Wer regelmäßig Kokain zu sich nimmt, fühlt sich schlechter in andere Menschen ein und verhält sich weniger sozial. Forscher konnten zeigen, dass Konsumenten durch Sozialkontakte weniger belohnt werden. Das Training von sozialen Fähigkeiten könnte bei der Suchtüberwindung helfen.
Nach Cannabis ist Kokain die am zweithäufigsten konsumierte illegale Substanz in Europa. Wie frühere Studien belegen, haben regelmäßige Kokainkonsumenten im Vergleich zu Nicht-Konsumenten ein schlechteres Gedächtnis sowie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwierigkeiten. Auch fällt es ihnen schwerer, sich in andere einzufühlen oder emotionale Signale richtig zu einzuschätzen. Zudem scheinen sie sich weniger sozial zu verhalten und haben weniger Sozialkontakte. Nun haben Wissenschaftler der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich gezeigt, auf welche Weise diese sozialen Defizite zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Kokainsucht beitragen könnten: Wie die Forscher um Professor Boris Quednow in der Fachzeitschrift PNAS mitteilten, erleben Kokainkonsumenten wahrscheinlich ein vermindertes Belohnungsgefühl bei Sozialkontakten. Am ersten Teil der Studie nahmen 80 Kokainkonsumenten und 63 Kontrollpersonen ohne Kokainkonsum teil. Für die Studie rekrutierten die Forscher nur solche Konsumenten, die mindestens ein Gramm Kokain pro Monat zu sich nahmen. Ausschlusskriterien waren der regelmäßige Konsum anderer illegaler Drogen und das Auftreten psychiatrischer Störungen. Die Aussagen der Teilnehmer über den eigenen Drogenkonsum wurden mit Hilfe von Urinproben und Haaranalysen auf ihre Richtigkeit überprüft. „Wir haben nur Konsumenten mit relativ hohen Konsum in die Studie einbezogen, da wir bei diesen die größten Veränderungen erwarteten“, sagt Quednow, Leiter der Arbeitsgruppe Experimentelle und Klinische Pharmakopsychologie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
Im Rahmen des folgenden Experiments musste jeder Proband auf einen Bildschirm schauen, auf dem ein virtuelles Gesicht und mehrere Objekte zu sehen waren. Die Teilnehmer sollten das Gefühl haben, dass sie via Monitor mit einem echten Menschen interagierten. Deswegen sagten die Forscher ihnen, dass das Gesicht von einer in einem anderen Raum sitzenden Person gesteuert werden würde. Nachdem die Probanden einen kurzen Blickkontakt mit ihrem Gegenüber auf dem Monitor aufgebaut hatten, mussten sie ihren Blick auf ein Objekt richten. Das virtuelle Gesicht folgte entweder ihrem Blick oder schaute auf ein anderes Objekt. In einem weiteren Durchgang mussten die Testpersonen entweder dem Blick des virtuellen Gesichts auf ein Objekt folgen oder stattdessen auf ein anderes Objekt schauen. Anschließend mussten sowohl Kokainkonsumenten als auch Kontrollpersonen auf einer Skala von eins bis neun ihre Empfindungen einstufen, die sie jeweils spürten, als sie auf unterschiedliche Weise mit dem virtuellen Gesicht interagierten. „Schauen zwei Personen auf den gleichen Gegenstand und erfassen diesen gemeinsam, wird dies normalerweise als angenehm empfunden“, erklärt Quednow. Bei der Auswertung stellte sein Team fest, dass die Kontrollpersonen es als wesentlich angenehmer empfanden, wenn ihr Gegenüber das gleiche Objekt wie sie anschaute anstatt auf ein anderes zu blicken. Dieser Unterschied war bei den Kokainkonsumenten viel weniger stark ausgeprägt.
Zudem fühlten die Kokainkonsumenten eine stärkere Erregung, wenn das virtuelle Gegenüber ihre Aufmerksamkeit teilte – im Gegensatz zu den Kontrollpersonen, die stärker erregt waren, wenn das Gesicht auf dem Bildschirm einen anderen Gegenstand anschaute als sie selbst. „Kokainkonsumenten erleben das gemeinsame Betrachten eines Objekts nach einem vorausgehenden Blickkontakt nicht auf die gleiche Weise wie die Kontrollpersonen, ihnen ist es relativ egal, ob ihrem Blick jemand folgt oder nicht“, sagt Quednow. Während des Experiments maßen er und seine Mitarbeiter zusätzlich die Pupillengröße der Probanden. Auch hier gab es bei beiden Gruppen einen deutlichen Unterschied: Bei den Kokainkonsumenten variierte die Pupillengröße in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation weniger stark als bei den Kontrollpersonen. Im zweiten Teil der Studie wiederholten die Forscher das vorherige Experiment in leicht veränderter Form. Wieder mussten 16 Kokainkonsumenten und 16 Kontrollpersonen Blickkontakt mit ihrem Gegenüber auf dem Monitor aufnehmen und anschließend Blicke auf ein Objekt richten – gemeinsam mit dem virtuellen Gesicht oder auch nicht. Während des Experiments bildete Quednows Team mittels Kernspintomografie die Aktivität verschiedener Gehirnregionen ab. Die Forscher beobachteten bei den Kontrollpersonen im Bereich des medialen orbitofrontalen Cortex eine stärkere Aktivierung, wenn das virtuelle Gesicht ihren Blick teilte, als dies bei den Kokainkonsumenten der Fall war.
„Ein Teil des neuronalen Belohnungssystems ist in dieser Gehirnregion verankert“, sagt Quednow. „Wahrscheinlich suchen Kokainkonsumenten viel weniger den Kontakt zu ihren Mitmenschen, weil sie dadurch nicht so stark belohnt werden.“ Der Forscher kann momentan die Frage noch nicht beantworten, ob Kokain selbst die Ursache dafür ist, dass seine Konsumenten Sozialkontakte weniger belohnend empfinden, oder sie diese Substanz nehmen, um ihr Defizit auszugleichen und sich mit der Wirkung von Kokain belohnen. „Da sich die Daten für diese Veröffentlichung nur auf einen Zeitpunkt beziehen, geht aus ihnen nicht hervor, ob der Effekt substanzinduziert oder eine Prädisposition der Konsumenten dafür verantwortlich ist“, sagt Quednow. „Wir wissen aber, dass die basalen kognitiven Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Konzentration bei Kokainkonsumenten sich mit der Dauer des Konsums verschlechtern und sich verbessern, wenn die Konsumenten aufhören, die Droge zu nehmen.“ Langzeituntersuchungen, so der Psychologe, könnten den Nachweis erbringen, ob Kokain ebenfalls einen direkten Einfluss auf die sozialen Fähigkeiten der Konsumenten habe. Quednow: „Ein besseres Verständnis, warum Kokainkonsumenten soziale Einschränkungen aufweisen, könnte die Entwicklung neuer Therapiestrategien ermöglichen. Das Training von sozialen Fähigkeiten hilft eventuell dabei, die Kokainsucht zu überwinden.“ Andere Experten wie Tagrid Leménager, Suchtforscherin in der Abteilung Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim, finden die Ergebnisse der Zürcher Arbeitsgruppe interessant, vermissen aber, dass die sozialen Fähigkeiten der Studienteilnehmer nicht über einen längeren Zeitraum beobachtet wurden und man somit keine Veränderungen in Assoziation mit dem Konsumverhalten erfassen konnte. Auch für Professor Jörg Daumann, Leiter der experimentellen Psychiatrie der Uniklinik Köln, sind die Versuche der Zürcher Arbeitsgruppe ein erster, noch ausbaufähiger Schritt, um die sozialen Auswirkungen des Kokainkonsums zu untersuchen: „Der erste Teil der Studie überzeugt sowohl durch die Stichprobengröße als auch durch die Signifikanz der gemessenen Effekte. Doch im zweiten Teil fehlt diese Eindeutigkeit der Ergebnisse.“ Man sollte, so Daumann, die Aussagen der funktionellen Bildgebung deshalb nicht überbewerten.