Immer wieder wurde über Kinder berichtet, die an COVID-19 erkrankten und Symptome aufwiesen, die dem Kawasaki-Syndrom ähneln. Einer Studie zufolge handelt es sich hier aber um ein neues Krankheitsbild, das von dem Syndrom abzugrenzen ist.
Im Mai war im Vereinigten Königreich und einigen europäischen Ländern über eine auffällig hohe Zahl an COVID-19-Fällen mit bestimmten Symptomen berichtet worden: Es handelte sich um ein multisystemisches Entzündungssyndrom, das der Kawasaki-Krankheit ähnelt (wir berichteten).
Schon damals war in manchen Publikationen die Rede vom Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome Temporally associated with SARS-CoV-2 (PIMS-TS). Jetzt soll PIMS-TS bzw. MIS-C als eigenes Krankheitsbild betrachtet werden, wie ein Forscherteam in seiner aktuellen Arbeit nahelegt, die in JAMA veröffentlicht wurde. Im Rahmen der Studie wurden die Hauptsymptome und klinischen Marker des neuen Syndroms identifiziert.
Die Studie wurde vom Imperial College Academic Health Science Centre (AHSC) durchgeführt. Ein Team aus unterschiedlichen Kliniken Englands arbeitete mit dem Kawasaki Disease Research Center at the University of California San Diego zusammen.
Untersucht wurden 58 Kinder, die in acht englische Krankenhäuser aufgenommen worden waren. „Das neue Krankheitsbild PIMS-TS ist extrem selten, kann ein Kind aber sehr krank machen, also ist es wichtig, die Krankheit entsprechend zu beschreiben, um […] die bestmögliche Behandlung sicherzustellen“, sagt Erstautorin Dr. Elizabeth Whittaker von der Abteilung für Infektionskrankheiten am Imperial College London.
Zwar gehen die Forscher davon aus, dass die Krankheit extrem selten ist, doch es besteht die Sorge, dass es zu lang andauernden koronaren Schäden kommen kann. In England wurden bisher weniger als 200 Fälle gemeldet. Symptome und Krankheitsschwere variierten, ein Großteil der Kinder gilt als genesen.
„Unsere Analyse hat gezeigt, dass dies wirklich eine neue Krankheit ist. Unbehandelt besteht bei kritisch-kranken Kindern das Risiko für schwere Komplikationen, doch bei früher Erkennung und Therapie ist der Behandlungserfolg exzellent […]“, sagt Co-Autorin und Infektiologin Dr. Julia Kenny. Den Kindern, die sie nach Klinik-Entlassung untersucht haben, gehe es gut.
Verglichen mit der Kawasaki-Krankheit scheint PIMS-TS eher ältere Kinder zu betreffen und öfter mit Bauchschmerzen und Diarrhö sowie mit gewöhnlichen Symptomen wie anhaltendem Fieber einherzugehen. Darüber hinaus scheint PIMS-TS öfter bei schwarzen und asiatischen Patienten aufzutreten.
Auch bei der Blutuntersuchung gibt es Unterschiede: Bei PIMS-TS-Patienten wurden mehr Entzündungsmarker und Herzenzyme gefunden, was auf ein kardiale Schädigung hindeutet.
Bei der Kawasaki-Krankheit kommt es zu Schädigungen der Koronararterien, sodass diese nicht mit dem Kind mitwächst. Dies führt im Weiteren zu einer verringerten Blutzufuhr zum Herzen. Die Immuntherapie könnte dabei helfen, diese Schwierigkeiten zu verringern. Auch PIMS-TS-Patienten wurde dementsprechend behandelt. Wie effektiv die Therapie bei dieser Patientengruppe ist, müsse den Forschern zufolge aber erst durch genaue Beobachtung und weitere Untersuchungen herausgefunden werden.
Dass PIMS-TS durch COVID-19 ausgelöst wird, kann das Team nicht mit Sicherheit sagen. Von den untersuchten 58 Kindern bestand bei 45 Evidenz für eine bestehende oder überstandene Corona-Infektion. Außerdem halten die Wissenschaftler es für unwahrscheinlich, dass das Auftreten einer neuen inflammatorischen Krankheit während einer Pandemie reiner Zufall ist.
Der Großteil der Kinder mit Indikation für eine Infektion hatte Antikörper des neuartigen Coronavirus. Daraus schließen die Forscher, dass PIMS-TS nach der SARS-CoV-2-Infektion eintritt, womöglich als Folge einer Überreaktion des Immunsystems. Sie halten es für wichtig, sich das neue Krankheitsbild genauer anzusehen, um COVID-19 an sich besser zu verstehen.
Derzeit kollaborieren die Forscher mit Kollegen aus Europa und den USA, die sich ebenfalls intensiv mit PIMS-TS beschäftigen. Es gilt unter anderem herauszufinden, ob die Krankheit etwa durch eine Überreaktion des Immunsystems ausgelöst wird. Dies ist auch von Relevanz für die Entwicklung eines Impfstoffes.
Bildquelle: Uriel Soberanes, unsplash