Eine akute Appendizitis gehört in den OP. In fast allen Lehrbüchern steht die entsprechende Empfehlung an den Arzt. In den letzten Jahren gibt es aber auch viel versprechende Ergebnisse mit der Gabe von Antibiotika. Sind sie wirklich eine Alternative?
Das vermeintliche Anhängsel im menschlichen Darmtrakt ist viel älter als der Mensch selber. Mehr als zwei Drittel aller Primaten, aber auch Nager sind damit ausgestattet. Was sich die Natur dabei gedacht hat, als sie an den Darm einen Appendix anhängte, vermag niemand mit Sicherheit zu sagen. Bei sieben bis acht Prozent der Bevölkerung entzündet sich dieses Anhängsel im Laufe ihres Lebens, am häufigsten in ihrem zweiten Lebensjahrzehnt. Festsitzender Darminhalt, manchmal auch mit Kotsteinen, Fremdstoffen, Parasiten oder lymphoide Hyperplasie sind nur einige der Ursachen dafür, dass der Druck im Darm ansteigt. Das sind ideale Voraussetzungen dafür, dass sich dann luminale Bakterien weiter vermehren. Eine beeinträchtigte Epithel-Mucosa-Barriere sorgt schließlich für eine transluminale Entzündung und führt in schlimmen Fällen zu einem Infarkt und einem Durchbruch.
Alternative zur chirurgischen Routine
1894 führte McBurney die chirurgische Entfernung des Appendix ein. Seitdem gilt die Operation als Mittel der Wahl beim „akuten Blinddarm“. Ganz besonders dann, wenn es wie in durchschnittlich jedem fünften Fall zu Komplikationen kommt. Ebenfalls zur Routine zählt inzwischen das Bild der Region aus dem Computertomographen, das den Arzt darüber informiert, ob Komplikationen zu erwarten sind, oder ein einfacher kurzer Eingriff, der zu den häufigsten Tätigkeiten der Chirurgen überhaupt zählt.
Seit den Studien von Rodney Mason von der University of Southern California in Los Angeles gilt die Operation aber nicht mehr als einzige Option für die akute Appendizitis. Seine These: Entzündungen des Appendix mit und ohne Komplikationen sind unterschiedliche Einheiten. Letztere lösen sich häufig ohne jegliche Maßnahme von selbst auf. Als Behandlungsoption bei unkomplizierter Divertikulitis, Salpingitis und neonataler Enterokolitis ist die Gabe von Antibiotika anstatt Skalpell inzwischen etabliert.
Trotz Antibiotika: Zwei von fünf müssen danach unters Messer
Vor einigen Wochen schrieb Mason dann ein Editorial im Lancet: "Appendicitis: is surgery the best option?" Liegt die Zukunft des entzündeten Wurmfortsatzes nicht mehr im Operationssaal, sondern in der Apotheke? Sein Kommentar setzte sich kritisch mit einer französischen Studie von Corinne Vons und ihren Kollegen vom Hôpital Antoine Béclère in Paris in der gleichen Ausgabe auseinander.
Nach der CT-Beurteilung wurden die unkomplizierten Fälle nach dem Zufallsprinzip entweder operiert oder mit Amoxicillin und Clavulansäure behandelt. Wenn sich in der medikamentösen Gruppe nach 48 Stunden nichts besserte, kam der Patienten in den OP. Bei 14 von insgesamt 120 Patienten der Antibiotika-Gruppe entscheiden sich die Ärzte innerhalb der nächsten 30 Tage für eine Appendektomie. Bei weiteren 30 kam die Entzündung innerhalb der nächsten 12 Monate wieder, sodass die Chirurgen schließlich doch noch aktiv wurden. Als eindeutigen Minuspunkt der Behandlung mit Antibiotika fand die französische Gruppe bei acht Prozent der nichtinvasiv Behandelten eine Peritonitis innerhalb eines Monats, bei der Vergleichsgruppe jedoch nur bei zwei Prozent. Bemerkenswert war jedoch auch die Tatsache, dass sich bei der Operation bei fast jedem fünften Patienten der vermeintlich unkomplizierte Blinddarm als Notfall mit Komplikation herausstellte.
Achtung - Antibiotika-Resistenzen
"Ist die Amoxicillin/Clavulinsäure-Kombination wirklich das Mittel der Wahl?", fragt Mason in seinem Kommentar kritisch nach? Escherichia coli, der häufigste Erreger bei der Appendizitis, entwickelt Resistenzraten bis zu 66 Prozent gegen Aminopenicilline. In früheren Studien zum Vergleich von Operation und Antibiotika setzten die Ärzte andere Antibiotika ein. Schließlich gibt er zu bedenken, dass bei erfolgreicher Antibiotika-Behandlung die Peritonitis-Rate bei Null lag und nur bei Patienten mit nachträglicher OP auftrat.
Nichtinvasiv: Kostengünstiger und sicherer, aber nicht so effektiv
Anfang dieses Jahres erschien schließlich in der Fachzeitschrift „Digestive Surgery“ eine Metaanalyse von vier Vergleichsstudien der beiden Behandlungsmethoden zwischen 1995 und 2009. Luca Ansaloni und seine Kollegen aus Bergamo und Bologna beleuchten dabei auch die Antibiotika-Strategie von Rodney Mason und seinen amerikanischen Kollegen kritisch: Bereits 1997 kosteten rund eine Million stationäre Blinddarm-Behandlungen in den USA etwa drei Milliarden Dollar. Rund die Hälfte der Summe war auf Komplikationen nach der OP zurückzuführen. Moderne laparoskopische Chirurgie macht den Eingriff dabei auch nicht unbedingt billiger. Der Druck auf kostengünstigere Behandlungsmethoden ist hoch.
In der Langzeit-Perspektive bietet jedoch die Appendektomie den Vorteil, dass mit dem Wegschneiden des Wurmfortsatzes das Problem in den allermeisten Fällen ein und für allemal erledigt ist. Denn bei der Antibiotika-Therapie meldet sich der entzündete Blinddarm sehr oft innerhalb eines Jahres wieder, je nach Studie bis zu knapp 40 Prozent. Im Vergleich der beiden Methoden halten sich Komplikationen aufgrund der Entzündung in etwa die Waage, die Risiken einer Operation dürfen jedoch nicht übersehen werden. Das Fazit der italienischen Analysten bevorzugt nach die wie vor die klassischen Chirurgie-Therapie: „Obwohl die Behandlung unkomplizierter akuter Blinddarm-Entzündungen die Aufwendungen des chirurgischen Eingriffs deutlich senken kann, ist die Effizienz beim Einsatz von Antibiotika im Vergleich signifikant geringer.“ Die antibiotische Strategie sei, so schreibt Ansaloni, keine empfehlenswerte Alternative zum chirurgischen Eingriff.