Guatemala ist kein Ort für einen ruhigen Pauschalurlaub. Neben weißen, roten und schwarzen Bohnen wird hier auch die blaue Variante angepflanzt. Mit rund 5.800 Morden pro Jahr nimmt das Land einen Spitzenplatz in der internationalen Kriminalitätsstatistik ein. Kann man in so einem Land als Arzt arbeiten? Man kann.
Über das Leben in der ehemaligen Bananenrepublik mit ihren rund 13 Millionen Einwohnern weiß man hierzulande wenig. Vielleicht liegt es an den harschen Sicherheitshinweisen, die man auf der Webseite des auswärtigen Amts findet. Vielleicht auch daran, dass Air Berlin keine günstigen Shuttleflüge anbietet. Egal: Wer sich davon nicht abschrecken lässt, kann ein faszinierendes Land mit freundlichen Menschen entdecken.
Frösteln im Wartezimmer
In Nebaj, einem kleinen Örtchen im nebelverhangenen Hochland Guatemalas, sitze ich zusammen mit 5 Patienten in einem kargen Wartezimmer. Wir alle haben uns bis zur Nasenspitze in unsere Jacken eingewickelt. Das ist kein Wunder – denn wir befinden uns auf 1.900 Meter über dem Meeresspiegel. Und da hier wie in den meisten Häusern nicht geheizt wird, herrschen im zugigen Eingangsbereich gefühlte 12 Grad. Höchstens. Auch mir ist verdammt kalt in der Praxis von Dr. Juan José Palacios Lopéz.
Der Allgemeinmediziner wirbt an der Häuserfassade seiner nicht gerade bescheiden als „Monte Hebron“ bezeichneten Räume mit „medicina biologica de Alemania“, biologischer Medizin aus Deutschland. Aha - so schlecht kann der Ruf der deutschen Heilkunde also nicht sein, wenn er sogar in diesem wirklich abgelegenen Flecken als Werbebotschaft taugt.
Dr. Lopéz und seine in dicke Daunenjacken gepackten Sprechstundenhilfen empfangen mich freundlich. Neben der größtenteils noch im Rohbau befindlichen Klinik hier in Nebaj, betreibt der umtriebige Landarzt noch 3 weitere Praxen in den Departements Quiché und Huehuetenango. Diese Multipräsenz hat allerdings ihren Preis: Sein Arbeitspensum beziffert Lopéz in echter südamerikanischer Bescheidenheit mit „8 Tage pro Woche“.
Eine teure Angelegenheit
Nur ein kleiner Teil der Ärzte in Guatemala arbeitet im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens, die meisten - ca. 70% - sind als Privatärzte tätig. Der Grund dafür ist in erster Linie das Einkommen. Während ein fleißiger Facharzt in der Privatpraxis zwischen 3.000 und 4.000 Euro pro Monat nach Hause tragen kann, muss sich sein Kollege im Bereich der „salud pública“ im Schnitt mit 700 Euro begnügen. Da fällt die Wahl nicht schwer. Zum Vergleich: Das monatliche Durchschnittseinkommen der Guatemalteken liegt zwischen 150 und 300 Euro. Rund 50 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze.
Der Zugang der Bevölkerung zur Gesundheitsversorgung ist entsprechend teuer. Hier auf dem Land ist nur ein Bruchteil der Bevölkerung beim „Instituto Gualtemalteco de Seguridad Social“ (IGSS) versichert. Das meiste muss daher aus eigener Tasche bezahlt werden. Auch die 250 Quetzales – umgerechnet 25 Euro – die Dr. Lopéz für eine Ultraschalluntersuchung aufruft. Das bietet hierzulande mancher IGeL-Arzt zu einem ähnlichen Tarif an. Eine Privatversicherung in Guatemala schlägt deshalb auch mit rund 1.500 Euro pro Jahr zu Buche - für die meisten unerschwinglich. Da wundert es nicht, das viele Bauern lieber die Hilfe eines „chamán“, eines Schamanen, in Anspruch nehmen, der an einer der vielen Gebetsstätten im Umland den Gesundheitsproblemen seiner Kunden durch Abrennen von Weihrauch und kleine Opfergaben begegnet.
KHK Fehlanzeige
Unsere Zivilisationsleiden sind dafür bei den hart arbeitenden Campesinos nahezu unbekannt. Bei einem Spaziergang im Hochland kann man 60jährige Männer sehen, die auf dem Rücken 80 Kilo Holz einen schmalen Bergpfad herabwuchten. Keine Chance für Adipositas. Das bestätigt sich, wenn man in die Küche guckt. Auf dem Speiseplan stehen reichlich Tortillas, Reis und Bohnen. Statt Diabetes und KHK gehören daher eher Gelenk- und Atemwegserkrankungen zum Arztalltag. Die an den Küstenstrichen anzutreffende Malaria und das Dengue-Fieber spielen in den ausgedehnten Bergregionen keine Rolle.
Während Lopez mir stolz sein portables japanisches Ultraschallgerät zeigt, plaudert er ein wenig aus dem Nähkästchen. In Guatemala ist es nur möglich, im Rahmen einer internistischen oder radiologischen Facharztausbildung die Sonografie zu erlernen. Allgemeinmediziner bleiben außen vor. So blieb ihm nichts anderes übrig, als für seine Weiterbildung über 3 Jahre jede Woche ins nahe Mexiko zu pendeln. Nicht schlecht - bei guten Straßenverhältnissen sind das rund 5 Stunden Fahrzeit über teilweise abenteuerliche Bergstraßen. Selbst bei einem Benzinpreis von 40 Cent pro Liter setzt das einen gewissen Enthusiasmus voraus.
Ob er seinen Beruf liebe, frage ich ihn zum Schluss meiner Stippvisite. „Amo mas que a mi mujer“ – „Ich liebe ihn mehr als meine Frau“, erwidert er. Kleine Pause. „Casi“ – „Fast“, ergänzt er dann und lächelt.