Nachtdienst, körperliche Schwerstarbeit, Baby? Ein Spannungsfeld, in dem sie sich tagtäglich aufhält - die Veterinärmedizinerin. Ein kleiner Einblick in die "weibliche Seite" der Tiermedizin.
Immer mehr Frauen ergreifen den Beruf des Tierarztes. Damit ergeben sich aber auch neue Herausforderungen und Schwierigkeiten, die es zu Zeiten des "Herrn Viechdoktors" wohl noch nicht gegeben hat…
In der Großtiermedizin stößt Frau wohl einfach wegen natürlicher körperlicher Grenzen auf Probleme. Für die Drehung eines Kalbes im Mutterleib einer 500 kg Kuh fehlt es eventuell einerseits an Armlänge, anderseits an Kraft. Auch wenn man gewisse diagnostisch-therapeutische Handgriffe durchaus mit Technik optimieren kann, manchmal wäre ein Quäntchen männlichen Muskelschmalzes wünschenswert. Zusätzlich hinterlässt die große körperliche Belastung des Großtiermediziners häufig gesundheitliche Spuren: Bandscheibenvorfälle, Muskelschmerzen, Sehnenscheidenentzündungen sind die Folge.
"Herr Doktor?"
Ebenso ist gerade in ländlicheren Gebieten auch in der heutigen Zeit noch mit geschlechtsspezifischen Vorurteilen zu kämpfen. Frei nach einer wahren Begebenheit: die frischgebackene Tierärztin Sabine K. wird zu ihrem ersten Einsatz auf dem Bauernhof von Herrn B. beordert. Der Landwirt begrüßt sie freundlich und blickt suchend über ihre Schulter nach dem Herrn Doktor. Er wird etwas bleich bei der Information, dass er eine Frau Doktor vor sich hat. "Da sie ja jetzt schon mal da ist" darf sie sich Kuh Berta trotz allem ansehen. Ihre Tüchtigkeit und Kompetenz sichern Sabine K. von da an die Position als Hofbetreuerin. Angesprochen wird sie aber immer noch mit "Herr Doktor". Vorurteisllos ist anders.
Problemthema Familie
Eine weitere typisch weibliche Problematik ist der Spagat zwischen Familie und Beruf. Obwohl bereits eine Tendenz zum Angestelltenverhältnis erkennbar ist, bleibt der Tierarzt an sich meist ein beruflich Selbstständiger. Für Tierärztinnen ergeben sich hier neben den üblichen Vor- und Nachteilen selbstständiger Arbeit vor allem das Problem der Vereinbarkeit von Mutterschaft, Karenz, Kinderbetreuung und tierärztlicher Praxistätigkeit. In keinem Betätigungsfeld scheinen sich Schwangerschaft und Berufsausübung einander so auszuschließen wie in der Veterinärmedizin. Der alltägliche Umgang mit chemisch-toxischen Substanzen, Diagnoseverfahren wie Röntgen und CT, die Behandlung potentiell unkooperierender Großtiere: eine Gefährdung für Mutter und Kind nach der nächsten. Dazu kommt der Einkommensentgang bei Karenz und Kinderbetreuung; ein Risiko, das von freiberuflich tätigen Tierärztinnen selbst getragen werden muss. In Österreich gibt es zwar einen Vorsorgefond der Tierärztekammer inklusive Karenzgeld, aber nur für 3-4 Monate.
Auch die spätere Kinderbetreuung wird durch Praxiszeiten, Nacht- und Wochenenddienste erschwert. Die Kinderfreundlichkeit beziehungsweise Familientauglichkeit dieses Berufes ist somit stark in Frage gestellt.
Weibliche Stärken
Ein klarer weiblicher Vorteil ist jedoch, dass neben den „hard facts“ des Berufes immer mehr die ebenso benötigten „soft skills“ gefordert werden. Die Fähigkeit zum Multi-Tasking, sei es bei medizinischen Notfällen, oder tierärztlichen Visiten, in der Tier und Besitzer gleichzeitig Aufmerksamkeit verlangen, wird von Frauen tendenziell eher mitgebracht. Auch in Sachen Sozialkompetenz haben Frauen die Nasenspitze vorne.
Gerade in dem manchmal emotionalen Umfeld einer Kleintiervisite ist die soziale Kompetenz einer Tierärztin ausdrücklich erwünscht. Neben veterinärmedizinischem Fachwissen sind hier auch Einfühlungsvermögen, Verständnis und Rundumbetreuung des Besitzers gefragt.
Fazit
Zusammenfassend gesehen, bringt der Beruf Tierarzt gerade für Frauen einige Vor- und Nachteile mit sich, die vor Studiumsbeginn entsprechend abzuwägen sind und denen im Alltag begegnet werden muss. Auf dass weiterhin neben den durchaus geschätzten männlichen Kollegen auch die weiblichen Tierärzte in der Praxis nicht fehlen mögen.