TEIL 2 | Fiebrig, verwirrt und von Durchfall geplagt: Der junge Mann vor mir ist sichtlich abgeschlagen – und gerade aus Indonesien zurückgekehrt. Was hat er im Gepäck?
Der junge Mann ist blass, verwirrt, wirkt dehydriert. Er sei seit zwei Tagen wieder zurück aus Indonesien, sagt seine Freundin. 40 °C Fieber, Durchfall und girlandenförmige Hauterscheinungen am Bauch. „Er redet wirres Zeug, trinkt nicht, isst nicht … ich dachte an einen Hitzschlag.“ Die Aufnahme war unkompliziert, die Diagnostik weniger. Kein banaler Magen-Darm-Infekt, wie sich bald zeigt.
Infektionen auf Reisen sind kein exotischer Nebenplatz mehr. Über die Flaviviren, die gerade in aller Munde sind, habe ich in meinem letzten Artikel berichtet. Aber es gibt andere, stillere Tropenrückkehrer – mit zum Teil tödlichem Ausgang, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt werden. In diesem Teil möchte ich vier weitere unter die Lupe nehmen: Typhus, FSME, Tollwut und das (noch) seltene Oropouche-Fieber.
Typhus wird durch Salmonella enterica serovar Typhi verursacht – ein humanpathogenes Bakterium, das fäkal-oral über kontaminierte Lebensmittel oder Wasser übertragen wird. Die Erkrankung beginnt oft schleichend mit Fieber, Abgeschlagenheit und Obstipation, später folgen – selten – Roseolen, relative Bradykardie (Faget-Zeichen) und im Verlauf Komplikationen wie Darmperforation. Inkubationszeit: meist 7–14 Tage (max. bis 60 Tage). Gefährlichkeit: unbehandelt Letalität bis 10 %, mit Antibiotika gut therapierbar, allerdings zunehmende Resistenzen.
Epidemiologische Lage: Weltweit erkranken jährlich geschätzt 11–20 Millionen Menschen, mit 128.000–161.000 Todesfällen. In Deutschland wurden 2023 laut RKI 72 Fälle gemeldet – fast ausschließlich importiert, vor allem aus Indien, Pakistan und Südostasien. Wichtig: Die Zahl dürfte deutlich höher liegen, viele milde Verläufe werden nicht erkannt oder gemeldet, daher gibt es kaum aktuelle weltweite Daten. Die verfügbare Impfung schützt recht gut, ist aber kein Freibrief.
Typhus: 12-Monats-Inzidenzen pro 100.000 (2015). Quelle: Radhakrishnan A et al., Global Burden and Epidemiology of Typhoid Fever, AJTMH 2015.
FSME wird durch das FSME-Virus verursacht, ein Flavivirus, das durch Zecken (v. a. Ixodes ricinus) übertragen wird. Es gibt 3 Subtypen: europäisch, sibirisch und fernöstlich. Die Erkrankung verläuft in zwei Phasen: zunächst grippeartige Beschwerden, dann bei etwa einem Drittel eine ZNS-Beteiligung mit Meningitis, Enzephalitis oder Myelitis. Inkubationszeit: 7–14 Tage. Gefährlichkeit: bei neurologischem Verlauf hospitalisierungspflichtig, Letalität 0,5–2 %. Es gibt keine kausale Therapie – nur symptomatische Behandlung. Der sibirische und der asiatische Typ sind noch deutlich gefährlicher.
Es gibt zuverlässige Impfstoffe, die gegen alle 3 Typen schützen. Epidemiologische Lage: 2023 wurden in Deutschland 475 Fälle gemeldet (RKI), damit etwas weniger als im Rekordjahr 2020 (704 Fälle), aber deutlich mehr als im langfristigen Durchschnitt. Hotspots liegen in Bayern, Baden-Württemberg, Südhessen und Teilen von Sachsen. Der Impfstatus ist oft unzureichend: Nur 20–30 % der Bevölkerung in Risikogebieten sind vollständig geimpft – obwohl die STIKO die Impfung seit Jahren empfiehlt.
FMSE: Bestätigte lokal erworbene FMSE-Fälle EU/EEA-Länder 2023. Quelle: ECDC.
Tollwut wird durch das Rabies-Virus verursacht, ein Lyssavirus, das durch Bissverletzungen (v. a. von Hunden, Fledermäusen oder Affen) übertragen wird. Nach dem Eindringen vermehrt sich das Virus zunächst lokal, wandert dann retrograd ins ZNS. Dort löst es eine fast immer tödlich verlaufende Enzephalitis aus – einmal symptomatisch, ist keine Therapie mehr möglich. Inkubationszeit: meist 20–60 Tage, kann aber bis zu einem Jahr betragen. Gefährlichkeit: Letalität nahezu 100 %, wenn keine PEP erfolgt.
Epidemiologische Lage: Weltweit sterben jährlich ca. 60.000 Menschen an Tollwut – vor allem in Asien und Afrika. Deutschland gilt seit September 2008 als tollwutfrei. Es gibt sehr wirkungsvolle Impfstoffe, die zuverlässig schützen. Bei Reisen in Endemiegebiete, insbesondere Asien und Afrika, ist eine Impfung dringend zu empfehlen.
Oropouche-Fieber ist eine tropische Viruserkrankung, ausgelöst durch das Oropouche-Orthobunyavirus. Symptome: hohes Fieber, starke Myalgien, Kopfschmerzen, oft Hautausschlag. Es erinnert klinisch an Dengue oder Influenza. In Einzelfällen kommt es zu Meningitis oder Enzephalitis. Inkubationszeit: meist 4–8 Tage. Gefährlichkeit: meist selbstlimitierend, aber in größeren Ausbrüchen relevant.
Epidemiologische Lage: 2024 wurde das Oropouche-Virus plötzlich bekannt. In Brasilien wurden über 5.000 bestätigte Fälle gemeldet – eine Verzehnfachung gegenüber dem Vorjahr. Auch in Peru, Kolumbien und Trinidad wurden Ausbrüche registriert. In Europa ist bislang kein autochthoner Fall bekannt, aber: Die übertragenden Culicoides-Mücken sind auch in Südeuropa heimisch. Die WHO stuft das Virus als „emerging infectious disease“ mit potenziellem Ausbreitungspotenzial ein.
Oropouche: Länder mit aktuellen (dunkelblau) und früheren (hellblau) Oropouche-Fällen. Quelle: CDC 2025.
Bei tropischen Erkrankungen gibt es natürlich auch in Deutschland eine Dunkelziffer. Aber bei Nachweis von meldepflichtigen Erregern existiert ein gutes Meldesystem, so dass man einen Eindruck bekommt, wie sich die Häufigkeiten verteilen.
Die üblichen Stuhluntersuchungen waren unauffällig. Aber der junge Mann zeigte mit den Roseolen, der relativen Bradykardie und dem persistierenden Fieber trotz Volumengabe ein paar Besonderheiten. Der entscheidende diagnostische Schritt sind Blutkulturen: Diese waren nach 48 Stunden positiv auf Salmonella Typhi, die Resistenzprüfung ergab eine ESBL-Produktion – Typhus! Glück im Unglück: Der Patient sprach gut auf Azithromycin an. Nach zehn Tagen konnte er fieberfrei entlassen werden.
Exoten sind keine Exoten mehr. Die infektiologische Landschaft hat sich verändert – durch Reisen, Klimawandel, Globalisierung. Seltene tropische Erreger wie Oropouche oder Typhus treffen auf ein Gesundheitssystem, das oft zu spät reagiert. Auch altbekannte Erreger wie Tollwut oder FSME bleiben gefährlich – oft nur einen Zeckenbiss oder Hundekontakt entfernt. Der wichtigste Schutz? Gute Aufklärung, eine fundierte Reiseanamnese und manchmal einfach ein Blick auf den Impfpass.
Bildquelle: Colin + Meg, Unsplash