Kaum ein Symptom führt so zuverlässig in die Arztpraxis wie der Schmerz.1 Er kommt plötzlich oder schleicht sich langsam an, sticht, brennt, drückt oder zieht – und immer verlangt er Aufmerksamkeit. Schmerz ist universell und zugleich höchst individuell.
Auch wenn das Symptom dasselbe ist, zeigt es sich bei jedem Menschen anders. Doch eine Gemeinsamkeit eint alle Formen: „eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung, die mit einer tatsächlichen oder potenziellen Gewebeschädigung verbunden ist oder dieser ähnelt.“ 2
In welche Schmerzarten diese Erfahrungen oftmals aufgeteilt werden, um therapeutisch richtungsweisend zu sein,3,4 erfahren Sie in diesem Beitrag.
Akute Schmerzen treten plötzlich auf, entweder in Folge einer Gewebeschädigung oder als Hinweis auf eine bevorstehende Schädigung des Körpers. Sie erfüllen eine wichtige Schutzfunktion, indem sie vor weiterer Schädigung warnen und Heilungsprozesse durch Ruhigstellung fördern. Typisch sind eine zeitlich begrenzte Dauer (wenige Stunden bis Tage) und eine meist gut erkennbare Ursache. Diagnose und Behandlung sind in der Regel unkompliziert, die Prognose ist gut. Auch wenn psychische Faktoren die Schmerzwahrnehmung beeinflussen, sind sie selten die primäre Ursache. Meistens lässt der akute Schmerz erst nach, wenn die Ursache oder deren Folgen verschwinden.
Episodische oder wiederkehrende Schmerzen, wie sie etwa bei Migräne auftreten, kommen in Wellen: mal heftig, mal gar nicht. Betroffene erleben schmerzhafte Phasen, die sich mit beschwerdefreien Intervallen abwechseln – manchmal regelmäßig, manchmal unvorhersehbar. Auch wenn sie nicht ständig präsent sind, können sie den Alltag stark beeinflussen – insbesondere, wenn sie plötzlich oder in belastenden Momenten wiederkehren.
Rund 17 % der Menschen in Deutschland leben mit chronischen Schmerzen – das sind über 12 Millionen Betroffene.6 Von chronischen Schmerzen spricht man, wenn sie über die normalerweise zu erwartende Heilungszeit hinaus andauern, also typischerweise länger als drei Monate.4,5,7 Dabei gibt es zwei Hauptformen: Entweder bleibt der Schmerz bestehen, obwohl die ursprüngliche Ursache längst beseitigt wurde (wie z.B. bei chronischen Rückenschmerzen), oder er hält an, weil die zugrundeliegende Erkrankung nicht vollständig behandelbar ist (etwa bei Tumorschmerzen).5
Die Gründe, warum Schmerzen chronisch werden, sind bislang nicht vollständig geklärt. Sicher ist jedoch: Psychosoziale Faktoren und neurobiologische Veränderungen – insbesondere eine Sensibilisierung des nozizeptiven Systems – spielen eine zentrale Rolle. Der Schmerz verselbstständigt sich in diesem Prozess zunehmend, verliert seine ursprüngliche Schutzfunktion und entwickelt sich zu einem eigenständigen Krankheitsbild. Das kann nicht nur körperlich belasten, sondern auch das gesamte Wohlbefinden langfristig beeinträchtigen.5
In wissenschaftlichen Studien werden für die Festlegung zur Chronifizierung von Schmerzen Zeiträume von drei oder auch sechs Monaten Schmerzdauer genannt; der Übergang verläuft individuell fließend.6 Dabei gilt grundsätzlich: Je länger ein Schmerz besteht, desto größer ist das Risiko der Chronifizierung – und desto komplexer wird die Behandlung. Wichtig ist dabei zu beachten, dass die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Chronifizierung stark variieren und nicht allein von der Dauer des Schmerzes abhängen.5
Als nozizeptive Schmerzen bezeichnet man diejenigen, die mithilfe von Schmerzrezeptoren (sog. Nozizeptoren) wahrgenommen werden. Sie dienen als Warnsignal des Körpers, das tatsächliche Gewebeschädigungen oder drohende Verletzungen anzeigt.
Je nachdem, wo die Reizung der Nozizeptoren stattfindet, unterscheidet man zwischen somatischen und viszeralen Schmerzen.4
Neuropathische Schmerzen entstehen durch eine Schädigung oder Fehlfunktion des zentralen oder peripheren Nervensystems. Anders als nozizeptive Schmerzen treten sie meist spontan auf – ohne äußere Reize, Bewegung oder Belastung. Die Schmerzen werden häufig in den Extremitäten verspürt, können sich jedoch auch im Bereich des Rückens, des Gesichts oder an anderen Stellen des Körpers bemerkbar machen. Die Schmerzqualität ist oft ungewöhnlich: stechend, brennend, kribbelnd oder elektrisch. Betroffene beschreiben ein Gefühl wie heiße Nadelstiche, ein einschnürender Strumpf, eine Schwellung oder ein unangenehmer Druck.8
Abbildung 1: Mögliche Empfindungen bei neuropathischen Schmerzen.
Je genauer die zugrundeliegende Ursache identifiziert wird, desto gezielter lässt sie sich behandeln. So können bei Nervenentzündungen nicht nur die Schmerzen, sondern auch Funktionsausfälle wie Taubheitsgefühle und Lähmungserscheinungen gelindert werden.
Manche Schmerzen lassen sich nicht eindeutig einer Kategorie zuordnen – etwa bei Tumorschmerzen oder chronischen Rückenschmerzen. Hier können nozizeptive und neuropathische Schmerzen gleichzeitig auftreten und gehen oft fließend ineinander über. Diese überlagerte Schmerzsymptomatik macht die Diagnose komplexer und stellt besondere Anforderungen an die Therapie. Um solche Mischformen treffend zu beschreiben, hat sich in Klinik und Forschung der Begriff „Mixed Pain“ etabliert.5
Plötzlich, intensiv, lähmend – die Mehrheit (63 %) der Tumorpatientinnen und -patienten kennt sie: Durchbruchschmerzen. Das sind vorübergehende, heftige Schmerzspitzen, die trotz einer ausreichenden Basismedikation auftreten können.7 Sie erreichen innerhalb weniger Minuten ihr Maximum, dauern meist unter 30 Minuten (in 64 % der Fälle) und werden in über 90 % der Fälle durch alltägliche Aktivitäten wie Schlucken, Wasserlassen, Defäkation, Husten oder Bewegung ausgelöst.7,9 Die Schmerzattacken können kurz hintereinander auftreten oder auch nur einmal die Woche.7 Durch ihre Intensität und das oft unvorhersehbare Auftreten beeinträchtigen Durchbruchschmerzen die Lebensqualität der Betroffenen erheblich. Viele Tumorpatientinnen und -patienten entwickeln eine starke Angst vor den Schmerzattacken, was häufig zu Aktivitätseinschränkung und sozialem Rückzug führt.9
Durchbruchschmerzen können wie Dauerschmerzen sowohl tumorbedingt, tumorassoziiert als auch therapiebedingt entstehen. Ihre Genese ist vielfältig und reicht von nozizeptiven über neuropathische bis hin zu gemischten Schmerzformen.9
Ein tiefgehendes Verständnis der verschiedenen Schmerzarten ist für medizinisches Fachpersonal weit mehr als Theorie – es ist ein zentrales Instrument klinischer Praxis. Wer Schmerz nicht nur erkennt, sondern auch versteht, kann gezielter diagnostizieren, individueller therapieren und die Lebensqualität langfristig verbessern.
Denn: Nur wer Schmerz richtig einordnet, kann ihn auch wirksam lindern – zum Wohl Ihrer Patientinnen und Patienten und mit dem Anspruch, moderne Schmerztherapie verantwortungsvoll und evidenzbasiert umzusetzen.
Referenzen: