SCHWARZBUCH | Die Erfahrungen, die Ärzte und Pfleger in ihrem Krankenhausalltag machen, sind alles andere als normal – und keine Einzelfälle. Das „Schwarzbuch Krankenhaus“ will das zeigen. Lest hier die Berichte.
Nie war sie leicht, aber in den letzten Jahren war sie besonders schwer – die Arbeit am Patienten. Vereinzelt berichten Angestellte aus der Pflege, dem Rettungsdienst und auch Ärzte in den sozialen Medien von Missständen und zunehmend gefährlichen Situationen. Doch die Krankenhäuser schweigen – alles sei unter Kontrolle, es handele sich um Einzelfälle.
Um zu zeigen, dass das eben nicht der Fall ist und wir es in Deutschland mit einem systemischen Problem zu tun haben, wurde jetzt das Projekt Schwarzbuch Krankenhaus ins Leben gerufen. Auf der Internetseite schreiben die Initiatoren: „Wir, Arbeitende im Gesundheitssystem, berichten von Überlastung und Patientengefährdung im Arbeitsalltag. Die folgenden Erfahrungsberichte zeigen, wie die Gesundheitsversorgung in Deutschland wirklich ist.“
Wir bilden in den nächsten Wochen einen Teil der Erzählungen in leicht gekürzter Form auf DocCheck ab. Zu den Originaltexten und allen weiteren Berichten kommt ihr hier.
Eine Auszubildende im zweiten Lehrjahr an einer Uniklinik erzählt davon, wie sie es in einem ihrer Dienste nicht schaffte, einem versterbenden Patienten während seiner letzten Minuten beizustehen. Es handelte sich um einen an COVID-19 erkrankten, älteren Patienten, der in einem Isolierzimmer lag. Jeder Gang in sein Zimmer war also mit viel Aufwand und einem Kleidungswechsel in der Schleuse verbunden – eine Maßnahme, die viel Zeit in Anspruch nimmt. Sind mehrere Pfleger in Zimmern dieser Art, ist es wichtig, dass immer auch jemand ‚draußen‘ verfügbar bleibt.
Aufgrund der dünnen personellen Besetzung war es der angehenden Pflegerin also nicht möglich, die Normalstation zu verlassen und sich zu dem im Sterben liegenden Mann zu setzen. Sie schreibt: „Ich musste draußen bleiben, da alle examinierten Pflegekräfte gerade in den Zimmern waren oder andere wichtige Aufgaben zu erledigen hatten. Und so stand ich vor dem Monitor [vor seinem Zimmer] und habe beobachtet, wie der Herzschlag des Sterbenden immer langsamer wurde und die Sauerstoffsättigung immer weiter sank. Ich habe dem Patienten also von draußen beim Sterben zugeguckt, weil einfach zu wenig Personal da war, um ihn in seinen letzten Lebensminuten zu begleiten.“
In einem anderen Bericht erzählt jemand von einer Situation, die er/sie beim Verteilen des Essens auf der Station eines Krankenhauses erlebte. Die Person schreibt: „In dem ersten Zimmer komme ich rein, bringe das Tablett und sehe, dass ein Patient auf dem Bett zappelt. Ich frage ihn: „Ist Ihnen kalt?“ und sein Bettnachbar sagt: „Nein, dem geht’s nicht gut, wir haben schon geklingelt aber leider kommt keiner“. Dann bin ich raus zu der Pflege und sage: „Hallo, hier muss jemand kommen“. Die Schwestern waren unter Stress, sehr schlecht besetzt, machten gerade die Insulinspritzen für die Diabetiker fertig und sagten: „Nein, warte. Wir haben jetzt keine Zeit“.“
Als er/sie den Schwestern die gesehene Situation beschreibt, hätten sie dann plötzlich alles stehen und liegen gelassen und seien in das Krankenzimmer geeilt. „Sie haben sofort Leute von der anderen Station gerufen und sind mit diesem Wagen gekommen. Ich habe schnell Platz gemacht mit meinem Essenswagen, bin weitergegangen und ich glaube, sie haben den Patienten dann reanimiert.“ Bald danach sei die eine Seite der Station wegen Personalmangel geschlossen worden.
In einem stressigen Dienst arbeitet ein Arzt wieder mal alleine – so war es laut Dienstplan vorgesehen. Von Dienstbeginn an klingelt sein Telefon fast ununterbrochen und er hetzt von A nach B, um alle Notfälle zu versorgen. Er beschreibt: „Die ganze Zeit über kam ich nicht dazu was zu essen, zu trinken oder kurz zu verschnaufen.“
Dann bekam er eine junge Patientin überwiesen, die in Folge eines epileptischen Anfalls gestürzt war und eine Computertomografie von ihrem Kopf und ihrer Halswirbelsäule brauchte, um schwerwiegende Verletzungen auszuschließen. „Als die Patientin zu mir kam, war sie ansprechbar und stabil. Aus diesem Grund hat die Kollegin aus der Notaufnahme sie allein bei mir gelassen, denn auch in der Notaufnahme war wieder die Hölle los und meine Kollegin war auch dort allein im Dienst und musste zurück zu den anderen Patienten.“ Er konnte die Untersuchung ohne Zwischenfälle durchführen. Doch als er gerade fertig war, bemerkte er, dass die Patientin wieder anfing zu krampfen.
„Sofort rannte ich in den Untersuchungsraum, holte die Patientin aus dem Gerät, hielt sie fest und schrie um Hilfe. Doch leider hörte mich niemand, denn ich war allein. Mein Telefon lag im Schaltraum und hing am Ladekabel, denn den ganzen Tag über hatte ich keine Zeit es aufzuladen. Irgendwann entschied ich mich, die Patientin nicht mehr zu fixieren und musste dabei in Kauf nehmen das sie vom Tisch fällt, um mein Telefon zu holen. Ich rannte mit Telefon zur Patientin zurück, hielt sie wieder fest und rief den Herzalarm an.“
Die Ärzte und Pflegekräfte kamen schnell zur Hilfe und versuchten mit Medikamenten den epileptischen Anfall zu durchbrechen. Da das leider zunächst nicht funktionierte, musste die Patientin noch länger fixiert werden, um zu verhindern, dass sie sich weiter verletzt. Der Arzt schreibt: „Dieses Festhalten war für mich körperlich und seelisch so anstrengend, dass ich auch fast in Ohnmacht gefallen bin. Denn schließlich hatte ich auch den ganzen Tag keine Zeit etwas zu essen oder zu trinken.“
Zuletzt schreibt er: „Vielleicht haben sie in Ihrem Umfeld auch jemanden, der an Epilepsie leidet – stellen Sie sich vor, dieser Vorfall hätte einen Ihrer Lieben betroffen. Eine unvorstellbare Situation. Diese Situation wäre nicht passiert, wenn ich nicht allein hätte arbeiten MÜSSEN.“
Wenn auch ihr von Missständen in eurer Klinik berichten wollt, könnt ihr euch hier an Schwarzbuch Krankenhaus wenden.
Bildquelle: Sasha Freemind, unsplash