Wo grätscht uns künstliche Intelligenz als nächstes in den Arbeitsalltag? Jetzt soll sie auch die Impfstoffentwicklung übernehmen – warum hier Vorsicht geboten ist.
Liest man den eben im Lancet publizierten Beitrag, möchte man fast glauben, dass sich mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz nahezu alle Probleme bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten lösen lassen werden – und das schon recht bald. In absehbarem zeitlichem Rahmen würden sich viele der Hürden überwinden lassen; sowohl bei der Entwicklung und Herstellung der Impfstoffe, als auch bei den vielen regulatorischen Prozessen und der Information von Ärzten und Patienten.
Als einer dieser KI-Wunder-Helfer wird konkret AlphaFold vorgestellt. Das System kann antigene Strukturen vorhersagen und wirksame Immunogene designen. Es vermag selbst Individuen zu identifizieren, die ein besonders hohes Risiko tragen, an der zu beimpfenden Infektion zu erkranken. Und in der Tat: Künstliche Intelligenz hat auf diesen Gebieten schon Enormes geleistet. Mit ihrer Hilfe wurde das Genom von Meningokokken der Gruppe B entschlüsselt und damit die Basis für die Entwicklung von Impfstoffen gegen diesen Problem-Erreger mittels „reverse vaccinology“ geschaffen.
Was vor drei Jahrzehnten noch enorm viel Zeit benötigt hat, ist heute mithilfe dieser Technik innerhalb weniger Minuten erreicht. Etwa lässt sich die Struktur von Antigen-Antikörper-Komplexen über das Zusammenführen von Erkenntnissen aus Röntgen-Kristallographie und Kryo-Elektronenmikroskopie ermitteln. Diese Methode hat entscheidend dazu beigetragen, aus Erkenntnissen über das F-Protein des Respiratorischen Synzytial-Virus hochwirksame Impfstoffe zu entwickeln (DocCheck berichtete).
Wir wissen dank KI nicht allein über die 17,4 Millionen Gen-Sequenzen des SARS-CoV-2 exakt Bescheid, auch unser Wissen über die Genome vieler weiterer Erreger nimmt exponentiell zu. Sie werden in Datenbanken allen Forschern zugänglich gemacht, ähnlich wie die Genome von über 200.000 Proteinen. AlphaFold kann Millionen weiterer einzelner Eiweiß-Strukturen vorhersagen und hieraus Impf-Antigene entwerfen, die in großem Umfang neutralisierende Antikörper induzieren oder spezifische T-Zell-Antwort stimulieren können. Konkret haben wir aus solchen Erkenntnissen z. B. neutralisierende Antikörper gegen HIV und Nanopartikel gegen SARS-CoV-2 in der Pipeline.
KI soll auch bald dazu beitragen, aus einer Trillion Terabytes an Daten unser Verständnis des komplexen Zusammenwirkens der unterschiedlichen Partner unseres Immunsystems zu optimieren. Dieser „omics approach“ – die Analyse der Gesamtheit biologisch aktiver Moleküle in einem Organismus auf globaler Ebene – soll die Möglichkeit eröffnen, Biomarker zu identifizieren, die Hinweise auf die Reaktionsfähigkeit des Immunsystems sowie zur Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen geben können.
Bei der Produktion von Impfstoffen kann KI den technischen Transfer ebenso unterstützen wie die Prozess-Optimierung und die hochsensible Qualitäts-Kontrolle. Ebenso möglich ist das Simulieren solcher Prozesse durch digitale Zwillinge – so könnten vielleicht bald sogar extrem aufwendige und zeitraubende Phase-II- und Phase-III-Zulassungs-Studien ersetzt werden. Doch das setzt die Bereitschaft aller Beteiligten vom Wissenschaftler bis zum CEO von Großkonzernen zu fast selbstloser Kooperation und Offenheit voraus.
Nicht nur der Vorstand der Bundesärztekammer macht sich Sorgen um die Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit solcher KI-generierter Analysen. Kürzlich wies er in seiner Stellungnahme „Künstliche Intelligenz in der Medizin“ auf die Gefahren falscher, gar manipulierter Ergebnisse und die Black-Box-Natur einiger KI-Modelle hin. Umfänglich warnte ebenfalls die WHO vor Risiken durch generative KI im Gesundheitswesen. Der Deutschlandfunk hat auch für Laien verständlich auf Chancen sowie Gefahren der KI im Gesundheitswesen hingewiesen. So sei ihr Potenzial unter anderem bei der Entwicklung von Impfstoffen eine Büchse der Pandora: Sie birgt zwar Hoffnungsvolles, aber Gefahren von eminenter Tragweite.
Black et al.: Artificial intelligence in the development of vaccines for infectious diseases. Lancet Infect Dis, 2025. doi: 10.1016/S1473-3099(25)00497-9
Stellungnahme „Künstliche Intelligenz in der Medizin“. Dtsch Arztebl, 2025. online
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