SCHWARZBUCH | Eine Frau bringt auf einem noch schmutzigen Bett ihr Kind zur Welt. Eine Schürfwunde führt zur Amputation. Alltag in deutschen Krankenhäusern – schuld sind fehlende Kapazitäten.
Beim Projekt Schwarzbuch Krankenhaus sollen Erlebnisberichte verdeutlichen, dass die Versorgung in deutschen Krankenhäusern flächendeckend an ihre Grenzen gekommen ist. Auf der Internetseite schreiben die Initiatoren: „Wir, Arbeitende im Gesundheitssystem, berichten von Überlastung und Patientengefährdung im Arbeitsalltag. Die folgenden Erfahrungsberichte zeigen, wie die Gesundheitsversorgung in Deutschland wirklich ist.“
Wir bilden einen Teil der Erzählungen in leicht gekürzter Form auf DocCheck ab. Zu den Originaltexten und allen weiteren Berichten kommt ihr hier.
Eine Hebamme berichtet aus einem Dienst, den sie nicht vergessen wird: „Wir waren mit drei Hebammen im Spätdienst bei fünf voll belegten Kreißsälen, also übermäßig belastet. Eine Frau war unter Einleitung der Geburt am CTG. Keiner konnte ein Auge auf sie haben, da alle Kreißsäle mit Gebärenden belegt waren. Der 3. Kreißsaal sollte geputzt werden. Auf den Platz in diesem Kreißsaal wartete bereits eine stark mit Wehen belastete Frau unter der Geburt in der Entspannungswanne. Ich wollte ihn gerade putzen lassen, da hörte ich laute Rufe der Ärzte aus dem CTG-Zimmer: Die Herzfrequenz des Babys war stark abgefallen.“
Plötzlich seien zwei Ärzte rechts und links mit der Patientin in ihrer Mitte eingehakt auf den Flur gelaufen und hätten einen Notkaiserschnitt ausgerufen. Und jetzt? Die Hebamme berichtet weiter: „Kein anderer Kreißsaal war frei – der OP besetzt. Nur der eine Kreißsaal mit einem völlig blutverschmierten Kreißbett einer anderen Patientin war nicht belegt. Das rief ich den Ärzten zu. Ihre Antwort lautete: „Wirf einfach Laken drüber“. Schon wurde die Patientin auf das Kreißbett ‚manövriert‘. In aller Deutlichkeit heißt das: Sie musste – mit weit aufgerissenen Augen, sichtbar schockiert und mit nackten Füßen – über den Flur zu ihrem eigenen Notkaiserschnitt laufen. Wir hatten in diesem Dienst einfach nicht die Kapazität, diese Frau zu betreuen bzw. eine Pathologie des CTGs rechtzeitig zu bemerken, weil alle verfügbaren Hebammen zu viele Gebärende gleichzeitig betreuen mussten.“
Eine examinierte Pflegekraft, die normalerweise in der Gastroenterologie arbeitet, berichtet: „Auf einer anderen Station ist das Personal aus krankheits- und kündigungsbedingten Gründen zu wenig. Ich werde für einzelne Dienste gebeten, dort auszuhelfen. Der Fachbereich ist ein anderer. Ich komme zum Frühdienst, bereits am Vortag hat eine andere Pflegekraft auf dieser Station ausgeholfen. Ich erhalte einen mündlichen Bericht vom Nachtdienst, warum die Patienten auf Station sind, welche Nebendiagnosen sie haben, welchen Unterstützungsbedarf sie haben und welche Untersuchungen anstehen, bzw. was zu beachten ist. Von einem Patienten wird mir berichtet, dass er nach Hause entlassen wird.
Bei meinem ersten Rundgang durch die Zimmer, erfrage ich bei diesem Patienten, ob er noch Unterlagen benötigt. Da er an der Bettkante sitzt erblicke ich einen Fußverband, der sich halb ablöst und verschmutzt aussieht. Ich bespreche mit dem Patienten, dass ich diesen vor der Entlassung erneuern werde. In den Patientenunterlagen ist der Verband nicht beschrieben, auch in dem Bericht wurde er nicht erwähnt. Der Patient beschreibt, dort eine kleine Hautabschürfung zu haben und bedankt sich, dass sich der Aufwand für diese Kleinigkeit gemacht wird.
Bei Abnahme des Verbandes entleert sich dann schwallartig massiv Eiter. Durch täglich wechselndes Personal von unterschiedlichen Stationen, die in einem räumlich und fachlich fremden Bereich arbeiten mussten, und in Unterbesetzung (2 Pflegekräfte für je 16 Patienten), hatte man wohl den Schilderungen des Patienten von einer kleinen Hautabschürfung geglaubt und nicht nachkontrolliert. Der Patient musste in Folge wegen fortgeschrittener Blutvergiftung und Entzündung des Fußes auf die Intensivstation und wurde teilfußamputiert.“
Wenn auch ihr von Missständen in eurer Klinik berichten wollt, könnt ihr euch hier an Schwarzbuch Krankenhaus wenden.
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Bildquelle: Ed Leszczynskl, unsplash