Vor kurzem haben wir euch gefragt, wie es um eure mentale Gesundheit bestellt ist. Lest hier eure Antworten und warum Führungskräfte die gleichen Probleme wie ihre Angestellten haben.
Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, sind stark psychisch belastet. Das zeigt die bislang größte Erhebung der WHO zur psychischen Gesundheit von Ärzten und Pflegekräften in Europa. Auch eine aktuelle Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) untersucht die Verbreitung depressiver Symptome speziell in Deutschland – in der Gesamtbevölkerung sowie zusammen mit dem Einfluss des sozioökonomischen Status – und stellt hier ebenfalls einen Anstieg fest.
Wir haben die WHO-Studie zum Anlass genommen, um auch bei euch in unserer Community nachzuhorchen, wie es um eure mentale Gesundheit bestellt ist. Hier sind die Ergebnisse.
Insgesamt 209 von euch haben die Umfrage abgeschlossen. Drei Viertel der Befragten waren Frauen, 90 % arbeiten in einer Klinik oder Praxis, der Rest verteilt sich auf Rettungsdienst, Pflege, Apotheken, Verwaltung oder sonstiges. 36 % der Teilnehmer beschreiben ihren mentalen Zustand als „sehr gut“ (19 Personen) oder „ganz okay“ (57 Personen). „Ich habe gute und schlechte Tage“, sagten immerhin noch 35 % (73 Personen). 10 % (21 Personen) sagten „Mir geht es eher schlecht und ich habe depressive Symptome“, und 17 % (36 Personen) gaben an, eine (Erschöpfungs-)Depression, Ängste oder andere psychische Beschwerden zu haben.
In Freitextfeldern haben wir euch gefragt, welche Beschwerden ihr im Alltag habt und was ihr als belastende Auslöser empfindet. Als größte Belastung wurden strukturelle Faktoren genannt, also Personalmangel, Zeitdruck und vermehrte Bürokratie. Kurz dahinter folgten psychosoziale Faktoren, wie fehlende Wertschätzung, schlechte Kommunikation und emotionale Erschöpfung. Auch systemische Faktoren, wie wirtschaftlicher Druck und ineffiziente Organisation, wurden oft genannt.
Eure Belastungen
Auch bei den Beschwerden lassen sich Muster erkennen. Mit großem Abstand führen Symptome wie Müdigkeit, Erschöpfung, Lustlosigkeit und fehlende Motivation. Typische Formulierungen waren: „starke Erschöpfung, fehlende Motivation“, „Abgeschlagenheit, Gleichgültigkeit“ oder „chronische Müdigkeit“. Ebenfalls sehr häufig wurden Schlafprobleme und Durchschlafstörungen genannt. Viele beschreiben damit verbundene Reizbarkeit oder Konzentrationsprobleme. Zahlreiche Antworten deuten auf depressive Verstimmungen hin – teils mit klarer Eigendiagnose, teils als Beschreibung emotionaler Symptome wie „depressive Stimmung“, „Freudlosigkeit“ oder „Sinnlosigkeit“. Mehrere Befragte erwähnten auch diagnostizierte Depressionen oder berichteten von Therapieerfahrungen („Erschöpfungs-Depression“, „nach Psychotherapie jetzt wieder okay“). Viele berichteten außerdem über Angstzustände oder Leistungsdruck, besonders in Notfallsituationen oder vor der Arbeit („Angst vor Versagen im Notfall“, „Angst vor der Arbeit“, „ständige Anspannung“). Und auch vor dem Privatleben macht der Stress keinen Halt. Ein Teil der Antworten beschreibt emotionale Überreaktionen und Kontrollverlust: „schnell aggressiv, wenig Geduld zu Hause“, „Wutanfälle“, „Reizbarkeit im familiären Umfeld“.
Ebenfalls interessant: Die Aussagen ziehen sich durch, unabhängig davon, welchen Status die Befragten in ihrem Job haben. Unter den 209 Befragten waren 78 Arbeitgeber oder Führungskräfte, 115 Angestellte und 16 in Ausbildung. Bei der ersten Gruppe, also jene, die Verantwortung für andere tragen, sagen etwas mehr als die Hälfte (54 %), dass sie sich bereits um die mentale Gesundheit ihrer Angestellten kümmern. 45 % ist zwar bewusst, dass mentale Gesundheit wichtig ist, sie wissen aber nicht genau, was sie tun können, um sie bei ihren Angestellten zu verbessern. Das übrige eine Prozent findet das Thema überbewertet.
Wir haben euch auch nach Lösungen gefragt. Auf die Frage, was ihr bereits für die mentale Gesundheit eurer Mitarbeiter tut, wurde der aktive Austausch mit dem Team als mit Abstand wichtigster Mechanismus genannt. Viele Befragte betonen, dass sie offen über Probleme sprechen, regelmäßig nachfragen und Mitarbeiter ermutigen, sich bei Belastung zu melden. Auch wird der Effekt einer positiven Feedback-Kultur gesehen. Einige Ärzte bemühen sich, mittels Lob, Anerkennung und Einbindung in Entscheidungen einen positiven Einfluss auf ihre Angestellten zu haben. Auch Erholung wird als schützender Faktor durchaus geschätzt: Mehrfach erwähnt wurden strukturierte Pausenregelungen und die Achtung der Arbeitszeiten als psychische Entlastung.
Wenn Geld keine Rolle spielen würde, dann würden mit Abstand die meisten Führungskräfte mehr Personal einstellen. Die dauerhafte Unterbesetzung wird ganz klar als die zentrale Ursache psychischer Belastung gesehen. Als zweithäufigster Punkt wurden sich strukturelle Verbesserungen gewünscht – insbesondere feste Pausenzeiten, eine modernere Ausstattung und planbare Arbeitszeiten. Auch würden einige Befragte ihren Angestellten gerne Präventionsangebote wie Supervision, Coaching oder psychologische Begleitung ermöglichen. Immer wieder wird außerdem eine bessere Bezahlung als Möglichkeit für psychische Entlastung genannt – besonders bei unterbezahlten Berufsgruppen. Hier wird sichtbar: Die meisten Befragten denken bereits vermehrt in systemischen Lösungen (Team, Organisation, Führung) und weniger in individuellen. Daran sieht man, dass bereits ein hohes Bewusstsein für die strukturellen Ursachen psychischer Belastung im Gesundheitswesen besteht, zumindest bei den Teilnehmern dieser Befragung.
Obwohl Führungskräfte das Thema bereits auf dem Schirm zu haben scheinen, gaben drei Viertel der Angestellten den Wunsch an, dass mehr auf ihre mentale Gesundheit geachtet würde. Auch hier haben wir nach Lösungsansätzen gefragt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind sich dabei einig – der mit Abstand häufigste Wunsch lautet: mehr Kollegen. Viele Teilnehmer empfinden die Arbeitsmenge als dauerhaft zu hoch und fordern Entlastung durch Neueinstellungen („mehr Mitarbeiter einstellen, um uns zu entlasten“, „Wir müssen die Arbeit von 3 bis 4 Ärzten machen“, „geringere Arbeitsdichte“). Auch spontane Dienste, unbezahlte Überstunden und fehlende Pausen werden als belastend empfunden. Ein großer möglicher Hebel wären planbare Arbeitszeiten.
Interessant ist zu sehen, dass auch von Arbeitnehmern sehr häufig ein besserer persönlicher Umgang gewünscht wird – ein Punkt, den viele Arbeitgeber und Führungskräfte bereits auf dem Schirm haben und sich darum bemühen. Mehr Anerkennung, Empathie und ein respektvollerer Umgang scheint aber bei vielen nur ein Wunsch zu sein. Auch Führungskompetenz scheint ein Thema zu sein, dass in vielen Einrichtungen noch ausbaufähig ist. Der Wunsch nach professioneller, transparenter und fairer Leitung ist auffallend präsent („bessere Auswahl und Schulung der Führungskräfte“, „Möglichkeit, Red Flags bei Führungskräften adressieren zu können, ohne Sanktionen“, „Führungskräftecoaching“). Man sieht also: Mitarbeiter wollen keine Wellness-Angebote, sondern faire Arbeitsbedingungen, empathische Führung und echte Entlastung. Nicht überraschend, oder?
Unsere kleine Umfrage zeigt: Ja, der Druck im Gesundheitswesen ist groß. Aber was auch deutlich wird: Viele wissen längst, was sie brauchen, um gesund zu bleiben oder was sie tun müssen, damit ihre Angestellten es bleiben. An den Antworten sieht man, wie groß das Bewusstsein für mentale Gesundheit im Gesundheitswesen inzwischen geworden ist. Zwischen Personalmangel und Papierbergen gibt es die Chance, dass etwas anderes wächst: Teamgeist, Achtsamkeit und echtes Interesse aneinander. Denn man sieht auch: Wer in Medizin, Pflege oder Praxis Verantwortung trägt, möchte nicht nur funktionieren, sondern sich selbst und andere gesund erhalten. Genau da beginnt Veränderung. Natürlich lassen sich Personalmangel und überbordende Bürokratie nicht über Nacht beheben. Aber schon kleine, konsequente Schritte können viel bewirken: ein respektvoller Umgang, ehrliches Feedback, feste Pausen, Supervision oder gute Dienstplanung. Wo solche Maßnahmen gelebt werden, entsteht Entlastung – und mit ihr vielleicht auch neue Motivation.
In Bezug auf die oben genannte RKI-Studie sehen auch Fachleute wie Dr. Verina Wild, Leiterin des Instituts für Ethik und Geschichte der Gesundheit in der Gesellschaft der Universität Augsburg zwei Möglichkeiten: die Verhaltensprävention und die Verhältnisprävention. „Die Verhaltensprävention setzt an einer Veränderung des Verhaltens der einzelnen Person an und beinhaltet so etwas wie mehr Bewegung, gesündere Ernährung, Achtsamkeitsübungen.“ Für noch wichtiger und ganz besonders wirksam würden viele aber die Verhältnisprävention halten. „Sie ist leider weniger ‚sexy‘ und die Effekte sind weniger unmittelbar sichtbar, aber sie müsste unbedingt ausgebaut und gestärkt werden, um gesundheitliche Ungleichheiten zu verringern. Verhältnisprävention beinhaltet die Verbesserung der sogenannten sozialen und umweltbezogenen Determinanten der Gesundheit. Das bedeutet, dass wir die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen verbessern, die mit dem eigenen Verhalten so gut wie gar nicht zu beeinflussen sind. Das sind also Bereiche wie gesunde Arbeitsplätze, faires Einkommen, gute Luftqualität, guter und günstiger öffentlicher Nahverkehr, gute Sozial- und Pflegesysteme, flächendeckende psychologische und psychotherapeutische Versorgung. Aber auch so etwas wie Möglichkeiten des Austauschs und der Begegnung in der Kommune, Beteiligung und Gehörtwerden, Anerkennung und Wertschätzung – das sind Elemente, die wir auf viel systematischere Weise stärken können und müssen.“
Die Stimmen aus dieser Befragung können Mut machen, denn sie zeigen: Inmitten hoher Anforderungen wächst auch eine Generation von Führungskräften und Mitarbeitern heran, die mentale Gesundheit als Teil professioneller Qualität begreift und erkannt hat, womit sie gestärkt werden kann. Das ist kein Idealismus, sondern gesunder Pragmatismus – und vielleicht der wichtigste Fortschritt der kommenden Jahre. Jetzt muss nur noch das System nachziehen.
Bildquelle: Mulyadi, Unsplash