Zerbombte Krankenhäuser, Comeback von Tuberkulose und HIV, fehlende Unterstützung aus den USA – die Baustellen häufen sich. Wo wir am dringendsten anpacken müssen, zeigt sich auf dem diesjährigen Tropenkongress.
Die Zeiten ändern sich. Letztes Jahr habe ich vom Tropenkongress (CTM) in Düsseldorf berichtet. Dieses Jahr begrüßt mich Hamburg mit einigen surreal schönen Tagen. Die strahlende Herbstsonne taucht die endlosen Gärten von Planten un Blomen neben dem Kongresszentrum in ein warmes, sanftes Licht – kann aber dennoch nicht ganz vom Ernst der Lage ablenken.
Der durch die Deutsche Tropenmedizinische Gesellschaft (DTG) hervorragend organisierte ECTMIH 2025 (European Congress on Tropical Medicine and International Health) ist ganz im Hier und Jetzt. Schon beim Opening werden vor den zahlreichen andächtig lauschenden Zuschauern die großen Brüche dieser Tage aufgerollt:
Die Devise lautet: „Unite Behind Science“. Das ist Weckruf, Selbstversicherung und trotzige Durchhalteparole zugleich und zeigt uns, dass lang geglaubte Selbstverständlichkeiten und Sicherheiten zunehmend schwinden.
„Unite Behind Science“ – Illustration vom ECTMIH 2025
Zum Zeitpunkt des Kongresses bestanden global 31 Gesundheitsnotstände (Health Emergencies) in 88 Ländern. Ursächlich sind Infektionskrankheiten, bewaffnete Konflikte, Auswirkungen von Klimawandel und Naturkatastrophen sowie Flucht und Vertreibung. Und was bringt die Zukunft? Genau weiß das keiner, aber vieles lässt sich berechnen und abschätzen. Die aktuellen Entwicklungen zeigen eine klare Richtung. Und folgerichtig finden sich in der Liste der großen Risiken für globale Gesundheitssysteme aktuell nicht nur Umweltfaktoren (Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Luftverschmutzung), sondern zunehmend auch soziale Faktoren (Spaltung bzw. Polarisation der Gesellschaft, Missinformation) und technologische Umwälzungen (hybride Kriegsführung, unerwünschte Effekte künstlicher Intelligenz).
Zum 30. Geburtstag des Kongresses war eine zentrale Nachricht: „There is no health without peace“ – Frieden und Freiheit müssen verteidigt werden! Nirgends wurde das so deutlich wie in der eigenständigen Public Health-Vortragsreihe zu chronischen Erkrankungen in der Ukraine. Es sprengt jegliche Vorstellungskraft, welche Herausforderungen auch in der Medizin dieses Land und seine Menschen gerade bewältigen müssen.
„There is No Health Without Peace“ - Illustration vom ECTMIH 2025
Einige wurden uns in eindrücklicher Weise präsentiert:
Gleichzeitig wurden unter kaum vorstellbaren Bedingungen Mittel und Wege gefunden, die Versorgung aufrechtzuerhalten:
Am Ende gab es Standing Ovations für die ukrainischen Referenten, von denen einige während ihrer Vorträge die Situation zu Hause mit tiefschwarzer Ironie kommentierten oder aber um Fassung rangen. Gut, dass dieses Thema Platz gefunden hat – wir Deutschen können hier sehr viel lernen!
Tuberkulose und HIV sind zwei ungute alte Bekannte, die auch weiterhin die Welt in Atem halten. Tuberkulose ist nach der COVID-19-Pandemie mit voller Wucht zurückgekehrt und mit doppelt so vielen Toten wie durch HIV die führende Todesursache unter allen Infektionskrankheiten. Warum? Es ist kaum Geld für Forschung, Diagnostik und Therapie vorhanden, es gibt keine ausreichend wirksamen Impfungen, es fehlt Zugang zu moderner PCR-Diagnostik. Und – das zeigt sich aktuell – viele asymptomatische Patienten, die zufällig durch Screeningprogramme gefunden werden, haben eine kulturpositive Tuberkulose und geben zumindest im engen sozialen Umfeld die Krankheit weiter. Das ist wahrscheinlich für 30 % aller Übertragungen weltweit verantwortlich und verändert unser Verständnis der Erkrankung noch einmal deutlich.
Wie sieht die Zukunft aus? Screening muss deutlich ausgeweitet werden. Durch zunehmende Resistenzen gewinnt die genotypische Resistenztestung immer mehr an Bedeutung. Und neue, kürzere Therapieschemata sind in Prüfung.
„HIV + Tuberculosis“ – Illustration vom ECTMIH 2025
Bei HIV gibt es andere Herausforderungen. Im Gegensatz zu reichen Ländern, in denen die Infektion mittlerweile gut behandelbar ist, stehen in den LMIC Kosten und der Zugang zu Medikamenten im Fokus. Zudem muss das Bewusstsein für die Erkrankung und ihre Phasen verbessert werden: Während der akuten Infektion mit vorübergehend hoher Virämie findet eine Vielzahl der Übertragungen statt. Tests und Diagnose erfolgen aber meist erst Jahre später beim Auftreten von opportunistischen Erkrankungen.
Weiterhin und zunehmend relevant: Die Verbreitung von Infektionskrankheiten durch Globalisierung, Handel und Tourismus – wie schon bei SARS-CoV-2 gesehen. Aktuell sehen wir gehäuft autochthone Chikungunya-Fälle in Italien und Frankreich. Mit dieser fast immer symptomatisch verlaufenden Infektion, die durch Stechmücken übertragen wird, sind wir auf einmal mit einer neuen Herausforderung konfrontiert. Mittlerweile gibt es zwei zugelassene Impfstoffe und es stellen sich die Fragen, wann und wen man impft – auch das wurde lebhaft diskutiert.
Viele Kinder, vor allem in Afrika südlich der Sahara, wachsen unter gefährlichen Bedingungen auf. Bereits während der Schwangerschaft führen Malaria-Infektionen der Mutter zu akuter Lebensgefahr für das ungeborene Kind. Gleichzeitig sind viele Mütter minderjährig, was das Risiko für ein zu geringes Geburtsgewicht erhöht. Hier gilt es sowohl Teenager-Schwangerschaften als auch Malaria so gut es geht zu vermeiden.
„Mobilität, Infektionen und Schwangerschaft“ – Illustration vom ECTMIH 2025
All das sind natürlich nur kleine Ausschnitte aus einem umfangreichen und vielfältigen Programm. Sehr cool waren übrigens die Live-Zeichnungen von Frank Flöthmann, die prägnant wichtige Vorträge zusammenfassen. Eindrucksvoll waren das große Engagement, der Optimismus und der Wunsch, unsere Welt ein bisschen besser zu machen, die aus jedem Vortrag heraussprangen. Vernetzung, Zusammenarbeit und Verständnis sind wichtige Voraussetzungen dafür. Es ist schwierig und wir haben wenig Zeit – los geht's!
Bildquelle: engin aykurt, Unsplash