Nicht nur in Deutschland, auch in Großbritannien brennt die öffentliche Gesundheitsversorgung lichterloh. Gewerkschaften rufen nun erneut zum Streik für bessere Arbeitsbedingungen auf – dem größten in der Geschichte des NHS.
Das deutsche Gesundheitssystem geht schon länger auf Krücken, insbesondere die Pflege macht unermüdlich auf die katastrophalen Zustände aufmerksam. Damit ist Deutschland aber nicht allein: Unter anderem in Schweden warnt nun die nationale Gesundheitsbehörde vor dem Kollaps. Auch im Vereinigten Königreich fehlt es dem National Health Service (NHS) an allen Ecken und enden (wir berichteten). Millionen Patienten versauern auf Wartelisten für Operationen und selbst die Notfallversorgung ist nicht mehr gewährleistet – wöchentlich sterben um die 500 Patienten, weil Rettungswagen nicht schnell genug zur Verfügung stehen. Die Gründe sind überall die gleichen: zu wenig Personal, zu geringer Lohn, zu viel Belastung.
Zehntausende Mitarbeiter aller Sparten des britischen Gesundheitswesens legen diese Woche daher die Arbeit nieder und streiken – der größte Streik in der Geschichte des NHS. „Das Pflegepersonal hat genug davon, als selbstverständlich angesehen zu werden, genug von niedriger Bezahlung und unsicherer Personalausstattung, genug davon, dass wir unseren Patienten nicht die Pflege bieten können, die sie verdienen“, erklärte Pat Cullen, Generalsekretärin von Englands größter Pflegegewerkschaft RCN, bereits im Dezember vergangenen Jahres.
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Im Dezember und Januar hatten die Pflegekräfte schon zweimal gestreikt (wir berichteten). Ihre Forderung: eine Lohnerhöhung, die endlich die Inflation widerspiegelt, welche auch in Großbritannien auf Rekordhöhe liegt. Das RCN sieht in der jahrelangen Unterbezahlung einen maßgeblichen Grund für den massiven Personalschwund in der Pflege – allein im letzten Jahr kehrten 25.000 Pflegefachkräfte der Profession den Rücken. Die britische Regierung weist die Forderungen allerdings als nicht finanzierbar zurück; bisherige Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Regierungsvertreten blieben ohne Erfolg.
Diese Woche wird der Arbeitskampf nun also fortgeführt, das Pflegepersonal streikt heute und morgen erneut. Die Pfleger sind nicht alleine: Mitarbeiter der Rettungsdienste, Hebammen und sogar Physiotherapeuten haben ebenfalls genug und schließen sich dem morgigen Streik an. Rachel Harrison, Nationalsekretärin der GMB (eine der größten Gewerkschaften Großbritanniens), sagte dazu, ihre Mitglieder seien zur Arbeitsniederlegung am Montag gezwungen worden, da es keinen sinnvollen Dialog mit der Regierung gegeben habe. „Der NHS bröckelt, Menschen sterben und die Regierung zaudert.“
Dabei betrifft der Streik hauptsächlich England. Den Landesregierungen in Wales und Schottland gelang es bislang, die angedrohten Streiks abzuwenden. Hier laufen die Lohnverhandlungen besser; mehr Geld wurde bereits in Aussicht gestellt. Die englische Regierung hingegen zeigt sich weiterhin unkooperativ. Man hält daran fest, dass die Lohnerhöhung nicht bezahlbar sei, zu einer Unterfinanzierung anderer NHS-Sektoren führen oder die Inflation noch zusätzlich befeuern würde – Stichwort Lohn-Preis-Spirale.
Unterdessen gießt man in Westminster sogar noch zusätzlich Öl ins Feuer: Im Moment befindet sich ein umstrittenes Anti-Streik-Gesetz in der Mache, das es der Regierung künftig erlauben soll, bei Streiks im öffentlichen Sektor Mindestbesetzungen für das Personal festzulegen. Angestellte, die sich nicht an diese Mindestbesetzung halten und trotzdem streiken, sollen ihren Kündigungsschutz verlieren.
Begründet wird das Gesetz damit, dass die Versorgung der Bürger zu jedem Zeitpunkt gesichert sein soll. Das Gesetz wird allerdings als Angriff auf das Streikrecht an sich heftigst kritisiert. Die Rechtfertigung der Regierung erscheint fadenscheinig – schließlich sind die Gewerkschaften durch die bisherige Gesetzgebung schon jetzt dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass durch einen Streik keine Gefährdung entsteht. Daher ist auch bei den aktuellen Streiks für eine ausreichende Mindestbesetzung gesorgt.
Bildquelle: Aleks Marinkovic, unsplash.