Teil 3 | Vor mir sitzt eine Frau. Über ihre Wangen laufen Tränen. Ihr Ehemann sei depressiv und wolle keine Hilfe annehmen. Sie sagt, sie könne nicht mehr. Was ich in solchen Situationen als Hausärztin tue.
In den ersten beiden Teilen habe ich mir darüber Gedanken gemacht, wie Betroffene eine Depression erleben und wie ich sie als behandelnde Ärztin wahrnehme. Jetzt geht es um einen dritten Blick auf die Depression: der von Angehörigen.
„Ich kann nicht mehr. Wirklich, ich mache es auch nicht mehr. Glauben Sie mir, ich habe alles versucht. Verständnis, Unterstützung, Schimpfen, zum Arzt schleppen, Ignorieren. Nichts hilft. Ich muss mich wieder um mich selbst kümmern.“
Eine Ehefrau saß verzweifelt vor mir, die Tränen liefen über die Wangen. Ihr Ehemann zog sich immer mehr zurück und wollte keine Hilfe annehmen. Die Angst vor Stigmatisierung und die Erwartungen an das eigene Funktionieren, Scham, hielten den Mann davon ab. In der älteren Generation noch mehr als in der jüngeren.
Er war nicht mein Patient, für ihn konnte ich hier nichts tun. Aber für sie. Nämlich sie dabei zu unterstützen, ihren Mann zu unterstützen. Ich gab ihr den Raum, wütend und traurig sein zu dürfen und ihre Ängste zur Sprache zu bringen. Weil es auch für Angehörige nicht leicht ist, immer stark und verständnisvoll und geduldig zu sein.
Für die Depressiven ist das aber essentiell. Ich habe einen Satz gelesen: Hoffnungslosigkeit gehört zur Depression wie der Schnupfen zur Grippe. Hmpf. Nein. Schnupfen gehört zur Erkältung und nicht zur Grippe. Aber das nur am Rande. Aber ja, Hoffnungslosigkeit gehört zur Depression und weil diese Hoffnungslosigkeit dazu führt, dass Depressive nicht zum Arzt gehen, brauchen Angehörige eine Menge Geduld.
Ratschläge, dass es „keinen Grund für die Verstimmung gebe“ und „doch alles gut sei“, verschlimmern die Schuldgefühle der Patienten. Auch Tipps wie „Geh doch einfach mal raus“ helfen nicht, sondern steigern das Gefühl der Unfähigkeit und der Schuld bei den Erkrankten noch mehr.
Ständiges Drängen ist nicht hilfreich. Die Patienten sich selbst zu überlassen aber auch nicht. Oft hilft es, dem anderen zu vermitteln, dass man da ist, wenn benötigt. Dass man unterstützt. Dass der andere nicht alleine ist. Dass es nicht schlimm ist, wenn manche Dinge nicht funktionieren.
Angehörige dürfen sich aber auch einräumen, sich Zeit für sich nehmen oder die Wut bei Freunden oder dem Hausarzt rauszulassen. Aus Sicht von Depressiven ist es sogar hilfreich zu sehen, dass es den Angehörigen dennoch gut geht. Weil es das Schuldgefühl verstärkt, wenn sie den Eindruck haben, alle um sich mit in die Depression zu reißen.
Wenn von Suizidalität gesprochen wird, muss man manchmal die Reißleine ziehen und sich auch gegen den Willen des Erkrankten Hilfe von außen suchen. Nach überstandener Krankheit sind die meisten Depressiven froh, dass sie ihrem Leben kein Ende gesetzt haben. Denn die Depression ist eine Krankheit, die man nicht einfach mit etwas Willenskraft kontrollieren kann. Sie ist ein Miststück. Sie ist die schwarze Wolke, die einen umgibt. Der Nebel, der sich lichten muss. Niemand kann etwas dafür. Weder Kranke noch Angehörige.
Das war der letzte von drei Teilen, in dem es über unterschiedliche Blicke auf die Depression geht. Den ersten Teil findet ihr hier, Teil Nummer zwei könnt ihr hier nachlesen.
Bildquelle: Matthew Brodeur, Unsplash