Das nationale MediGRID-Projekt etabliert sich als führendes Computingnetz für Medizin - und findet Anwendung an immer mehr Unikliniken. Das Vorhaben wartet mit ernstzunehmenden Applikationen auf. So rückt zur Tumorerkennung das Genom-Browsing in greifbare Nähe.
Wer als Arzt mit AUGUSTUS kommunizieren möchte sollte zwei Eigenschaften mitbringen: Die Kenntnis der vier Buchstaben CGAT (Comparative Genome Analysis Tool) und viel Einfühlungsvermögen für Bioinformatik. Denn das vom BMBF im Rahmen des D-Grid Projekts umgesetzte Programm vermag das zu tun, worüber bis vor wenigen Jahren Mediziner nur müde lächelten – es erkennt aus einem Sammelsurium von eingegebenen Basenpaaren die verschiedensten Gensequenzen, und ermöglicht auf diese Weise wertvolle Einblicke in das Erbgut von immerhin 40 Organismen, Homo sapiens inklusive.
Seit seinem Start im Jahr 2005 sorgt MediGRID international für Aufsehen, selbst die als elitär geltende American Medical Informatics Association (AMIA) gewährte deutschen MediGRIDlern im November 2006 in Washington Gehör. Die Liebe der globalen Biomed-Gemeinde kommt nicht von ungefähr. Während die meisten Telematik-Plattformen sehr spezielle Anwendungen ermöglichen, etabliert sich MediGRID als Alltagstool für den Klinikbetrieb – und soll die Patientenversorgung im stationären Bereich nachhaltig verbessern.
Rechenintensiv? Kein Problem!
Das Prinzip des einzigartigen Netzwerks ist ebenso simpel, wie effektiv. Über ein eigens dazu geschaffenes Netz, dem D-Grid, laufen die gesammelten Informationen und Daten ins MediGRID System zusammen, wo sie für Ärzte über das MediGRID Applikationsportal abrufbar sind. Diese Methode, bei der bereits vorhandene Rechner und Datenspeicher über das Internet mit minimalem Administrationsaufwand vernetzt werden, ermögliche es, Rechenleistung zu beziehen, ohne sich mit technischen Einzelheiten beschäftigen zu müssen, wie die MediGRID-Betreiber ihren Usern erklären. So umfasst beispielsweise die Anwendung "3D Ultraschall" die 3D-Visualisierung von Biopsieergebnissen bei der männlichen Prostata. Um technische Details braucht sich der Arzt dabei nicht zu kümmern, denn MediGRID verwaltet und verschickt die Bits und Bytes vollkommen autonom an die angeschlossenen Computer des Netzwerks.
Auch die als extrem rechenintensiv geltende 3D-Strömungssimulation in Blutgefäßen kommt auf diese Weise zustande. Dazu wird zunächst die genaue Form der Gefäße erfasst. Anschließend berechnet das Netz die Blutströmung, sowie etwaige Belastungen der Gefäßwände. Wie praxisnah das Tool ist, offenbart erst die Interpretation der Ergebnisse: Zu hohe Gefäßbelastungen gelten als Risiko einer Blutung, die bei Hirngefäßen zum Schlaganfall führen kann. Doch MediGRID vermag nicht nur zu warnen – selbst Fehler im Klinikalltag merzt das Netz gnadenlos aus. „Der selbstentwickelte Algorithmus liefert im Vergleich zu existierenden Verfahren schnelle, einfache, zuverlässig aufbereitete Resultate und überwindet Schwächen der Aufnahmegeräte“, schreiben die Bioinformatiker des GRID, und: „Es ist möglich die Strömung in den Gefäßen im krankhaften Zustand darzustellen und die Veränderung der Strömung nach einem operativen Eingriff vorherzusagen“.
Genom soll Krebsgene verraten
Zudem rückt die Vision von der Tumorerkennung via Genom-Browsing in greifbare Nähe, und MediGRID könnte auf das externe Wissen anderer Forschergruppen zugreifen. Die Entschlüsselung der Genome menschlicher Tumore gelang als erste vollständige Kartierung einem internationalen Forscherteam bereits 2007 abgeschlossen, mit dabei war damals auch ein Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für neurologische Forschung in Köln. In einem hochauflösenden Genomscan analysierten die Wissenschaftler nahezu 400 Proben des menschlichen Adenokarzinoms der Lunge. Die Methode ermöglichte es, mit Hilfe von Genomsonden fast 250.000 Positionen auf dem Genom abzutasten, und verdächtige Stellen aufzuspüren. Für die MediGRID Applikation AUGUSTUS freilich wären solche Datenmengen eher eine kleine Zwischenmahlzeit, als wirklich aufwändiges binäres Futter. Die Universität Göttingen, die mit Otto Rienhoff, Professor an der Abteilung Medizinische Informatik gleichzeitig den Sprecher des MediGRID-Konsortiums stellt, formuliert es selbstbewusst. Es gehe letztendlich darum, mit Hilfe des Grid-Computing „Rechenleistung wie Strom aus der Steckdose zu ziehen“.