Etwa 43 Prozent aller Frauen haben Probleme beim Geschlechtsverkehr – ähnliche Zahlen liegen für Männern vor. Doch viele schweigen aus Scham. Ihnen könnte eine detaillierte Anamnese helfen, physische oder psychische Auslöser zu identifizieren.
Sexuelle Dysfunktionen haben zahlreiche Gesichter: die Libido ist stark verringert, beim Geschlechtsverkehr treten Schmerzen auf, und der Orgasmus kann nicht richtig erlebt werden. Auch Erektionsstörungen oder ein vorzeitiger Samenerguss sind häufig im Spiel. Doch auf der Suche nach den Auslösern finden Kollegen oft mehrere Störfaktoren.
Sexkiller Stoffwechsel
Das können etwa Erkrankungen des Stoffwechsels sein, wie die Arbeitsgruppe von Stacy Tessler Lindau, Uni Chicago, anhand von 2000 Diabetes-Patienten zwischen 57 und 85 Jahren herausfand. Oftmals gaben die Befragten an, Probleme mit dem Orgasmus bzw. speziell bei Männern mit der Erektion zu haben. Dennoch vertraute sich nur jede fünfte Diabetikerin und jeder zweite Diabetiker einem Arzt an – das Thema scheint immer noch mit einem gewissen Tabu behaftet zu sein. Umso mehr sollten Kollegen nachfragen, meinen die Autoren des Fachartikels.
Speziell Adipositas führt zu einer verminderten sexuellen Aktivität, so eine französische Studie. Die Forschergruppe um Nathalie Bajos befragte dazu 12.000 Erwachsene. Eigentlich nicht weiter überraschend, dennoch erhielten die Kollegen ein bemerkenswertes weiteres Ergebnis: Übergewichtige Menschen verhüten im Schnitt weniger gewissenhaft und es kam, oh Wunder, zu deutlich mehr unerwünschten Schwangerschaften und Abtreibungen. Aber auch so manches Arzneimittel kann für eine Flaute im Bett verantwortlich sein.
Luststopp aus der Pillenpackung
Die bislang größte deutsche Untersuchung zu diesem Thema ging der Frage nach, wie verbreitet sexuelle Funktionsstörungen unter jungen Frauen sind. Ärzte der Eberhard-Karls-Universität Tübingen interviewten zusammen mit Kollegen aus Heidelberg und Basel rund 1.000 Medizinstudentinnen mit einem am Female Sexual Function Index orientierten Fragebogen. Das Ergebnis: Rund 34 Prozent zeigten Risikofaktoren einer sexuellen Dysfunktion – vor allem hormonelle Kontrazeptiva führten zu einer deutlichen Verringerung der Libido im Vergleich zu anderen Verhütungsmethoden. Auch die berufliche und familiäre Situation, besser gesagt der damit verbundene Stress, erwiesen sich als schädlich für das Liebesleben.
Depression weg, Libido weg
Doch die „Pille“ ist nicht der einzige Lustkiller: Psychopharmaka vom Typ der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) haben es in sich, sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Symptome sind vor allem eine deutlich verringerte Libido, Schwierigkeiten, einen befriedigenden Orgasmus zu erleben, Probleme bei der Erektion oder Trockenheitsgefühle in der Vagina. Bei der Zulassung entsprechender Arzneimittel wenig beachtet, schätzen Experten, dass möglicherweise bis zu 60 Prozent aller Patienten unter entsprechenden Störungen leiden. Selbst nach dem Absetzen der Präparate bleibt der Effekt oft für Monate oder Jahre bestehen. Angesichts der noch recht ungenauen Datenlage fordern Psychiater jetzt größere Studien. Zumindest im Tiermodell ließen sich die Effekte mittlerweile wissenschaftlich nachweisen. Dazu untersuchten Wissenschaftler den Einfluss des häufig verordneten SSRIs Fluoxetin auf Ratten. Selbst nach dem Absetzen verschwand deren sexuelle Dysfunktion nicht. Vielmehr ließen sich funktionale Veränderungen in Bereichen des Hirnstamms, den so genannten Raphe-Kernen, nachweisen.
Jeder Mann kann…
Hinter einer erektilen Dysfunktion verbergen sich möglicherweise aber auch Atemstillstände während der Nachtruhe. In einer Studie untersuchten Regensburger und Münchener Kollegen dazu 400 Patienten. Der eindeutige Zusammenhang: Wer unter Schlafapnoe leidet, hat in 70 Prozent der Fälle auch eine erektile Dysfunktion. Je schwerer die Hypoxie war, desto ausgeprägter zeigte sich auch das sexuelle Leiden. In der gleichaltrigen Vergleichsgruppe ohne nächtliche Atemaussetzer hatten nur 35 Prozent entsprechende Funktionsstörungen. Forscher der Uni Regensburg führen das auf endotheliale und hormonelle Prozesse zurück, ausgelöst durch zu wenig Sauerstoff. Eine erektile Dysfunktion ist heute jedoch kein Schicksal mehr: Seit der Einführung der Phosphodiesterase-5-Hemmstoffe lassen sich mehreren Untersuchungen zufolge über 80 Prozent aller Geplagten therapieren. Arzneimittelfirmen haben nach dem Erfolg dieser Wirkstoffe an einer besseren Galenik gearbeitet: Vardenafil steht jetzt auch als Schmelztablette zur Verfügung – eine Erkenntnis aus der Akzeptanzstudie. Damit sei, so die Entwickler, auch wieder eine spontane Sexualität möglich. Im Gegensatz zu den klassischen Darreichungsformen schätzen Patienten, die an den doppelblinden, randomisierten Studien POTENT I und POTENT II – nomen est omen – teilnahmen, die diskretere Einnahme ohne Wasser sowie den schnelleren Eintritt der Wirkung. Ansonsten entsprach das Wirkprofil den altbekannten Tabletten.
Dennoch steht auch hier das liebe Geld im Mittelpunkt: Während Kollegen alle Leistungen zur Diagnostik der erektilen Dysfunktion bei gesetzlich Versicherten mit der Kasse abrechnen können, müssen Patienten die Arzneimittel selbst bezahlen. Neue Firmen erobern bald den Markt – im nächsten Jahr soll ein Sildenafil-Generikum verfügbar sein. Einer kleinen Gruppe hilft das wenig, statistisch gesehen versagen bei rund fünf Prozent der Patienten mit erektiler Dysfunktion die Behandlung mit PDE-5-Hemmern oder gefäßaktiven Wirkstoffen wie Alprostadil. Dann bleibt nur noch der Griff zum Messer – Andrologen haben mittlerweile hydraulische oder biegsame Penisimplantate entwickelt, um auch hier helfen zu können.
Zu schnell am Ziel
Es gibt aber noch andere Probleme bei „ihm“: Liegt die Zeit bis zur Ejakulation unter zwei Minuten, sprechen Andrologen von einem frühzeitigen Samenerguss, Ejaculatio praecox. Männer schweigen peinlich berührt, und deshalb sollten Kollegen im Zuge von Vorsorgeuntersuchungen auch das Problemfeld konkret ansprechen, fordern Fachärzte. Man kann nämlich etwas dagegen unternehmen: Der kurz wirksame Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Dapoxetin verlängert die Zeit bis zum Erguss auf 3,5 Minuten, ohne Medikation lag der Wert bei nur einer Minute. Eine kürzlich publizierte Übersichtsarbeit bescheinigt der Substanz recht gute Eigenschaften.
Es muss nicht immer eine Pille sein
Liegt er sexuellen Dysfunktion allerdings eine gestörte Libido zu Grunde, helfen Arzneistoffe recht wenig. Und so halten Andrea Bradford und Cindy Meston von der University of Texas, Austin, USA, von Aphrodisiaka reichlich wenig – erwiesenermaßen: Sie gaben 50 Patientinnen, die unter sexuellen Erregungsstörungen litten, ein Placebo. Unter der Scheinbehandlung verbesserte sich bei rund einem Drittel die sexuelle Zufriedenheit – was sich durch eine Gesprächstherapie noch weiter steigern ließ. Die Autorinnen sehen den Grund entsprechender Störungen in psychischen Faktoren wie Stress, Erwartungsdruck oder auch Schamgefühlen gegenüber dem Partner. Daher sollten Gesprächsangebote an erster Stelle sein, noch vor Arzneimittelgaben, lautet ihre Forderung.