Die Empfehlung für die Booster-Impfung ab 18 Jahren wird kommen. Hausärzte befürchten einen Ansturm auf ihre Praxen – auch über den Abstand zur letzten Impfung herrscht Unsicherheit.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mischt schon länger bei der Diskussion um die Booster-Impfungen mit. Er drängt auf die Empfehlung für alle ab 18 Jahren; bisher empfiehlt die STIKO die Auffrischungsimpfung lediglich Menschen ab 70 und medizinischem Personal. STIKO-Chef Thomas Mertens verkündete gestern in der Talkshow von Markus Lanz, er rechne mit einer baldigen Empfehlung für alle ab 18 Jahren. Am heutigen Mittwoch soll darüber beraten werden. Eine Entscheidung wird derzeit für Donnerstag oder spätestens Freitag erwartet und es gilt als gesetzt, dass diese dann in der Bundespressekonferenz erläutert wird.
Einer der interessanten Punkte dabei ist neben der generellen Indikation der genaue Abstand zwischen Zweitimpfung und Booster. „Gewöhnlich unterrichtete Kreise“ gehen davon aus, dass die 6-Monats-Empfehlung bei der STIKO auftaucht. Auch hier ist die Politik etwas forscher: Dieser Abstand sei als „zeitliche Richtschnur zu verstehen, der natürlich nicht tagesgenau einzuhalten“ ist, heißt es in einem Brief von Spahn und dem Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, an alle Vertragsärzte in Deutschland.
Hinter einer etwas flexibleren Handhabung der 6-Monats-Frist stehen auch führende Experten. Ein Tweet des Internisten und Impfstoffforschers Leif Erik Sander von der Charité Berlin machte gerade nochmal deutlich, dass Impfärzte sich nicht an die magische 6-Monats-Grenze klammern müssen: „Wir brauchen jetzt Pragmatismus statt Dogmatismus & Bürokratie. Ein gegebener Booster ist immer besser als [ein] nicht gegebener.“
Bei Hausärzten kommt die Aufweichung der Empfehlung offenbar nicht besonders gut an. Ulrich Weigeldt, Vorsitzender des Hausärzteverbandes, fordert Priorisierungen nach Altersgruppen: „Vor allem bei weniger gefährdeten, jüngeren, gesunden Menschen ist es nach den bisherigen medizinischen Erkenntnissen nicht erforderlich, auf den Tag genau nach sechs Monaten eine Booster-Impfung durchzuführen.“ Hintergrund ist, dass die Hausärzte Sorge haben, dass ihre derzeit ohnehin schon gut ausgelasteten Praxen komplett überrannt werden.
Im Vereinigten Königreich ist man schon einen Schritt weiter, was den dritten Shot angeht. Die dortige STIKO, das JVCI, hat die Empfehlung inzwischen geändert: Booster-Impfungen werden jetzt für alle Erwachsenen über 40 Jahren empfohlen. Grundlage für die Entscheidung sind unter anderem die positiven Daten zur Impfeffektivität unter realen Bedingungen in der britischen Bevölkerung. Die Auswertung zeigt, dass Booster-Impfungen effektiv vor symptomatischen COVID-19-Erkrankungen schützen können.
In der Altersgruppe der über 50-Jährigen, die zunächst eine doppelte AstraZeneca-Impfung erhalten haben, erhöht ein mRNA-Booster 2 Wochen nach Erhalt den Schutz vor einer symptomatischen Erkrankung demnach von 44 Prozent auf 93 Prozent. Waren die Ü50-Impflinge zuerst zweifach mit Biontech geimpft, dann erhöhte ein Booster den Schutz von 62,5 Prozent auf 94 Prozent. Damit übertrifft der Schutz durch den Booster den durch die zweimalige Grund-Immunisierung: Dieser belief sich in der Studie 2 Wochen nach Erhalt von AstraZeneca auf 87,4 Prozent und bei Biontech auf 84,4 Prozent.
Beim Schutz vor Hospitalisierungen und Tod schneidet die Grundimmunisierung bekanntlich schon ohne Booster gut ab. Allerdings geht auch dieser Schutz über alle Altersklassen hinweg leicht zurück. Das zeigt der aktuelle Impfreport aus UK. In der adjustierten Auswertung schützen zwar alle 3 Impfstoffe – AstraZeneca, Biontech und Moderna – Menschen über 16 Jahren zu über 90 Prozent vor Hospitalisierungen und Tod, auch bei Infektionen mit der Delta-Variante. In den meisten Altersgruppen nimmt der Schutz vor Krankenhausaufenthalten und Tod über einen Zeitraum von mindestens 5 Monaten nach der zweiten Dosis aber doch etwas ab – beim AstraZeneca-Impfstoff stärker als beim mRNA-Vakzin von Biontech.
Ein Blick in die weiter hinten im UK-Impfstoffreport aufgeführten Rohdaten der Impfstoffwirksamkeit zeigt die abnehmende Wirksamkeit gegen schwere Verläufe noch etwas deutlicher. Die Wirksamkeit liegt dort je nach Altersklasse eher in der Größenordnung von 75 Prozent als von 95 Prozent. Bei diesen (in UK viel diskutierten) Daten gilt es allerdings zu beachten, dass Störfaktoren noch nicht herausgerechnet wurden. Ein Beispiel dafür: Viele Menschen, die aufgrund ihres Alters, Berufs oder wegen zugrundeliegender gesundheitlicher Probleme zuerst geimpft wurden, sind per se einem höheren Risiko für COVID-19 ausgesetzt und infizieren sich leichter. In den adjustierten Wirksamkeitsdaten der Impfstoffe ist so etwas berücksichtigt, in den Rohdaten nicht.
Noch aus einem anderen Grund könnte die Auffrischung für alle sinnvoll sein, nämlich um das Pandemiegeschehen weiter eindämmen zu können. Israel geht wieder mal als positives Beispiel voran und zeigt, wie es gehen kann. Dort herrschte schon vor Monaten das Problem, das wir in Deutschland jetzt gerade haben: Rund 30 Prozent der Bevölkerung hatten sich bisher nicht impfen lassen. Mit Beginn der vierten Infektionswelle rollte Israel die Booster-Kampagne mit dem mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer aus.
Während zunächst nur Ältere und Risikopatienten den Booster erhielten, wurde der Impfstoff sukzessive auch jüngeren Altersgruppen angeboten. Das Ergebnis: Nicht nur ging die Hospitalisierungsrate in allen Altersgruppen zurück. Kurz nach Beginn der Impfkampagne für die dritte Dosis begann auch die Inzidenz in den jeweiligen Altersgruppen im Vergleich zu den noch nicht geimpften Altersgruppen zu sinken. Auch hier gilt allerdings: Kausal bewiesen ist es bisher nicht, dass die Eindämmung der Israel-Welle ausschließlich eine Booster-Folge war. Auch die natürliche Wellendynamik könnte eine Rolle gespielt haben: Schätzungen zufolge haben sich in der bislang letzten israelischen Welle immerhin 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung infiziert.
Bildquelle: Emily Morter, Unsplash