von Long Covid. Mindestens 65 Millionen Menschen sollen von den Langzeitfolgen einer vorangegangen SARS-CoV-2-Infektion betroffen sein (wir berichteten). Ein aktuelles Review, das in Nature publiziert wurde, fasst die wichtigsten Studien und den aktuellen Stand der Forschung zu Long Covid und den Umgang mit dem Syndrom zusammen. Lead-Autor der Publikation ist Eric Topol, Kardiologe und Professor für Molekulare Medizin am US-amerikanischen Scripps Research Institute, der sich während der Corona-Pandemie als eifriger Long-Covid-Experte auf Twitter einen Namen machte.
Mittlerweile wurden mehr als 200 Symptome zum Post-Covid-Syndrom identifiziert. Das umfasst vor allem langanhaltende Folgen mit häufig neu auftretenden Erkrankungen, darunter kardiovaskuläre, thrombotische und zerebrovaskuläre Krankheiten, Typ-2-Diabetes, ME/CFS sowie Dysautonomie und das posturale orthostatische Tachykardie-Syndrom (POTS).
Auswirkungen von Long Covid auf zahlreiche Organe mit einer Vielzahl von Pathologien. Credit: Davis et al. (2023)
Meist verschwinden die Symptome innerhalb eines Jahres, aber Fälle von neuauftretendem ME/CFS oder Dysautonomie können sogar länger anhalten – womöglich halten die Einschränkungen sogar ein Leben lang an, schreiben die Autoren. Das Auftreten sowie die Dauer der Symptome unterscheiden sich dabei sehr stark von Person zu Person. Neurologische und kognitive Symptome brauchen meist Wochen bis Monate nach vorangegangener Infektion bis sie auftreten und neigen zur Verschlechterung und dazu, länger zu persistieren.
Gastrointestinale oder auch respiratorische Beschwerden lösen sich hingegen in den meisten Fällen wieder schneller auf. Schmerzen in Gelenken, Knochen, Ohren, Nacken und Rücken treten dagegen nach einem Jahr häufiger auf als nach 2 Monaten, ebenso wie Parästhesien, Haarausfall, verschwommenes Sehen und Schwellungen der Beine, Hände und Füße. Auch Parosmie kommt bei Long-Covid-Betroffenen häufig vor und tritt im Durchschnitt 2 Monate nach der Erstinfektion auf; aber im Gegensatz zu anderen neurokognitiven Beschwerden nimmt es oft mit der Zeit ab.
Es gibt einige Berichte davon, dass Long Covid auch das Reproduktionssystem beeinflussen kann. Allerdings sieht die Studienlage dazu recht mau aus und es hapert häufig am Studiendesign, um den Einfluss auf die Geschlechts-spezifische Pathophysiologie tatsächlich beurteilen zu können. Personen mit Long Covid berichteten vor allem von Veränderungen des Menstruationszyklus, im Vergleich zu Menschen, die kein Corona hatten oder Corona hatten, aber kein Long Covid. Betroffene bemerkten auch, dass die Menstruation und die Woche davor eine Art Trigger für Rückfalle von Long-Covid-Symptomen seien.
Auch Berichte zu verminderter ovarieller Reserve und reproduktiver endokriner Störung gibt es im Zusammenhang mit COVID-19 sowie erste Theorien, dass die Infektion die Hormonproduktion der Eierstöcke und/oder die Reaktion des Endometriums beeinflusst. Grund für diese Annahme sei die Fülle an ACE2-Rezeptoren in dem Gewebe, so die Autoren. Frauen, die sowohl COVID-19 als auch Menstruationsveränderungen hatten, litten mit größerer Wahrscheinlichkeit unter Müdigkeit, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen und Kurzatmigkeit als Frauen ohne Menstruationsveränderungen. Zu den häufigsten Menstruationsveränderungen zählten unregelmäßige Menstruation, verstärkte prämenstruelle Symptome und ein unregelmäßiger Zyklus.
Auch ME/CFS kann eine Rolle bei Menstruationsstörungen spielen: So zeigten sich Zusammenhänge zu prämenstrueller Dysphorie, polyzystischem Ovarialsyndrom, Anomalien im Zyklus, Ovarialzysten, frühere Menopause und Endometriose auf. Schwangerschaft, postpartale Veränderungen, Perimenopause sowie Schwankungen des Menstruationszyklus wirken sich wiederum auf ME/CFS aus und beeinflussen Stoffwechsel- und Immunsystemveränderungen. „Long-Covid-Forschung sollte sich auf diese Zusammenhänge konzentrieren, um die Pathophysiologie besser zu verstehen“, schreiben die Autoren über die lückenhafte Datenlage.
Corona führt nicht nur zu Menstruationsschwankungen, sondern betrifft auch die männliche Reproduktion: Es wurde schon ein erhöhtes Risiko einer erektilen Dysfunktion, die wahrscheinlich auf eine endotheliale Dysfunktion zurückzuführen sei, dokumentiert. Eine Studie berichtet von Beeinträchtigungen der Spermienzahl, des Samenvolumens, der Spermienmorphologie und -beweglichkeit sowie der Spermienkonzentration bei Personen, die eine COVID-19-Erkrankung hatten.
Auch der Verdauungstrakt bleibt nicht verschont von den Langzeitfolgen einer vorangegangen Corona-Infektion. Zu den häufigsten Symptomen gehören Übelkeit, Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit, Sodbrennen und Verstopfung. Auch signifikante Veränderung bei der Zusammensetzung sowie eine Dysbiose des Darmmikrobioms konnte bei COVID-19-Patienten festgestellt werden. SARS-CoV-2-RNA konnte sogar im Stuhl von Patienten nachgewiesen werden – und das auch noch 7 Monate nach der Diagnose.
Doch wie kommt es zu den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion? „Es gibt vier Hauptursachen, von denen wir derzeit ausgehen“, erklärt Akiko Iwasaki, Immunologin und Professorin für Immunbiologie und Epidemiologie an der Yale School of Medicine in den USA auf dem International Virtual Panel Understanding Long Covid der Leopoldina. Sie führt die vier möglichen Ursachen wie folgt aus:
Die Autoren des Reviews führen in diesem Rahmen noch zwei weitere mögliche Mechanismen hinter dem Long-Covid-Syndrom auf: SARS-CoV-2 könnte nicht nur eine gestörte neurologische Signalübertragung verantworten, sondern beeinflusse auch das Mikrobiom, wodurch es zur mikrobiellen Dysbiose kommen kann.
Hypothetische Mechanismen, die hinter dem Long-Covid-Syndrom stecken könnten.
„Das sind also einige der Hauptursachen für Long Covid“, merkt Iwasaki an. „Sie können einzeln, gleichzeitig, nacheinander oder sich überschneidend auftreten und Krankheiten verursachen.“ Corona sei aber nicht die einzige Ursache für solch ein chronisches postakutes Infektionssyndrom, erklärt die Immunologin. Es sei bekannt, dass viele andere Viren, Bakterien und Parasiten ähnliche Symptome verursachen – einschließlich ME/CFS. „Die zugrunde liegenden Ursachen werden also wahrscheinlich von vielen dieser Krankheitserreger geteilt. Und das sollten wir im Hinterkopf behalten.“
„Long Covid ist ein Oberbegriff, der mehrere Endotypen von Krankheiten beschreibt“, erklärt Iwasaki. „Es wird also nicht ein Medikament für alle [Betroffenen] geben. Es wird wahrscheinlich ein Verständnis der Endotypen erfordern, um Long Covid im Allgemeinen richtig zu behandeln.“ Obwohl es derzeit keine allgemein wirksamen Behandlungen für Long-Covid gibt, waren Behandlungen für bestimmte Symptome bisher effektiv. Die meisten umfassen Ansätze aus der ME/CFS-Therapie, unter anderem das Pacing, Symptom-spezifische pharmakologische Optionen wie etwa mit Beta-Blockern, Naltrexon oder intravenöses Immunoglubulin aber auch bestimmte Diäten gegen gastrointestinale Beschwerden.
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„Probleme mit PCR- und Antikörpertests während der Pandemie, ungenaue Pandemieberichte und ein weit verbreiteter Mangel an postviralem Wissen haben nachgehende Probleme und Vorurteile in der Long-Covid-Forschung und -Versorgung verursacht“, schreiben die Autoren der Reviews. Beispielsweise wurde noch lange angenommen, COVID-19 habe nur Folgen für die Atemwege – neurologische, kardiovaskuläre sowie andere anhaltende Multisystem-Beschwerden wurden somit zu Beginn gar nicht wahrgenommen. Auch das Narrativ, dass ein milder Verlauf keine Langzeitfolgen mit sich ziehen würde habe laut der Autoren zu weiteren Verzögerungen in der Forschung geführt. Diese Verzögerungen führten wiederum auch dazu, dass viele Menschen mit ihren Long-Covid-Symptomen erst einmal keine Option für Behandlungsansätze hatten.
Die Forscher warnen, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, würden bei diesem erheblichen Anteil von Personen mit Long Covid lebenslange Einschränkungen bestehen bleiben. Die bestehenden Diagnose- und Behandlungsoptionen reichen derzeit bei der Versorgung nicht aus. Weitere und vor allem viele klinische Studien seien dringend erforderlich, um Behandlungsmöglichkeiten zu testen, die sich mit hypothetischen zugrunde liegenden biologischen Mechanismen befassen. „Wir müssen also noch einiges entwirren. Wir fangen gerade erst an, an der Oberfläche zu kratzen“, so das Fazit von Iwasaki.
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Bildquelle: Luuk Loeffen, Unsplash