Alle sind dünn, fit und jung – sagt das Internet. Sorgt die ständige Konfrontation mit diesen Schönheitsidealen dafür, dass mehr Menschen ihren Körper krankhaft ablehnen?
#Thinspiration, #Fitspiration – so sind Posts auf Social Media markiert, mit denen vor allem Jugendliche und junge Erwachsene häufig konfrontiert werden. Dünn und fit sein ist angesagt, erstrebenswert, das Zeichen eines gesunden Lebens. Gleichzeitig leiden immer mehr Menschen an körperdysmorpher Störung (KDS): Sie beschäftigen sich übermäßig mit mindestens einem Körperteil, empfinden es als hässlich oder entstellt.
Global betroffen sind davon verschiedenen Schätzungen zufolge etwa 1–2 % der Gesamtbevölkerung. Allerdings kommt es sehr darauf an, wer bei der Analyse eingerechnet wurde und in welchem Umfeld sie stattfand: Bei Patienten in dermatologischen oder kosmetischen Kliniken ist beispielsweise etwa jeder Fünfte betroffen. Zudem gibt es vermutlich eine recht hohe Dunkelziffer.
Ob die sozialen Medien zu einem Anstieg von KDS führen könnten und inwiefern sie mit den bisherigen Fällen verbunden sind, lässt sich bislang nicht eindeutig sagen. Fest steht: Verschiedene Mechanismen wie der Einsatz von Filtern, ständige Vergleiche mit Anderen und die Verbreitung von unrealistischen Schönheitsidealen sind auf den Plattformen die Norm. Dass sich Menschen dadurch hässlich fühlen und die Aufmerksamkeit andauernd auf den Körper gelenkt werden könnte, liegt nahe.
So sieht das auch eine Psychologin, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, aber lieber nicht namentlich genannt werden möchte – nennen wir sie Jana Müller. „Unser Körperbild entwickelt sich aus vielen verschiedenen ‚idealen’ Körper(vor)bildern, die wir Tag für Tag aufnehmen.“ Das fange bei den Eltern an, verlagere sich aber schnell in die virtuelle Welt. „Soziale Medien wie Facebook, Instagram und Co vermitteln eine genaue Vorstellung davon, wie ein Körper auszusehen hat.“
Neu ist das Phänomen der KDS allerdings nicht: Schon 1979 beschrieb ein wissenschaftlicher Artikel, dass 81 % der Patientinnen, die eine Brustvergrößerung wünschen, über Magazinartikel auf die Idee kamen, ihr Körper brauche eine Veränderung.
Den Körper verändern wollen, schlanker oder sportlicher sein – das muss nicht krankhaft sein. Problematisch wird es aber, wenn die Betroffenen darunter leiden. Menschen mit KDS wenden oft mehrere Stunden pro Tag auf, sich mit ihren gefühlten Makeln zu beschäftigen. Teils versuchen sie, die „Defekte“ aufwendig zu verbergen. Gelingt das nicht, gehen sie mitunter kaum noch unter Leute. Psychologin Jana Müller beschreibt sogar drastischere Fälle, in denen sich Betroffene verstümmelten, um den verhassten Körperteil loszuwerden.
Besonders häufig kritisieren die KDS-Patienten ihre Haut, also etwa Unreinheiten, Muttermale oder andere Aspekte, die sie als hässlich empfinden. Darauf folgen Haare, Nase und Augen. Männer stören sich zudem an ihrer Meinung nach zu kleinen Muskeln und an den Genitalien. Schwierig ist es besonders dann, wenn die Einsicht für die Krankheit fehlt. Oft finden die Betroffenen selbst gar nicht, dass ihr Fokus auf den Körperteil ungesund ist und ihnen schadet. Vielmehr sehen sie ja die vermeintlichen Mängel als das eigentliche Problem an.
Die Konsequenz: Sie suchen Behandlungen wie kosmetische und chirurgische Eingriffe, um endlich so auszusehen, wie sie es sich wünschen. Das kann aber sogar kontraproduktiv sein, betont Müller: „Letzten Endes muss davon ausgegangen werden, dass die heutzutage verfügbaren vermeintlichen Lösungsstrategien wohl eher zur klinischen Verschlechterung führen, als den Betroffenen Erleichterung zu verschaffen.“
Bei weniger als 10 % der KDS-Patienten nehmen die Symptome nach einem äußerlichen Eingriff ab. Denn die Störung ist keine körperliche, sondern eine psychische Erkrankung. Ist ein gefühlter Defekt behoben, wenden sich Betroffene einem neuen Aspekt ihres Körpers zu und das Leiden bleibt. „Wie bei anderen Zwangsstörungen gibt es kein genug, kein Ziel“, so die Psychologin. Fachleute warnen deshalb: Fachärzte für plastische Chirurgie und verwandte Disziplinen sollten vor einem Eingriff mit den Patienten über ihre Motive sprechen und herausfinden, ob eine KDS vorliegen könnte.
Immerhin lässt sich die Störung behandeln, wenn sie erst erkannt wurde. Hilfreich sind dabei etwa Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SRI), selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Welche Behandlung besonders gut wirkt, ist individuell verschieden. Gerade bei leichteren Fällen kann eine KVT oder eine alleinige Behandlung mit SSRI ausreichen. Bei schwereren Erkrankungen sind Medikamente nötig, um eine Verhaltenstherapie erst zu ermöglichen, zu unterstützen und gleichzeitig extreme Symptome wie Suizidgedanken zu verhindern.
Von der einzelnen Behandlung abgesehen, ist die KDS jedoch eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Selbstwahrnehmung und Diversität zu feiern und Stigmata zu reduzieren, könne sich positiv auswirken, schlussfolgern Wissenschaftler in einer Übersichtsarbeit aus 2025. In den sozialen Medien gibt es dazu ebenfalls Trends, etwa die #BodyPositivity, die ungesunden Schönheitsidealen entgegenwirken will – die ihrerseits allerdings auch nicht frei von Kritikpunkten ist. Das allein zeigt: Eine einfache Aufgabe ist das Gegensteuern zur KDS nicht.
Bildquelle: Midjourney