Trotz Screenings und Impfaktionen zirkuliert die Diphtherie wieder in Europa. Was jetzt zu tun ist und wen ihr besonders schützen müsst.
Im Sommer 2022 verzeichneten mehrere europäische Länder einen ungewöhnlichen Anstieg von Infektionen durch Corynebacterium diphtheriae (DocCheck berichtete). Besonders betroffen waren Migranten in Erstaufnahmeeinrichtungen. Zwischen Januar und November 2022 wurden insgesamt 362 Patienten mit 363 toxigenen Isolaten dokumentiert. Die Fälle traten in zehn Ländern auf – am häufigsten in Deutschland (118), Österreich (66), Großbritannien (59) und der Schweiz (52). Die Mehrheit der Erkrankten war jung, männlich und stammte aus Afghanistan oder Syrien.
Eine im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie untersuchte die klinischen, epidemiologischen und genetischen Merkmale des Ausbruchs. Von den 362 Betroffenen litten 77,5 % an Hautdiphtherie, 15,3 % an Atemwegsinfektionen und 2,6 % an beiden Formen. Ein Patient verstarb. Die genetische Analyse zeigte vier große Cluster – ein Hinweis auf ein multiklonales Geschehen mit mehrfacher Einschleppung. Neben empfindlichen Stämmen fanden sich auch Isolate mit Resistenzen gegen Makrolide oder Penicillin (ermX-, pbp2m-Gene), was die Wirksamkeit bewährter Therapien infrage stellt. Auffällig war zudem, dass viele Betroffene die Balkanroute genutzt und unter prekären hygienischen Bedingungen in Gemeinschaftsunterkünften gelebt hatten.
Der Ausbruch gilt als die größte Häufung von Diphtheriefällen in Westeuropa seit 70 Jahren. Zwar gingen die Zahlen nach Maßnahmen wie Screening, Antibiotikatherapie und gezielten Impfaktionen zurück, doch die Daten belegen eine fortgesetzte Zirkulation mehrerer Cluster. Auch im Jahr 2023 wurden noch 169 Fälle gemeldet, darunter erstmals Sekundärfälle außerhalb von Migrantenunterkünften – etwa bei Wohnungslosen und Drogengebrauchenden.
Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und das Robert Koch-Institut (RKI) warnen deshalb vor einer Ausweitung des Risikos. Beide Behörden empfehlen, den Impfschutz insbesondere in vulnerablen Gruppen konsequent zu überprüfen und aufzufrischen. Zudem sei bei Verdacht auf Diphtherie eine rasche Diagnostik einschließlich Genomsequenzierung entscheidend, um Infektionsketten frühzeitig zu erkennen und zu unterbrechen.
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