Von Chloroquin bis Ribavirin – viele Behandlungsansätze bei COVID-19 werden derzeit getestet. Hier der erste Teil unserer Wirkstoff-Trilogie.
Für Medikamente gegen COVID-19 gibt es einige mögliche Angriffspunkte. Forscher haben eine Übersicht über die aktuelle Evidenz wichtiger Behandlungsansätze für COVID-19 sowie die derzeitigen klinischen Erfahrungen mit diesen möglichen Therapien erstellt. So gibt es im Kampf gegen SARS-CoV-2 eine Reihe möglicher Angriffspunkte. Diese zielen zum Beispiel darauf ab, das Eindringen des Virus in die Wirtszelle zu verhindern oder dessen Replikationszyklus zu unterbrechen. Es gibt aber auch immunregulatorische Ansätze. Des Weiteren werden Wirkstoffe, die zuvor zur Behandlung von SARS und MERS eingesetzt wurden, auch für die Behandlung von COVID-19 in Betracht gezogen.
Für ihre Zusammenfassung über die derzeitigen Behandlungsansätze führten die Wissenschaftler eine Literaturrecherche mit PubMed durch und analysierten insgesamt 1.315 Artikel. Miteinbezogen wurden u.a. auch Fallberichte, Fallserien und Übersichtsartikel. Darüberhinaus identifizierten die Wissenschaftler aktive klinische Studien auf ClinicalTrials.gov und dem Index der Studien über die neuartige Coronavirus-Pneumonie im chinesischen Register für klinische Studien. Hier geben wir einen dreiteiligen Überblick über die Recherche der Wissenschaftler.
Ein möglicher Ansatzpunkt zur Behandlung von COVID-19 ist die Verwendung von Chloroquin und Hydroxychloroquin (DocCheck berichtete). Die Substanzen scheinen den viralen Eintritt in die Zellen zu blockieren, indem sie die Glykosylierung der Wirtsrezeptoren, die proteolytische Verarbeitung und die endosomale Ansäuerung inhibieren. Darüberhinaus haben die Agenzien auch immunmodulatorische Wirkungen. So dämpfen sie die Zytokinproduktion und Hemmen die Autophagie sowie die lysosomale Aktivität in den Wirtszellen. Bisher kommen die Medikamente gegen Malaria und in der Behandlung chronischer Entzündungskrankheiten wie systemischem Lupus erythematodes (SLE) oder rheumatoider Arthritis (RA) zum Einsatz.
Während Chloroquin und Hydroxychloroquin in In-vitro-Versuchen SARS-CoV-2 hemmen, gibt es, den Autoren zufolge, bisher nur wenige Daten für den erfolgreichen Einsatz der beiden Substanzen in COVID-19-Patienten. So sei in einer Pressemitteilung aus China zwar darüber berichtet worden, dass Chloroquin bei mehr als 100 COVID-19-Patienten zu verbesserten radiologischen Befunden, verbesserter viraler Clearance und verminderter Krankheitsprogression führte, allerdings seien bisher weder das Studiendesign noch die Ergebnisdaten veröffentlicht worden. In einer weiteren Studie aus Frankreich habe sich der Zustand von COVID-19-Patienten durch Therapie mit einer Kombination von Hydroxychlorquin und Azithromyzin ebenfalls verbessert, allerdings nur, wenn die Patienten die Medikamente bereits in einer frühen Krankheitsphase erhielten. Auch bezüglich der optimalen Dosierung von Chloroquin und Hydroxychloroquin zur Behandlung von COVID-19 lägen, so Sanders und Kollegen in ihrer Zusammenfassung, bisher nur wenige Daten vor.
Nach Angaben der Autoren seien beide Medikamente relativ gut verträglich, könnten jedoch auch jeweils zu schwerwiegenden unerwünschten Nebenwirkungen führen (< 10 %). Zu diesen zählen QT-Verlängerung, Hypoglykämie, neuropsychiatrische Wirkungen und Retinopathie. Deshalb sei eine Baseline-Elektrokardiographie zur Beurteilung eines verlängerten QT-Intervalls vor und nach der Einführung dieser Medikamente ratsam, da es vor allem bei kritisch kranken Patienten und bei Patienten, die gleichzeitig QT-verlängernde Medikamente wie Azithromycin und Fluorchinolone einnehmen, zu Arrhythmien kommen könne. Bei den für COVID-19 vorgeschlagenen Dosierungen und Dauern wurden für Chloroquin keine signifikanten unerwünschten Wirkungen berichtet, so die Autoren. Mittlerweile scheint der Wirkstoff durchgefallen zu sein und es häufen sich die Hinweise auf kardiale Risiken in Verbindung mit einer Behandlung mit Hydroxychloroquin (wir berichteten).
Lopinavir/Ritonavir
Lopinavir/Ritonavir ist ein von der US Food and Drug Administration (FDA) zur Behandlung von HIV zugelassenes orales Kombinationspräparat. In-vitro zeigte es eine Aktivität gegenüber anderen Coronaviren über die Hemmung der 3-Chemotrypsin-ähnlichen Protease. Für SARS-CoV-2 liegen indes bisher keine veröffentlichten Daten vor, schreiben die Wissenschaftler. In Studien, in denen das Kombipräparat bei Patienten mit SARS eingesetzt wurde, hätten diese weniger häufig intubiert werden müssen und auch die Mortalitätsrate sei geringer gewesen. Allerdings sei eine definitive Schlussfolgerung über die Wirksamkeit nicht möglich, weil es sich bei den gefundenen Studien allein um retrospektive, beobachtende Studien handele. Es scheine aber so, dass der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns für die Wirksamkeit entscheidend sei. Demnach sei der klinische Verlauf von SARS mit verzögertem Therapiebeginn vermutlich nicht mehr beeiflussbar.
Bei den ersten Berichten über Lopinavir/Ritonavir zur Behandlung von COVID-19 handelt es sich meist um Fallberichte und kleine, retrospektive, nicht randomisierte Kohortenstudien. Deshalb sei es schwierig, den direkten Behandlungseffekt zu ermitteln, wie die Wissenschaftler angeben. Die Ergebnisse einer kürzlich von Cao und Kollegen veröffentlichten randomisierten klinischen Studie (RCT) zur Wirksamkeit von Lopinavir/Ritonavir gegenüber der Standardbehandlung bei 199 Patienten mit COVID-19 zeigten, ihnen zufolge, keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Allerdings lag die mediane Zeit vom Symptombeginn bis zur Randomisierung bei 13 Tagen. Und obwohl ein verzögerter Behandlungsbeginn die mangelnde Wirksamkeit der Therapie teilweise erklären könne, habe auch eine Subgruppenanalyse keine kürzere Zeit bis zur klinischen Besserung bei Patienten gezeigt, die innerhalb der ersten 12 Tage behandelt wurden. So deuteten die aktuellen Daten daraufhin, dass Lopinavir/Ritonavir bei der Therapie von COVID-19 nur eine begrenzte Rolle spiele, obwohl zur Zeit noch weitere RCTs laufen, wie der Zusammenfassung zu entnehmen ist.
Zudem kann das Kombinationspräparat zu Nebenwirkungen und einer Reihe von Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten führen. Deshalb, so Sanders und Kollegen, seien bei der Anwendung eine sorgfältige Überprüfung der Begleitmedikation und eine Überwachung der Patienten notwendig. Zu den unerwünschten Wirkungen zählen gastrointestinale Beschwerden, wie Übelkeit und Durchfall, aber auch Hepatotoxizität. Diese Nebenwirkungen könnten bei Patienten mit COVID-19 durch eine Kombinationstherapie oder eine Virusinfektion verstärkt werden, weil beobachtet wurde, dass etwa 20-30 Prozent der COVID-19 Patienten bei der Verabreichung erhöhte Transaminase-Werte aufwiesen. Dies sei, so die Wissenschaftler, besonders besorgniserregend, weil die Medikamente die durch COVID-19 verursachte Leberschädigung verschlimmern könne. Auch sind erhöhte Alanin-Transaminasewerte in mehreren Studien zur Behandlung von COVID-19 ein Ausschlusskriterium.
Andere antiretrovirale Medikamente, einschließlich Protease-Inhibitoren und Integrase-Strang-Transfer-Inhibitoren, präsentierten sich in Enzymaktivitäts-Screenings gegenüber SARS-CoV-2 aktiv. Den Autoren zufolge zeigten In-vitro-Untersuchungen eine Wirksamkeit von Darunavir gegenüber SARS-CoV-2. Bisher liegen jedoch keine klinischen Daten für die Behandlung von COVID-19-Patienten vor, so die Autoren. Indes ist eine RCT von Darunavir/Cobicistat in China im Gange.
Bei Ribavirin handelt es sich um ein Guaninanalogon, dass die virale RNA-abhängige RNA-Polymerase inhibiert. Gegenüber anderen Coronaviren erwies sich dieses Medikament bereits als wirksam, deshalb wird es auch als potenzieller Kandidat bei der Behandlung von COVID-19 angesehen. Allerdings war die In-vitro-Aktivität von Ribavirin gegenüber SARS-CoV begrenzt und erforderte hohe Konzentrationen, um die virale Replikation zu hemmen.
Eine systematische Überprüfung der klinischen Erfahrung mit Ribavirin zur Behandlung von SARS ergab in 26 der 30 überprüften Studien keine schlüssigen Ergebnisse, wie die Wissenschaftler schreiben und klinische Daten in Bezug auf SARS-CoV-2 liegen ihnen zufolge nicht vor. (Auch wir berichteten.)
Ribavirin verursacht zudem eine schwere dosisabhängige hämatologische Toxizität. Die in den SARS-Studien verwendeten hohen Dosen führten bei mehr als 60 Prozent der Patienten zu einer hämolytischen Anämie. Ähnliche Sicherheitsbedenken wurden in der größten MERS-Beobachtungsstudie festgestellt, wobei etwa 40 Prozent der Patienten, die Ribavirin plus Interferon einnahmen, Bluttransfusionen benötigten. 75 Prozent der Patienten, die Ribavirin gegen SARS einnahmen, wiesen erhöhte Transaminasen auf. Ribavirin ist weiterhin teratogen und in der Schwangerschaft kontraindiziert.
So schreiben Sanders et al., dass die nicht schlüssigen Daten von Ribavirin und seine beträchtliche Toxizität nahelegen, dass es für die Behandlung von COVID-19 nur von begrenztem Wert sei. In der Anwendung biete die Kombinationstherapie wahrscheinlich die beste Chance für eine klinische Wirksamkeit.
Oseltamivir, ein Neuraminidase-Hemmer, der für die Behandlung von Influenza zugelassen ist, hat keine dokumentierte In-vitro-Aktivität gegen SARS-CoV-2. Der Ausbruch von COVID-19 in China ereignete sich, so die Wissenschaftler, zunächst während der Grippe-Spitzensaison, so dass ein großer Teil der Patienten bis zur Entdeckung von SARS-CoV-2 als Ursache von COVID-19 eine empirische Oseltamivir-Therapie erhielt. Mehrere der laufenden klinischen Studien nehmen, Sanders und Kollegen zufolge, Oseltamivir in die Vergleichsgruppe auf, jedoch nicht als vorgeschlagene therapeutische Intervention. Dieser Wirkstoff spielt bei der Behandlung von COVID-19 keine Rolle mehr, sobald die Grippe ausgeschlossen wurde, wie die Autoren schreiben.
Umifenovir (auch als Arbidol bekannt) ist ein vielversprechenderer, antiviraler Wirkstoff mit einem einzigartigen Wirkmechanismus, der auf die S-Protein/ACE2-Interaktion abzielt und die Membranfusion der Virushülle hemmt. Der Wirkstoff ist derzeit in Russland und China für die Behandlung und Prophylaxe von Influenza zugelassen. Für die Behandlung von COVID-19 sei Umifenovir, so die Forscher, von zunehmendem Interesse, da In-vitro-Daten auf eine Aktivität gegen SARS hindeuten würden. In China wurden begrenzte klinische Erfahrungen mit Umifenovir für COVID-19 beschrieben. Eine nicht-randomisierte Studie mit 67 Patienten mit COVID-19 zeigte, dass die Behandlung über eine mediane Dauer von neun Tagen mit einer geringeren Mortalitätsrate und höheren Entlassungsraten im Vergleich zu Patienten, die den Wirkstoff nicht erhielten, verbunden war. Diese Beobachtungsdaten können die Wirksamkeit von Umbifenovir für COVID-19 nicht belegen, aber laufende RCTs in China evaluieren diesen Wirkstoff weiter, so die Autoren der Übersicht.
[Stand: 25.4.2020]
Quelle: © Sanders JM et al. / JAMA Network
Bild: © Eric Muhr, Unsplash