Soll ich mein eigenes Kind gegen COVID-19 impfen? Selbst Experten sind sich hierzulande in diesem Punkt noch nicht ganz sicher. In den USA sind die Kinderimpfungen schon in vollem Gange. Was sagt ihr dazu?
Schon ab dieser Woche sollen die Coronaschutzimpfungen für Kinder zwischen fünf und elf Jahren starten. Laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums stehen etwa 2,2 Millionen Impfdosen zur Verfügung. Zuletzt hatte sich die STIKO in einer Pressemitteilung für die Kinderimpfung ausgesprochen (wir berichteten). Darin gilt die Empfehlung „für Kinder im Alter von 5–11 Jahren mit verschiedenen Vorerkrankungen“. Auch Kinder im Umfeld von Kontaktpersonen mit hohem Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf sind darin mit eingeschlossen.
Nach individuellem Wunsch der Kinder und Eltern bzw. Sorgeberechtigten können auch Kinder außerhalb dieser Gruppen geimpft werden. Die Impfung selbst wird mit Comirnaty® (10 µg) im Abstand von 3 bis 6 Wochen durchgeführt. Nicht nur in Kinderarztpraxen, sondern auch in öffentlichen Impfzentren sowie bei besonderen Impf-Aktionen sollen Kinder geimpft werden. Die EMA hatte sich bereits Ende November für die Kinderimpfung ausgesprochen (wir berichteten); in anderen Ländern, wie etwa in Kanada, den USA oder Israel, ist sie bereits seit November möglich.
Bei der Nutzen-Risiko-Abschätzung für eine solche Entscheidung wird abgewogen, wie häufig schwere COVID-19-Erkrankungen sowie anhaltende Symptome oder ein mit dem Virus zusammenhängender Tod in der betreffenden Altersgruppe sind und inwiefern Risiken von der Impfung selbst ausgehen können. Doch aufgrund der dürftigen Datenlage stand die STIKO mit ihrer Entscheidung vor einem Dilemma – denn auch Experten sind sich nicht ganz einig. Kurz nach dem EMA-Entschluss meldeten sich einige beim Press Briefing des Science Media Center zu Wort: Was spricht für und was spricht gegen die Impfung der Fünf- bis Elfjährigen?
Die EMA hatte ihre Entscheidung auf Basis der klinischen Zulassungsstudie der Unternehmen Pfizer/Biontech getroffen. STIKO-Mitglied Prof. Fred Zepp äußerte Bedenken: „Um die Immunogenität des Impfstoffs zu beurteilen, reichen die Daten schon aus. Um die Sicherheit des Impfstoffs zu beurteilen, ist es natürlich – wir sind im Augenblick besonders kritisch, was die Entwicklung von Herzmuskelentzündungen nach Impfung angeht – völlig unzulänglich.“
Zepp betonte nochmals, dass eine Zulassung nicht gleich eine Empfehlung sei. Im Falle einer Zulassung werde lediglich geprüft, ob der Antrag des Herstellers durch die Studien einigermaßen belegt sei. Bei einer Empfehlung werde dagegen nochmals geprüft, für welche Gruppen der Gesellschaft eine Impfung sinnvoll sei. Das erklärt auch das Zögern der STIKO bis zuletzt mit ihrer Empfehlung. Zu berücksichtigen ist an dieser Stelle, dass die Empfehlung bisher für Risikogruppen ausgesprochen wurde, nicht für die gesamte Altersgruppe.
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Auch Prof. Philipp Hennecke, Leiter der pädiatrischen Infektiologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Freiburg, äußerte sich kritisch zur Kinderimpfung. So sehe er zwar viele Fälle in der ambulanten Pädiatrie, doch spiele das im Krankenhaus praktisch keine Rolle – d. h. es gebe kaum Kinder, die aufgenommen werden müssen, trotz hoher Krankheitslast. „Es gibt für das einzelne zu impfende Kind wenig zu gewinnen durch den Impfstoff und deswegen muss dieser Impfstoff wirklich über jeden Zweifel erhaben sein, was die Sicherheit angeht“, fügt Hennecke hinzu.
Ein weiterer Aspekt, der in der Argumentation berücksichtigt werden muss, ist die weitere Eindämmung des aktuellen Pandemiegeschehens. Dr. Berit Lange, Leiterin der klinischen Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, verweist diesbezüglich auf die Daten der 12- bis 17-Jährigen: Man habe festgestellt, dass eine höhere Impfquote mit weniger Hospitalisierungen einhergeht, auch wenn diese insgesamt bei Kindern auf einem niedrigen Niveau sind. „Aber man reduziert dieses Risiko auch für Krankenhausaufnahmen deutlich“, fügt sie hinzu. Sie erklärt, dass die USA solche Modellierungen für die jüngere Altersgruppe der Fünf- bis Elfjährigen erfasst haben und man dort eine ähnliche Entwicklung beobachten konnte. Jedoch komme dabei hinzu, dass eine Mehrheit der Kinder dort anders vorbelastet sei, aufgrund von Adipositas oder dem ethnischen Hintergrund, so Lange.
Sie geht außerdem auf die Varianten und ihren Einfluss auf das Pandemiegeschehen ein. „Bei jeder dieser Varianten ist immer gefragt worden: Ist die jetzt relevanter für die Kinder als vorher? Bei Alpha war das der Fall, bei Delta war das der Fall.“ Doch ein Problem sei, dass das am Anfang nie beurteilt werden könne, erklärt Lange. Für Erwachsene sei eine solche Einschätzung zu Beginn einfacher als für Kinder, aufgrund des niedrigeren absoluten Risikos. Man könne am Anfang nur sagen, dass es vermutlich ähnliche Verläufe wie bei Erwachsenen gebe und dass diese Annahme im Nachhinein ungefähr bestätigt werde, fügt sie hinzu.
Trotz dieser Bedenken sprachen sich alle drei Experten Ende November für eine Kinderimpfung und die Impfung ihrer eigenen Kinder aus. Lange betonte, dass sie ihre Kinder zeitnah impfen möchte, es letztendlich aber eine individuelle Entscheidung sei. Hennecke wartet auf die STIKO-Empfehlung und darauf, dass die logistische Anforderung für die niedrigere Präparat-Dosierung bewerkstelligt sind. Mit dieser Woche wäre das nun der Fall.
STIKO-Mitglied Zepp bleibt zögerlich, betont aber: „Wenn die ständige Impfkommission jetzt aufgrund der Datenlage, die wir haben, [die Impfung] nur für eine bestimmte Gruppe vorerkrankter Kinder empfiehlt, dann ist das keine Empfehlung gegen die Impfung.“ Für sein Enkelkind, das ansonsten gesund sei, würde er sich noch vier bis sechs Wochen Zeit nehmen, bis mehr über die Sicherheit der Impfstoffe bekannt ist. Er begründet das damit, dass das Risiko einer schwerwiegenden Erkrankung in dieser Altersgruppe gering sei.
Mittlerweile sieht die Datenlage etwas anders aus: Mit fast 5 Millionen Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren, die bereits gegen COVID-19 geimpft sind, ergibt die Real-World-Überwachung, dass Impfstoffe für kleine Kinder sicher sind, sagt Dr. Rochelle Walensky, Direktorin der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC. In diesem Zusammenhang konnte die Behörde bisher keine Fälle von Myokarditis als potenzielle Nebenwirkung der mRNA-Impfung erfassen.
„Wir haben noch nichts gesehen“, sagte Walensky. „Wir haben ein unglaublich robustes Impfstoffsicherheitssystem, und wenn [Probleme] da wären, würden wir sie finden.“
Laut Angaben der CDC liegt die Impfquote in den USA in dieser Altersgruppe aktuell bei 19 Prozent, davon sind 9,1 Prozent vollständig geimpft.
Doch wichtig ist auch hier: Die Impfungen starteten erst im November. Die meisten Kinder haben bisher lediglich eine Impfung erhalten. Der Nachbeobachtungszeitraum liegt – ähnlich wie bei der Zulassungsstudie – bei knapp 2 Monaten; wünschenswerter wären drei bis sechs Monate.
Die Kinderimpfung scheint eine Rolle im aktuellen Infektionsgeschehen zu spielen. Was meint ihr dazu? Macht jetzt bei unserer Umfrage mit:
Bildquelle: Distinct Mind, unsplash