TEIL 1 | Die junge Patientin vor mir ist blass, hat Fieber, Schüttelfrost und einen fleckigen Ausschlag. Die Reiseanamnese zeigt: Sie ist frisch zurück aus Tansania. Ich denke an vier mögliche Erreger – aber welcher ist es?
Notaufnahme. Die junge Frau sieht fahl aus. 40 °C Fieber, Schüttelfrost, ein fleckiger Hautausschlag. Sie sitzt zusammengesunken vor mir, seit 6 Tagen ist sie zurück aus Tansania. „Zuerst dachte ich an eine normale Erkältung“, sagt sie mit heiserer Stimme. „Aber dann wurden die Gliederschmerzen so schlimm, dass ich kaum noch stehen konnte.“ Ich überschlage die typischen Differentialdiagnosen – und habe ein paar Ideen.
Tropische Erkrankungen sind längst keine Seltenheit mehr. Durch Klimawandel und weltweiten Reiseverkehr rücken insbesondere Dengue-Fieber, Zika, Chikungunya und Gelbfieber in den Fokus. Sie treten nicht nur gehäuft in klassischen Endemiegebieten auf – sie rücken näher. Auch in Europa. Grund genug, sich diese vier Krankheiten einmal genauer anzuschauen: Was erwartet uns sowohl aus klinischer als auch aus aktueller epidemiologischer Sicht? Und was könnte die junge Frau haben?
Dengue-Fieber wird durch das Dengue-Virus verursacht, ein Flavivirus mit vier Serotypen (DENV-1 bis -4). Die Infektion beginnt oft plötzlich mit hohem Fieber, starken Kopf-, Muskel- und Gliederschmerzen („breakbone fever“) sowie Hautausschlag. Eine Zweitinfektion mit einem anderen Serotyp kann zu einem schweren Verlauf mit hämorrhagischen Komplikationen führen. Selten tritt dieser Verlauf auch bei der Erstinfektion auf. Die Übertragung erfolgt durch Aedes-Mücken (Tigermücken), insbesondere Aedes aegypti und Aedes albopictus. Die Inkubationszeit beträgt 3–14 Tage.
Epidemiologische Lage: Dengue breitet sich rasant aus. Während 2000 weltweit etwa 500.000 Fälle registriert wurden, waren es 2019 bereits über 5 Millionen. 2024 meldete Brasilien mit über 10 Millionen Fällen einen historischen Höchststand. Weltweit rechnet man mit > 400 Millionen Fällen pro Jahr, die Dunkelziffer ist hoch. Auch in Südeuropa werden regelmäßig autochthone Fälle bestätigt – ein Weckruf für das öffentliche Gesundheitswesen. Seit einigen Jahren gibt es einen zugelassenen Lebendimpfstoff.
Dengue-Fieber: 3-Monats-Inzidenzen pro 100.000 (12/2024-02/2025) – Quelle: ECDC.
Das Zika-Virus ist ein weiterer Vertreter der Flaviviren. Die meisten Infektionen verlaufen mild oder asymptomatisch, gelegentlich treten Fieber, Ausschlag, Gelenkschmerzen und Konjunktivitis auf. Gefährlich wird es in der Schwangerschaft: Zika kann zu Mikrozephalie und anderen schweren Fehlbildungen beim Fötus führen. Neben der Mückenübertragung (ebenfalls durch Aedes-Arten) kann Zika auch sexuell oder perinatal übertragen werden. Die Inkubationszeit liegt bei 3–14 Tagen.
Epidemiologische Lage: Der große Zika-Ausbruch 2015/16 in Südamerika war ein Weckruf – seither gilt Zika als potenzielle globale Bedrohung. Die Infektion wird regelmäßig aus Afrika, Südostasien und Südamerika gemeldet. Ein aktueller Anstieg der Fälle wurde 2024 aus Mittelamerika und Südostasien berichtet. In betroffene Gebiete Reisende – insbesondere Schwangere oder Paare mit Kinderwunsch – sollten sich gut beraten lassen. Eine Impfung existiert nicht.
Zika: Reise-Assoziierte gemeldete Fälle 2019–2023 – Quelle: ECDC.
Chikungunya gehört zur Familie der Togaviren. Das Leitsymptom nach Infektion: massive Gelenkschmerzen, die Wochen bis Monate andauern können. Dazu kommen Fieber, Hautausschlag und Kopfschmerzen. Chronische Gelenkbeschwerden sind keine Seltenheit – ein rheumatisches Souvenir, das viele nicht auf dem Radar haben. Auch hier sind es Aedes-Mücken, die das Virus übertragen. Die Inkubationszeit beträgt 2–12 Tage.
Epidemiologische Lage: Seit seiner Erstbeschreibung 1952 in Tansania hat sich Chikungunya über Asien und Südamerika verbreitet. Besonders Indien, Indonesien und Brasilien melden wiederholt Ausbrüche. In Europa kam es in Italien und Frankreich bereits zu lokal übertragenen Fällen – importiert durch Reisende und weiterverbreitet durch die in Südeuropa heimisch gewordene Tigermücke (Aedes albopictus). Aktuell ist La Réunion ein Hot-Spot. Seit kurzem gibt es zugelassene Impfstoffe.
Chikungunya: 12-Monats-Inzidenzen pro 100 000 (04/2024-03/2025) – Quelle: ECDC.
Das Gelbfieber-Virus verursacht eine biphasische Erkrankung: Nach einer meist milden Anfangsphase kann es zu einer toxischen Phase kommen – mit Ikterus, Blutungen, Nieren- und Leberversagen. Die Letalität dieser Verläufe beträgt über 50 %. Auch hier sind Aedes-Mücken die Vektoren; die Inkubationszeit liegt bei 3–6 Tagen.
Epidemiologische Lage: Gelbfieber ist endemisch in Afrika und Südamerika. Immer wieder kommt es zu größeren Ausbrüchen – zuletzt 2023/24 in Nigeria, Ghana und Peru. Etwa 200.000 Infektionen mit rund 30.000 Todesfällen pro Jahr werden geschätzt. Eine wirksame Impfung existiert – und ist Pflicht für die Einreise in viele betroffene Länder. Trotzdem ist die Durchimpfungsrate in manchen Regionen alarmierend niedrig.
Gelbfieber: Impfempfehlung nach Land – Quelle: Institute of Tropical Medicine, Antwerp.
Und die junge Frau? Der Fall war komplexer als auf den ersten Blick erwartet: PCRs auf COVID-19 und Influenza, die häufigsten fieberassoziierten Mitbringsel, waren negativ. Wir haben mehrfach mikroskopisch eine Malaria ausgeschlossen. Dengue-IgG war positiv, sie war allerdings auch gegen Dengue-Fieber geimpft. Allerdings war auch IgM grenzwertig positiv, Dengue-ns1-Antigen negativ. Und jetzt?
Da sie auch Malaria-Prophylaxe eingenommen hatte und wir daher – wenn überhaupt – eine niedrige Malaria-Parasitämie erwarten würden, meldeten wir eine Malaria-PCR nach. Und zur Einordnung des merkwürdigen Dengue-Serologie-Befundes noch eine Dengue-PCR. Und voilà – Malaria negativ, aber Dengue positiv! Ein spannender Befund, da wir uns zeitlich genau am Ende der Nachweisbarkeit von ns1 und am Anfang der Antikörperexpression befanden. Klinisch passte es genau, nach wenigen Tagen unter symptomatischer Therapie besserte sich ihr Zustand deutlich.
Flaviviren sind keine Exoten mehr. Was früher nur tropenmedizinische Spezialsprechstunden beschäftigte, hat heute Auswirkungen auf die reguläre Notaufnahme und das infektiologische Management im Krankenhausalltag. Wer fiebernde Reiserückkehrer aufnimmt, sollte diese vier Erkrankungen stets mitdenken. Mückenstiche sind klein – ihre Auswirkungen sind es längst nicht mehr.
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