Es wurde heftig gestritten im Bundestag – aber am Ende ist das neue Infektionsschutzgesetz beschlossen. Die Union droht jetzt mit Blockade. Außerdem: Novavax beantragt die EU-Zulassung für seinen Totimpfstoff.
Die Corona-Lage in Deutschland spitzt sich jeden Tag weiter zu: Am Donnerstagmorgen (18.11.2021) meldeten die Gesundheitsämter dem Robert-Koch-Institut (RKI) 65.371 Neuinfektionen. Damit gibt es erneut einen Rekordwert. Seit Beginn der Pandemie wurde jetzt erstmals die Marke von 60.000 neuen Fällen überschritten.
Angesichts der explodierenden Zahlen machte RKI-Chef Lothar Wieler jetzt eine klare Ansage. Er warnte vor einer weiteren Eskalation der Corona-Pandemie, einem deutlichen Anstieg der Todesfälle und einem „sehr schlimmen Weihnachtsfest, wenn wir jetzt nicht handeln“. Bei einer Online-Diskussion des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zeichnete er am Mittwochabend ein düsteres Bild der Corona-Lage in Deutschland – in den sozialen Medien geht sein Beitrag als emotionale Wutrede viral.
„Wir waren noch nie so beunruhigt“, sagt Wieler darin. „Es herrscht eine Notlage in unserem Land. Wer das nicht sieht, macht einen großen Fehler.” Vor allem die Lage in den Krankenhäusern werde immer schlimmer. Die Suche nach einem freien Intensivbett für Schwerkranke wie etwa Schlaganfallpatienten dauere jetzt schon zu lange – mancherorts bis zu zwei Stunden.
Ein weiteres großes Problem: Laut Wieler könnte die Zahl der tatsächlichen Neuinfektionen dreimal so hoch sein wie offiziell registriert. „Die Untererfassung der wahren Zahlen verstärkt sich“, so Wieler. Es würden sich „mindestens noch einmal doppelt oder dreimal so viele“ Infektionen hinter denen verbregen, die derzeit pro Tag neu registriert würden. Bliebe die Neuinfektionsrate gleich, könnten nach Wielers Rechnung in einigen Wochen statt 400 bis zu 1.200 Personen täglich an dem Corona-Virus sterben.
Er fordert nun die konsequente Durchsetzung von 2G-Regeln. Impfverweigerern dürfe nicht die Chance gegeben werden, die Impfung zu umgehen, indem sie sich freitesten. Außerdem sollte auch in Apotheken geimpft werden, um das Impf-Tempo zu erhöhen. „Jeder Mann und Maus, der impfen kann, soll jetzt gefälligst impfen. Sonst kriegen wir diese Krise nicht in den Griff“, so Wieler.
Der Bundestag hat heute (18.11.2021) entschieden, mit welchen Maßnahmen Deutschland durch den Corona-Winter kommen soll. Mit der Mehrheit der Ampel-Parteien wurde das neue Infektionsschutzgesetz beschlossen. Der Union gehen die Maßnahmen nicht weit genug; sie droht mit einer Blockade im Bundesrat. Dieser soll morgen über das Gesetz entscheiden.
Die Kritik der Union: Die Pläne der Ampel-Parteien würden „der Dramatik der Lage nicht gerecht“, so Unionsfraktionsvize Stephan Stracke (CSU). Es sei ein Fehler, die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ auslaufen zu lassen. Von allen Abgeordneten stimmten 398 für die Gesetzesänderung, 254 dagegen, 36 enthielten sich.
Nicht mehr möglich sind ab Mitte Dezember demnach flächendeckende Schließungen von Schulen, Kitas, Betrieben und Gastronomie sowie Ausgangssperren. Erhalten und weiterhin möglich bleiben Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten Raum, 3G- und 2G-Zugangsregelungen, die Masken- und Testpflicht, das Abstandsgebot, beschränkte Personenanzahlen bei Veranstaltungen und Betriebsschließungen im Einzelfall. Die Landesregierungen müssen jetzt noch darüber entscheiden, ab welchen Schwellenwerten die Maßnahmen in den jeweiligen Ländern gelten sollen.
Die Ampel-Fraktionen haben darüber hinaus weitere Maßnahmen beschlossen, wie etwa bei Fälschungen von Impfausweisen härter durchzugreifen. Sowohl das Fälschen als auch der Gebrauch gefälschter Impfzertifikate sollen strafbar werden. Außerdem gilt in Pflegeeinrichtungen eine tägliche Test-Pflicht für nicht geimpftes Personal. Auch Ärzte bekommen neue Pflichten: Sie sollen abends und am Wochenende Impftermine anbieten, um das Impftempo zu beschleunigen.
Noch ein wichtiger Termin: Heute (18.11.2021) schalten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz zu einem Corona-Gipfel per Video mit den Regierungschefs der Länder zusammen.
Es werde vor allem darum gehen, ab welcher Hospitalisierungsrate zusätzliche Corona-Maßnahmen greifen sollen. Dabei sollen Experten aus der Wissenschaft zu Wort kommen. Sie werden Erkenntnisse dazu präsentieren, „welche Schutzmaßnahmen die Infektions- und Hospitalisierungsinzidenz sowie den R-Wert schnell und wirksam senken könnten“, heißt es einem Artikel von Zeit Online.
Endlich ist sie da: Die STIKO-Empfehlung für COVID-19-Auffrischimpfungen ab 18 Jahren. Das Gremium hat sich heute (18.11.2021) in Berlin dafür entschieden. Der Booster solle grundsätzlich sechs Monate nach der letzten Corona-Impfung der Grundimmunisierung verabreicht werden, ein flexibler Abstand sei aber möglich. „Eine Verkürzung des Impfabstandes auf fünf Monate kann im Einzelfall oder wenn genügend Kapazitäten vorhanden sind, erwogen werden“, so hieß es. Der entsprechende Entwurf liegt den Fachkreisen der Bundesländer nun zur Abstimmung vor. Änderung seien noch möglich, die Empfehlung ist somit nicht final.
Bereits Anfang der Woche verkündete STIKO-Chef Mertens in der Talk-Show von Markus Lanz, dass eine baldige Empfehlung der STIKO für die Auffrischimpfung ab 18 Jahren erfolgen wird. Bisher galt die Empfehlung für die Altersgruppe ab 70 Jahren (wir berichteten). Die STIKO empfiehlt die Auffrischung mit einem mRNA-Impfstoff, unabhängig davon, was vorher verimpft wurde. Die Empfehlung gilt auch für Schwangere ab dem dritten Monat.
In der Bekämpfung von SARS-CoV-2 tut sich weiterhin viel: Das US-amerikanische Pharmaunternehmen Novavax hat für seinen Impfstoff gegen COVID-19 eine Marktzulassung in der EU beantragt. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA wird in den nächsten Wochen eine Entscheidung treffen. Ein solch kurzer Entscheidungszeitraum ist durch das Rolling-Review-Verfahren möglich, da die Behörde bereits einige Daten evaluiert hat. Damit würde es sich um den ersten proteinbasierten Impfstoff der COVID-19-Pandemie handeln. Neben den Vektor- und mRNA-Impfstoffen wäre das der fünfte zugelassene Impfstoff in der EU und der einzige proteinbasierte Totimpfstoff. Sollte es nur zu einer bedingten Marktzulassung kommen, müsste die EU-Kommission endgültig darüber entscheiden. Dies gilt jedoch als reine Formsache. Die Vermarktung würde unter dem Namen Nuvaxovid® laufen.
Der Pharmakonzern zielt vielerorts auf eine Zulassung: So gaben Novavax und das südkoreanische Unternehmen SK Bioscience Anfang der Woche die Einreichung einer Biologics License Application (BLA) ihres Totimpfstoffs beim südkoreanischen Ministerium für Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit (MFDS) bekannt. In Indonesien wurde der Impfstoff bereits unter dem Namen Covovax® zugelassen. Auch auf den Philippinen ist der Impfstoff diesen Monat (November 2021) zugelassen worden. Anträge auf eine vorläufige Zulassung liegen den Arzneimittelbehörden in Neuseeland, Australien, Großbritannien und Kanada ebenfalls vor.
Novavax ist nicht allein: Pfizer und Biontech haben in den USA eine Notfallzulassung bei der FDA für ihr COVID-19-Medikament Paxlovid® beantragt. Es wird oral verabreicht und eignet sich zur Behandlung von milden bis moderate COVID-19-Infektionen bei Patienten, die ein erhöhtes Risiko für Hospitalisierung oder Tod haben.
Die Zulassungsdaten umfassen Ergebnisse der klinischen Phase-II-/III-Studien. Sollte eine Zulassung erfolgen, handelt es sich um das erste orale antivirale Medikament, einen 3CL-Protease-Inhibitor, das bereits nicht hospitalisierten COVID-19-Patienten ab 18 Jahren verschrieben werden könnte, um schwere Verläufe zu verhindern.
Bei diesen Medikamenten geht es um viel Geld: So werden für eine Therapie – ca. fünf Tage, drei Tabletten, 2x täglich – etwa 700 Dollar abgerechnet. Ärmeren Ländern sollen die Arzneimittel nach Zulassung jedoch billiger zur Verfügung gestellt werden. Dank einer freiwilligen Lizenzvereinbarung mit dem Medicines Patent Pool (MPP) können Unterlizenzen an qualifizierte Generikahersteller vergeben werden, um Produktion, Vertrieb und Zugang in ärmeren Ländern zu erleichtern. Diese Unterlizenzierung erfolgt in Kombination mit Ritonavir in 95 Ländern, was etwa 53 Prozent der Weltbevölkerung abdeckt.
Die Hospitalisierungsrate lag laut RKI am Mittwoch bei 5,15 (am Dienstag, 16.11.2021 bei 4,86). Am Donnerstag wurden innerhalb eines Tages 264 Todesfälle registriert.
Aktuell sind in Deutschland 70 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft. 4,8 Mio. Personen haben zusätzlich eine Auffrischungsimpfung erhalten. Bundesweit sind etwa 25 Mio. Menschen zurzeit noch ungeimpft (30 Prozent). Das betrifft nicht nur Impfskeptiker, sondern auch Kinder unter 12 Jahren, für die bisher kein Impfstoff zugelassen ist.
Das DIVI-Intensivregister registrierte bis zum 17. November 2021 bundesweit 21.827 belegte Intensivbetten, 3.112 Intensivbetten waren verfügbar.
Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Sharin Santhiraraja-Abresch entstanden.
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