Arzneimittelwerbung muss verboten bleiben, lautet das altbekannte Mantra von Apothekern und Ärzten. Hersteller aber fordern, Patienten informieren zu dürfen – oftmals eine Gratwanderung, wie Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen. Bringt die neue Richtlinie der EU mehr Klarheit?
Eine schwere Geburt: Nachdem alle EU-Staaten bereits 2004 beschlossen hatten, die Arzneimittelversorgung zu optimieren, sind einige Jahre bis zur vollständigen Umsetzung dieses Plans vergangen. Als „Pharmapaket“ bekannt geworden, waren insgesamt drei Teile vorgesehen: mehr Sicherheit vor Arzneimittelfälschungen, eine systematische Erfassung von Nebenwirkungen sowie Vereinheitlichungen bei der Information der Patienten. An zwei der drei Meilensteine haben die Parlamentarier bereits Haken gesetzt: Die Fälschungsrichtlinie sowie die Pharmakovigilanz-Verordnung und -Richtlinie sind unter Dach und Fach, sowohl das Parlament als auch der Rat der EU haben diese verabschiedet. Jetzt fehlt noch der Dritte im Bunde, Stichwort Patienteninformation. Weg mit dem Werbeverbot? Gerade dieses Thema hat es in sich. Alles begann mit einem Vorschlag des früheren EU-Industriekommissars Günter Verheugen (SPD). Im Dezember 2008 hatte er ein Papier vorgelegt, das weitreichende Lockerungen beim Wettbewerbsverbot verschreibungspflichtiger Arzneimittel vorsah. Informationen über Rx-Präparate wären zum Beispiel in Fachmagazinen möglich geworden – laut Bundesverband der Verbraucherzentralen reine „Augenwischerei“, falle inzwischen fast jede Tageszeitung mit Gesundheitsseiten oder entsprechenden Beilagen unter diesen Begriff. Kritik hagelte es damals auch vom GKV-Spitzenverband und von der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Die Befürchtung: Objektive, pharmazeutische Quellen und gekaufte Inhalte könnten immer mehr verschwimmen, eine herstellerunabhängige Information wäre damit passé. Nach europaweitem Protest war es mit der Mehrheit für Verheugens Traktat schnell dahin. Dem gegenüber steht die Forderung der Industrie, Patienten neutral und objektiv zu informieren. Eine Regelung musste dennoch her, und so wuchs der Druck von allen Seiten. Schließlich entstand unter Federführung des maltesischen Christdemokraten John Dalli, er leitet das EU-Ressort Gesundheit und Verbraucherschutz, ein neuer Entwurf mit vergleichsweise strengen Eckpunkten für die Industrie. Damit wäre die Kommission laut Dr. Peter Liese, Arzt und Europaabgeordneter (CDU), weitgehend den Vorschlägen des europäischen Parlaments gefolgt: Zahlreiche Sicherheitsmechanismen seien eingebaut worden, um eine Verharmlosung von Nebenwirkungen oder falsche Heilversprechen im Vorfeld zu stoppen und Fakten klar von Marketingaussaugen zu trennen. Liese: „Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf es nicht geben.“ Jetzt muss das Dokument noch im europäischen Parlament und Ministerrat erörtert werden. Zwischen Theorie… Dalli setzt auf ein generelles Werbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel, erfüllt aber eine alte Forderung der pharmazeutischen Hersteller: Er räumt den Firmen die Möglichkeit ein, mit Patienten in Kontakt zu treten. Neben Etikett und Packungsbeilage sollen lediglich bestimmte Informationen erlaubt werden, etwa über Preise, Fragen zur Anwendung oder klinische Studien. Auch werden Kunden entsprechende Daten nur auf Anfrage bekommen, und dann über spezielle Medien wie registrierte Websites oder gedruckte Materialien. Die Richtlinie verlangt zudem neutrale, objektive, verständliche Texte – frei von falschen Versprechungen, Verharmlosungen oder Irreführungen. Deshalb müssen alle Daten, die nicht schon beim Zulassungsverfahren genehmigt wurden, vor ihrer Veröffentlichung erst einmal behördlichen Segen finden. …und Praxis Vorsicht ist trotzdem geboten: Über Apotheker und Ärzte erreicht Arzneimittelwerbung letztlich auch Patienten. Auch Patientenverbände dürfen sich zu Therapien äußern, falls sie kein Geld von der Industrie erhalten, was schwer zu überprüfen ist. Und so vermutet die europäische Verbraucherschutzorganisation BEUC (Bureau Européen des Unions de Consommateurs), dass pharmazeutische Hersteller direkte Wege zum Patienten suchten und fänden. „Wir fordern die europäischen Gesetzgeber auf, das Recht des Verbrauchers auf hohe Qualität und neutrale Informationen über Gesundheit, Arzneimittel und Krankheiten zu garantieren“, sagt Monique Goyens, Generaldirektorin des BEUC. Jetzt sei es an ihnen, Unterschiede zwischen Information und Werbung besser herauszuarbeiten. Werbung – oder Information? Das beginnt bereits bei der Frage, über welche Rx-Präparate Firmen informieren wollen. Erfahrungen aus den USA zeigen, dort ist auch Werbung für rezeptpflichtige Präparate legal, dass meist für hochpreisige Medikamente Medienpakete geschnürt werden. Deren Umsatz stieg – mittlerweile verzeichnen die Vereinigten Staaten exorbitante Kosten in diesem Segment. Experten haben auch für Europa entsprechende Befürchtungen, steht es den Herstellern ja frei, zu welchen Präparaten Material zusammengestellt wird – laut BEUC ein Ansatzpunkt für „versteckte Werbung“. Auch der Inhalt entsprechender Informationspakete wird schnell fragwürdig, im wahrsten Sinne des Wortes: Wollten wirklich Patienten die „häufig gestellten Fragen“ wissen oder waren es doch eher hausinterne Marketing-Strategen? Zudem sind „Informationen über die Gesundheit oder Krankheit von Menschen“ erlaubt, falls nicht Bezug auf „einzelne Arzneimittel“ genommen wird. Dann zur Prüfung: Der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) soll nur eine Frist von 60 Tagen eingeräumt werden. Wenn sie eingereichtes Material in diesem Zeitrahmen nicht kontrolliert hat – und sei es aufgrund von Überlastung – gelten die Informationen als genehmigt. Eine Flut von sichtungsbedürftigem Material wird aber gerade zur Einführung der neuen Richtlinie nicht ausgeschlossen, von den Kosten durch zusätzliches Personal ganz zu schweigen. Ein weiteres Problem, und zwar ein typisch europäisches: Werden sich alle Mitgliedsstaaten streng an das Papier halten und dessen Eckpunkte in nationales Recht umsetzen? Oder, wie das BEUC befürchtet, Vorgaben eher durch Ausnahmeregelungen verwässern? Hier geht die Bundesregierung mit gutem Beispiel voran: Beipackzettel sowie Fachinformationen wären mehr als ausreichend, heißt es. Die Justiz sagt ja Hingegen begrüßte der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) die neuen Richtlinien, verwies aber darauf, dass die Justiz einzelne Punkte ohnehin schon geklärt habe. Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gaben Anfang Mai grünes Licht für die Veröffentlichung von Beipackzetteln im Web, so lange darin kein Werbeziel erkennbar sei. „Wir begrüßen die Entscheidung, denn nun ist endlich klar, was ein Unternehmen darf“, kommentierte Henning Fahrenkamp vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. Es sei auch eindeutig herausgestellt worden, dass die durch die Zulassungsbehörden amtlich genehmigten Dokumente keine Werbung darstellten. Prinzipiell deckt sich das Urteil aber mit der neuen Richtlinie. Nur bleibt abzuwarten, ob der EuGH bald mit einer Flut von Einzelentscheidungen aus den EU-Mitgliedsstaaten überhäuft wird.