Brennende oder stechende Schmerzen im Schambereich, oftmals über Jahre hinweg, deuten auf eine Vulvodynie hin. Die Krankheit belastet Patientinnen und fordert Ärzte heraus, fehlen immer noch etablierte Therapien. Erfolge bringt in Einzelfällen die Chirurgie.
Geschichten, wie sie das Leben schreibt: „Sex and the City“-Akteurin Charlotte York musste sich in der Serie aufgrund vaginaler Schmerzen behandeln lassen. Als ihr Arzt eine Vulvodynie diagnostizierte, meinte er lapidar, das Leiden sei nicht ernst, nur unbequem. Charlotte bekam ein niedrig dosiertes Antidepressivum, und schon schien die Welt wieder in Ordnung zu sein. Gegen diese Darstellung liefen Mediziner und Patientenorganisationen in den Staaten Sturm, allen voran Vertreter der National Vulvodynia Association. Ihr Vorwurf: Die Soap bagatellisiere eine ernste, chronische Krankheit mit hohem Leidensdruck für Patientinnen und für deren Partner.
Höllenqualen
Bei einer Vulvodynie werden leichte Berührungen des Genitalbereiches zur Tortur, allein schon durch Unterwäsche oder Tampons. Die teils als unerträglich beschriebenen Schmerzen können sich bis zum After ausdehnen und beeinträchtigen das tägliche Leben immens: Betroffene können im Extremfall nicht einmal mehr für längere Zeit sitzen. Andere Patientinnen berichten von Juckreiz, Schmerzen beim Wasserlassen sowie Zug- und Druckbelastungen. Zwangsläufig wird auch das Liebesleben stark eingeschränkt, eine Penetration gestaltet sich quasi als unmöglich.
Nicht selten – aber selten diagnostiziert
Allein in den USA sind Millionen Einwohnerinnen betroffen sind, wie eine populationsbasierte Studie ergab. Dazu befragten Forscher aus Michigan 2.269 Frauen. Ihr Resultat: Rund 8,3 Prozent litten zum Zeitpunkt der Datenerhebung an einer Vulvodynie. Hinzu kamen knapp 18 Prozent, die im Laufe ihres Lebens schon einmal ähnliche Beschwerden hatten. Die Autoren kommentierten, Vulvodynie gelte folglich als häufige, obgleich selten diagnostizierte Krankheit mit hoher Prävalenz bei sexuell aktiven Frauen jeden Alters. Von 208 Frauen, bei denen Kriterien für die Krankheit sprachen, hatten lediglich 101 ärztliche Hilfe gesucht, und nur in drei Fällen war tatsächlich die richtige Diagnose gestellt worden. „Bisher konnte mir kein Arzt helfen, da die meisten nicht mal wussten, was Vulvodynie ist“, äußern sich Frauen etwa in einem Selbsthilfe-Forum. Betroffene Patientinnen suchen etliche Ärzte auf, bevor das Leiden erkannt wird. Wie eine Vulvodynie aber entsteht, bleibt unklar.
Ursachen rätselhaft
Trotz zahlreicher Untersuchungen konnten Wissenschaftler nach wie vor keine kausale Ursache finden. Vielmehr entwickelten sie zahlreiche Hypothesen: Infektionen mit Trichomonas, mit Hefen oder humanen Papillomaviren erscheinen mehr als verdächtig. Oftmals heilen diese nicht richtig aus, und die Entzündung bleibt auf subklinischem Niveau bestehen. Weitere Risikofaktoren sind Arzneimittel im Urogenitalbereich, inklusive einer langjährigen, antibiotischen Therapie. Auch Hormone werden genannt, sei es topisch oder systemisch – letzteres etwa bei der oralen Kontrazeption. Überempfindlichkeiten gegen Körperpflegeprodukte oder Reaktionen auf Oxalat in der Nahrung kommen ebenso in Frage. Als weiteren möglichen Auslöser bewerten Gynäkologen frühen, regelmäßigen Geschlechtsverkehr. Ganz auszuschließen sind auch Effekte chirurgischer Eingriffe im Genitalbereich nicht. Andere Untersuchungen wiederum sehen die Schuld in Autoimmunerkrankungen ähnlich Lupus erythematodes oder Lichen sclerosus. Humangenetiker wiesen zudem Mutationen im Erbgut nach, betroffen waren Bereiche, die Botenstoffe wie Interleukin-1β codieren. Entsprechende Anomalien gingen im Vergleich zur Normalbevölkerung mit deutlich langwierigeren Entzündungsvorgängen einher.
Neurologen und Psychiater ratlos
Aus neurologischer Sicht könnten zu viele Nervenendigungen im Vaginalbereich lokalisiert sein. Ein Anhaltspunkt: Gynäkologen der University of Rochester School of Medicine and Dentistry, USA, untersuchten bei Vulvodynie-Patientinnen die kutane Reaktion auf Capsaicin – bekannt als probates Mittel zur Reizung diverser Nozizeptoren. Die Frauen hatten unter der Provokation deutlich stärkere Schmerzen, verbunden mit einem höheren Ruhepuls und einem niedrigeren systolischen Ruheblutdruck als bei den Kontrollen. Psychiater diskutieren derweil Depression sowie Angststörungen, wobei wenig für psychosexuelle Auslöser spricht. Ein Zusammenhang mit Traumata ließ sich nicht nachweisen.
Evidenz Fehlanzeige
Angesichts der schwammigen Studienlage bleibt als Schlussfolgerung: Den typischen Auslöser einer Vulvodynie gibt es nicht, vielmehr scheinen etliche Faktoren relevant zu sein. Aus dieser Not wurden zahlreiche Behandlungsstrategien konzipiert: Diäten ohne Oxalsäure, TENS, Lokalanästhetika oder Hormone sollten die Symptome bessern. Versuchsweise kamen auch trizyklische Antidepressiva, SSRI oder Gabapentin zum Einsatz. Mit diesen Arzneistoffen hatte man schon langjährige Erfahrungen bei Fibromyalgie sowie bei neuropathischen Schmerzen. Andere Kollegen empfahlen Entspannungsmethoden von Yoga bis zur progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson. Und Sexualtherapien sollten für ein glücklicheres Liebesleben sorgen, indem sie Alternativen zum schmerzhaften Koitus aufzeigen. Unterstützen können in leichteren Fällen auch Lokalanästhetika plus Gleitmittel.
Alle Therapien gleichen dem Stochern im Nebel, ergab eine Metaanalyse, an randomisierten, klinischen Studien mangelt es. Forscher der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee, fanden keine Evidenz – außer bei Placebo. Dennoch gibt es eine Ausnahme.
Skalpell gegen Schmerz
Beim vulvären Vestibulitis-Syndrom (VVS), einer speziellen Form der Vulvodynie, helfen chirurgische Eingriffe tatsächlich mit hoher Evidenz. Zur Symptomatik: VVS-Patientinnen klagen über Rötungen sowie Entzündungen am Scheideneingang, wobei nicht weiter überraschend alle gängigen Untersuchungen ohne Befund bleiben. Histologisch deutet viel auf chronisch-inflammatorische Prozesse hin, allerdings ohne aktiven Infekt. Davon betroffene Hautschichten tragen Gynäkologen im Rahmen einer Vestibulektomie teilweise ab und entfernen, falls erforderlich, auch Bereiche des Hymenalrings. Schließlich decken sie das Gebiet mit einer Verschiebeplastik ab. Um die Sicherheit und den Erfolg dieser Methode kritisch zu untersuchen, führten finnische Ärzte eine retrospektive Kohortenstudie mit 57 Patientinnen durch, inklusive Gesprächen, Fragebögen, gynäkologischen Untersuchungen sowie Berührungstests zur Einschätzung der Schmerzempfindlichkeit. Überwältigend: 91 Prozent der Frauen waren mit dem Ergebnis der OP zufrieden. Dementsprechend nahmen diverse Skalenwerte hinsichtlich Schmerz und Problemen beim Geschlechtsverkehr ab. Lag kein VVS vor, versagte aber auch die chirurgische Methode.
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