Schmerz ist vielschichtig und zeigt sich in ganz unterschiedlichen Schmerzarten – ebenso vielfältig ist die Auswahl an schmerzlindernden Medikamenten. Aus diesem Grund hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1986 ein Stufenschema zur Behandlung entwickelt – ein grundlegendes Prinzip, an welchem sich auch die Leitlinien zur Schmerztherapie orientieren.1,2
Ziel des WHO-Stufenschemas war es, eine praxisnahe, kostengünstige und weltweit umsetzbare Methode bereitzustellen. Ursprünglich zur Behandlung von Tumorschmerzen entwickelt, hat es sich bis heute auch bei nicht-onkologischen Schmerzen bewährt. Im Fokus steht dabei immer eines: Schmerzfreiheit durch eine stufenweise, an die individuelle Schmerzintensität angepasste medikamentöse Analgesie.3,4
Das WHO-Stufenschema basiert auf der schrittweisen Anpassung der medikamentösen Behandlung an die Schmerzintensität: Bei leichten Schmerzen beginnt die Behandlung mit Nicht-Opioiden (Stufe 1). Bestehen mäßig starke Schmerzen, werden schwach wirksame Opioide hinzugefügt (Stufe 2). Sind die Schmerzen stark, kommen stark wirksame Opioide zum Einsatz (Stufe 3) – weiterhin möglich in Kombination mit Nicht-Opioiden, je nach individueller Situation.3,4
Eine weitere Stufe wurde in den letzten Jahren von einigen Autoren aufgrund des medizinischen Fortschritts vorgeschlagen: Sie empfehlen bei starken bis sehr starken Schmerzen invasive Maßnahmen (Stufe 4).5,6 Dazu zählen bspw. die periphere Lokalanästhesie, rückenmarksnahe Therapiekonzepte, Ganglienblockaden, Spinal Cord Stimulation und computergesteuerte transportable oder implantierte Pumpensysteme mit Kathetern oder Zuspritz- und Portkammern.6
Abbildung 1: WHO-Stufenschema mit Erweiterung einer vierten Stufe. UAW = unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Modifiziert nach 3–8.
Zusätzlich können in allen Stufen sogenannte Adjuvanzien eingesetzt werden. Das sind Medikamente, die selbst keine klassischen Schmerzmittel sind, aber den Effekt der Schmerzmittel als Co-Analgetika unterstützen oder schmerzassoziierte Beschwerden lindern.3
Führt ein Arzneimittel der Stufe 1 in adäquater Dosis und Einnahmefrequenz nicht zur Schmerzfreiheit, soll weder auf ein anderes Arzneimittel derselben Stufe gewechselt noch die Dosis erhöht werden, sondern ein stärkeres Analgetikum der nächsthöheren Stufe genutzt werden.3 Dieses strukturierte Vorgehen erlaubt eine rationale und symptombezogene Schmerzbehandlung.
Bei akuten Schmerzen, etwa postoperativ oder posttraumatisch, wird die Anwendung des Stufenplans in umgekehrter Reihenfolge empfohlen.3
Tabelle 1: Ein Auszug von Arzneimitteln pro empfohlener Stufe3–8
Stufe 1Nicht-Opioidanalgetika
Stufe 2Niederpotente Opioidanalgetika
Stufe 3Hochpotente Opioidanalgetika
Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) mit den Untergruppen
Zu den in jeder Stufe zusätzlich einsetzbaren Adjuvanzien gehören:3,6
Die WHO definiert fünf Leitprinzipien, auf denen die Schmerzstufen basieren:3
Heute gilt das WHO-Stufenschema als wichtige Orientierung für die Behandlung akuter, chronischer oder neuropathischer Schmerzen, Schmerzen des Bewegungsapparates und anderer Nicht-Tumorschmerzen.3
Trotz erheblicher Fortschritte im Verständnis und in der Therapie chronischer sowie akuter Schmerzen, besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf: Europaweit erhalten rund 40 % der Personen mit starken chronischen Schmerzen – etwa 15 Millionen Menschen – keine ausreichende Behandlung, insbesondere aufgrund einer unzureichenden Opioidtherapie. Gesetzliche Einschränkungen und Vorurteile gegenüber Opioiden verschärfen dieses Problem zusätzlich.3 Gerade deshalb bleiben diese WHO-Schmerzstufen dank ihrer klaren Struktur und bewährten Praxistauglichkeit für Hausärztinnen, Hausärzte und anderes medizinisches Fachpersonal unverzichtbar.
Referenzen: