KOMMENTAR | Endlich – die erste Anhörung der Enquete-Kommission! Sie soll aus der Corona-Pandemie Lehren für kommende Gesundheitskrisen ziehen. Was bisher erarbeitet wurde – und worauf wir vermutlich bis 2027 vergeblich warten werden.
Die Corona-Pandemie hat Deutschland zu einem Maße gebeutelt, wie es seit Jahrzehnten keine Krise mehr schaffte. Sie hatte neben ihrer medizinischen auch eine immense gesellschaftliche Tragweite. Das Gesundheitssystem geriet ins Wanken, Schulen und Kitas wurden geschlossen, die Wirtschaft taumelte und das soziale Leben funktionierte nur noch im Krisenmodus. Gerade deswegen bräuchten wir eine radikale, mutige, schonungslose Aufarbeitung dringender denn je – nicht als dekoratives Feigenblatt, sondern als ehrliche Bestandsaufnahme.
Es geht darum, Fehler zu erkennen, Strukturen zu verbessern, Vertrauen zu reparieren und Lehren zu ziehen: Die nächste Pandemie kommt, ob wir bereit sind oder nicht. Eigentlich wäre genau das die Aufgabe der neuen Enquete-Kommission: ein Gremium von Abgeordneten und Fachleuten, das klärt, was gut, was mäßig und was katastrophal gelaufen ist. Doch die Wirklichkeit bleibt weit hinter diesem Anspruch zurück, denke ich.
Der Start dieser Kommission kam nicht einfach spät – er kam peinlich spät. Erst nach zähen parteipolitischen Scharmützeln wurde sie überhaupt eingerichtet. Für mich liegt der Verdacht nahe, dass weniger der Wille zur Aufklärung als vielmehr der Wunsch, Bürger zu besänftigen dabei im Mittelpunkt stand. Zwischen Pandemie-Beginn und Kommissionsstart liegen Jahre. Die globale Notlage laut WHO endete am 5. Mai 2023, doch die Kommission, im Juli 2025 eingesetzt, traf sich erst im Dezember 2025 zu ihrer ersten Sitzung. Mehr ist bislang nicht geschehen: eine Verzögerung, die man schwer anders interpretieren kann als politischen Unwillen.
Womöglich fehlen für diese Aufarbeitung mittlerweile Daten, Protokolle sind lückenhaft, viele Entscheidungen aus hektischen Messenger-Chats lassen sich nicht mehr nachvollziehen. Je später eine Aufarbeitung beginnt, desto tiefer versinkt sie im Nebel der Erinnerung. Was bleibt, ist mitunter Spekulation – und genau die sollte eine Kommission vermeiden.
Noch gravierender ist, dass Berlin jahrelang nicht entscheiden konnte, wie eigentlich aufgearbeitet werden soll. Am Ende entschied man sich für das denkbar schwächste Format. Die Enquete-Kommission ist eben kein Untersuchungsausschuss. Sie kann keine Akten anfordern, keine Zeugen laden, keine Zwangsbefugnisse einsetzen. Das Ergebnis: ein Tiger ohne Zähne und ohne Krallen, dem man dennoch aufträgt, investigativ zu jagen. Eine Kommission ohne Möglichkeiten, die zentralen Informationen einzufordern, wird nie mehr als an der Oberfläche kratzen. Vielleicht ist genau das gewollt, denke ich – sowohl von der letzten als auch von der aktuellen Bundesregierung.
Das Mandat der Enquete-Kommission hingegen liest sich für mich wie ein politisches Wunschkonzert: Vorbereitung, Krisenmanagement, Föderalismus, Grundrechte, Bildungsfolgen, wirtschaftliche Schäden, soziale Spaltungen, Kultur, Kommunikation, Impfkampagne, Maskenpolitik sollen bearbeitet werden. Eine Kommission mit begrenzten Ressourcen kann diese Themenfülle nicht ernsthaft bearbeiten. Die Gefahr liegt auf der Hand: Man streift vieles, vertieft wenig, und am Ende steht eine Gesamtschau, die eher an einen Schulaufsatz erinnert als an eine systematische Aufarbeitung. Und die eben keinen Mehrwert bietet.
Auch die Zusammensetzung des Gremiums lässt Zweifel aufkommen. Zwar dürfen externe Fachleute teilnehmen, doch das Gewicht der Parteien bleibt überwältigend. Und Politiker haben ein natürliches Interesse daran, die Fehler der eigenen politischen Familie zu relativieren. Bei Konfliktthemen wie Schulschließungen, Maskenbeschaffung, Impfkampagnen oder wirtschaftlichen Eingriffen droht der parteipolitische Reflex stärker zu sein als die wissenschaftliche Redlichkeit. Die Union wird sich hüten, über Jens Spahns (CDU) Masken-Affäre zu sprechen. Und Verschwörungsideologen wie Stefan Homburg (AfD) nutzen das Gremium als Bühne, um Parolen unter die Leute zu bringen – wie zuletzt beim Hearing mit Christian Drosten. Meine Befürchtung: Am 30. Juni 2027 wird die Kommission dann ein Papier vorlegen, das niemanden verletzt – und das niemandem nützt. Ein Dokument, das so weichgespült ist, dass man es für einen politischen Waschlappen halten könnte.
Für mich drängt sich der Eindruck auf, dass es hier weniger um Aufarbeitung als um reine Symbolpolitik geht. Dabei wäre gerade jetzt eine ehrliche Analyse nötig. Nicht, um Schuldige zu jagen, sondern um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen – und beim nächsten Mal besser vorbereitet zu sein. Die Enquete-Kommission könnte diesen Beitrag leisten, wenn sie den Mut hätte, über ihre eigenen Beschränkungen hinauszugehen. Wenn sie Konflikte riskiert, statt sie zu vermeiden. Und wenn sie Klartext redet, statt in parteipolitischen Positionen zu verharren. Ohne Schönfärberei, ohne Rücksicht, ohne Angst. Doch bisher spricht wenig dafür, dass das passiert. Wenn das Gremium so weiterarbeitet, bleibt es das, als was es begonnen hat: ein Feigenblatt.
Bildquelle: ChatGPT