Während der Amyloid-Antikörper Lecanemab kurz vor der Markteinführung steht, hat die EMA dem zweiten Hoffnungsträger Donanemab überraschend eine Absage erteilt. Der Grund: ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis. Diese Einschätzung teilen nicht alle.
Nach jahrzehntelangem Stillstand und Rückschlägen in der Alzheimer-Forschung haben positive Studienergebnisse mit Amyloid-Antikörpern große Hoffnungen auf eine neue Therapie geweckt, die Millionen von Betroffenen helfen könnte. Die Entwicklung dieser Therapien basierte auf der Beobachtung, dass die Gehirne von Alzheimer-Patienten mit Plaques aus Amyloid-β-Protein übersät sind. Daraus entstand die Amyloid-Hypothese zur Entstehung der Alzheimer-Demenz. Danach ist die Anhäufung von Amyloid-β der erste Schritt einer Kaskade, die schließlich zum Untergang von Nervenzellen und damit zu den Symptomen einer Demenz führt. Wenn es gelänge, den ersten Schritt dieser Kaskade zu stoppen, könnte man das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen oder vielleicht sogar aufhalten – so die Hoffnung.
Die Amyloid-Hypothese für die Entstehung der Alzheimer-Krankheit gibt es schon lange, aber ein Therapieerfolg konnte erst im September 2022 verkündet werden. Da wurden die Ergebnisse der CLARITY-Studie von Lecanemab vorgestellt. Erstmals war es mit einer medikamentösen Therapie gelungen, das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit zu verlangsamen, nachdem bisherige Therapien lediglich die Symptome lindern konnten. Kurz nach den positiven Ergebnissen mit Lecanemab wurden auch positive Ergebnisse mit Donanemab, einem weiteren Amyloid-Antikörper, vorgestellt. Auch in der TRAILBLAZER-Studie konnte das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt werden.
In den USA dauerte es nicht lange: Die FDA erteilte Lecanemab im Januar 2023 die Zulassung, Donanemab folgte im Juli 2024. In Europa hingegen mahlen die Mühlen langsamer: Die EMA empfahl Lecanemab (nach einigem Hin und Her) im November 2024 zur Zulassung. Für die endgültige Zulassung muss nun noch die Europäische Kommission zustimmen. Das gilt als Formsache, ist aber bis heute nicht geschehen – die Patienten warten also weiter auf das Medikament.
Im Fall von Donanemab hat sich die EMA nun gegen eine Zulassung ausgesprochen. Der Grund: mehr Nebenwirkungen. Die Entfernung von Amyloid kann zu Veränderungen im Gehirn führen, die im MRT sichtbar werden. Es kann zu Hirnschwellungen oder Einblutungen kommen. Diese Veränderungen werden Amyloid-related imaging abnormalities (ARIA) genannt und verursachen meist keine Symptome. Manchmal können sie aber gefährlich werden, einige Studienteilnehmer sind sogar daran gestorben.
Während die ARIA-Nebenwirkungsrate bei Lecanemab bei 12,6 % liegt, ist sie bei Donanemab mit 24 % deutlich höher. Die klinische Wirksamkeit der beiden Amyloid-Antikörper ist vergleichbar. Setzt man Nutzen und Risiken ins Verhältnis, ergibt sich daher für Donanemab ein schlechteres Nutzen-Risiko-Verhältnis als für Lecanemab – so die Begründung der EMA. Menschen mit einer bestimmten Genvariante (mit 2 Kopien des ApoE4-Gens) haben ein stark erhöhtes Risiko für ARIA. Bei Lecanemab erfolgte die Zulassung daher unter Ausschluss dieser Patientengruppe. Bei Donanemab wollte die EMA diesen Kompromiss nicht eingehen, da ARIA auch bei Menschen ohne die Genvariante relativ häufig auftreten.
In der Fachwelt wird die Entscheidung kritisiert. So sagt Prof. Jörg Schulz aus Aachen, Sprecher der Kommission Demenz und Kognitive Störungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: „Um es vorweg klar auf den Punkt zu bringen: Die Amyloid-Antikörper sind kein Wundermittel gegen Alzheimer, sie heilen die Erkrankung nicht und haben überdies auch Nebenwirkungen. Aber sie können die Progression bei richtiger Patientenauswahl um über 30 % verlangsamen. Das kann für viele Menschen mit neu diagnostizierter Alzheimer-Erkrankung ein Gewinn an vielen Monaten gesunder Lebenszeit bedeuten.“
Noch kritischer äußert sich Prof. Christoph Kleinschnitz vom Universitätsklinikum Essen: „Für mich ist das absolut unverständlich, zumal auch Lecanemab, ein weiterer Antikörper gegen Alzheimer, in der EU noch immer nicht verfügbar ist. Europa droht, in allen Bereichen weiter zurückzufallen, auch in der Medizin.“
Donanemab hat vorerst die rote Karte erhalten. Hersteller Eli Lilly hat nach der EMA-Entscheidung vom 27. März 15 Tage Zeit, um eine Neubewertung zu beantragen. Im Fall von Lecanemab sind die Hersteller Biogen und Eisai genau diesen Weg gegangen – und wurden schließlich belohnt. Sie reichten Subgruppenanalysen von Patienten ohne oder mit nur einem ApoE4-Allel nach. Für diese Patientengruppen wurde Lecanemab dann zugelassen. Diese Möglichkeit besteht bei Donanemab nicht, da diese Subgruppenanalysen bereits Teil der aktuellen Entscheidung waren. Eine Revision der Entscheidung wie bei Lecanemab erscheint daher unwahrscheinlich.
van Dyck et al.: Lecanemab in Early Alzheimer's Disease. N Engl J Med, 2023. doi: 10.1056/NEJMoa2212948
Sims et al.: Donanemab in Early Symptomatic Alzheimer Disease: The TRAILBLAZER-ALZ 2 Randomized Clinical Trial. JAMA, 2023. doi: 10.1001/jama.2023.13239
Bildquelle: erstellt mit DALL-E