Das Klinik-Handy klingelt – Notfall Pneumonie. Mein Kollege ist irritiert: „Immer mit der Ruhe, ist doch keine Rea.“ Nein, aber auch in der Infektiologie gibt es Fälle, bei denen jede Sekunde zählt. Wie ihr sie erkennt und richtig behandelt.
Das Klinik-Handy klingelt ohrenbetäubend. Ein kurzer Blick: Reanimation, Station 4. Ich lasse alles stehen und liegen und laufe los. Die Reanimation ist erfolgreich, der Patient kommt auf die Intensivstation. Zwei Stunden später. Wieder klingelt das Telefon: „Schwere Pneumonie? Ich komme!“ Ein Kollege guckt mich schief an: „Häh? Pneumonie, Notfall? Ok, aber müssen wir da im Ernst JETZT hin?“
Was bei Herzkreislaufstillstand selbstverständlich ist, wird bei vielen anderen Erkrankungen belächelt. Gerade Infektionserkrankungen werden oft unter „irgendwelche Bakterien, die sich seit Wochen vermehren, kein Grund zur Hektik“ abgespeichert – da rennt man doch nicht hin!
Aber ist die vermeintliche Coolness gerechtfertigt? Nur weil es keine spritzende arterielle Blutung oder ventrikuläre Tachykardie ist, heißt das nicht, dass im Körperinneren sich nicht mindestens ebenso große Dramen abspielen. Denn es gibt sie: Eine überschaubare Anzahl von wirklichen infektiologischen Notfällen, bei denen jede Minute zählt und man durchaus mal rennen kann.
Ein kleiner Streifzug durch die Akut-Infektiologie: Was muss man kennen?
Eine Sepsis ist eine lebensbedrohliche Organdysfunktion durch eine fehlregulierte Antwort auf eine Infektion – so ist die aktuelle, etwas sperrige Definition. Ist das Laktat > 2 mmol/l und brauche ich Katecholamine, um einen arteriellen Mitteldruck > 65 mmHg zu halten, spricht man vom septischen Schock. Eine genaue Abschätzung liefert der SOFA-Score.
Warum die Eile? Weil die Überschwemmung des Körpers mit Toxinen der Erreger zusammen mit der unkontrollierten Immunreaktion eine tödliche Mischung ergibt: Die Mortalität des septischen Schocks liegt bei 50 %! Pro Stunde ohne Therapie sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um 7–10 %. Umso schwieriger wird es dadurch, dass viele diffuse Symptome der Sepsis oft falsch interpretiert werden.
Sepsis – dran denken! Credit: RKI
Wenn ich es erkannt habe – was tun? Die Dringlichkeit symbolisiert das „1-Stunden-Bundle“:
Ist dieser erste Schritt geschafft, muss – meist auf der Intensivstation – der Fokus der Infektion gefunden und gezielt behandelt werden.
Bei Pneumonien denkt man vielleicht primär an Freitagnachmittag und die Einweisung aus dem Pflegeheim mit Fieber und wiederholter Aspiration – aber das wird dieser gefährlichen Krankheit nicht gerecht. Die Pneumonie ist die häufigste infektiologische Todesursache in Deutschland. Bei stationärer Aufnahme liegt die Mortalität bei ca. 10 %, bei schweren Verläufen bei 20–50 %!
Eine ausgedehnte Pneumonie mit V. a. Pleuraempym. Credit: Jakob Schröder
Die klassischen Symptome sind Dyspnoe und Tachypnoe, Fieber und thorakale Schmerzen, aber bei alten Menschen und Immunsuppression können nur unspezifische Symptome vorliegen.
Was tun?
Regelmäßige klinische, laborchemische und sonographische Kontrollen helfen dabei, komplexe Verläufe und Komplikationen zu erkennen (hier berichte ich über dieses Thema).
Wir wechseln das Organ. Gerade in der Notaufnahme: Eine Patientin mit Fieber, Kopfschmerzen und Nackensteifigkeit? Hier müssen alle Alarmglocken klingeln: Meningitis! Tückisch ist hier, dass die Nackensteifigkeit (Meningismus) nur in ca. 30 % der Erkrankungen vorkommt. Die Erkrankung kann durch Bakterien und Viren ausgelöst werden, bei der bakteriellen Meningitis geht es um Stunden.
Häufigste Erreger sind altersabhängig Neisseria meningitidis (Meningokokken), Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken) und Hämophilus influenza. Die Sterblichkeit liegt hier bei bis zu 30 %. Beim Waterhouse-Friderichsen-Syndrom, der fatalen Maximalvariante einer Meningokokken-Sepsis, versterben bis zu 90 % der Patienten.
Kontrastmittelanreicherung bei Meningitis. Credit: lecturio.com
Ein junger Patient mit einem neu aufgetreten Herzgeräusch? Das heißt nichts Gutes. Hat er dabei noch Fieber, darf man eine Diagnose nie vergessen: Endokarditis. Hier werden das Endokard und damit auch die Herzklappen von Erregern befallen, die Vegetationen ausbilden und zu weiteren Komplikationen wie lokaler Abszessbildung und Embolisation (bis zu 50 % der Fälle) in andere Organe führen können. Manche bakteriellen Erreger zerstören die Klappen in atemberaubender Geschwindigkeit, 30–40 % der Patienten sind nur durch eine frühe herzchirurgische Intervention zu retten. Die Sterblichkeit im Krankenhaus liegt bei 20 %, die Ein-Jahres-Sterblichkeit bei ca. 30 %.
Endokarditis der Trikuspidalklappe. Credit: Göbölös et al.
Letzter Patient für heute: Ein umfangvermehrtes linkes Bein, leichte Schwellung und Rötung. Auf den ersten Blick kein dramatischer Lokalbefund. „Mmh, vielleicht Thrombose?“, meint der PJ-ler. Der Patient sieht aber krank aus, kränker als dieses Bein vermuten lässt. Ich untersuche den Oberschenkel und der Patient beginnt zu schreien, als ob ich ihn mit glühenden Nadeln durchbohren würde. Hier stimmt was nicht.
Leitsymptom der nekrotisierenden Fasziitis sind stärkste, völlig inadäquat erscheinende Schmerzen. Bei dieser Weichteilinfektion, oft durch Streptokokken der Gruppe A, dringen toxinbildende Erreger in tiefe Weichteilschichten ein und breiten sich rasend schnell entlang der Faszien aus. Der Mensch verfällt innerhalb von Stunden, nur ein sofortiges radikales Debridement kann die Patienten retten.
Ein Schlachtfeld – eine nekrotisierende Fasziitis im OP. Credit: Jones et al.
Zum Nachlesen:
S3-Leitlinie Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie
S3-Leitlinie Sepsis – Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge (in Überarbeitung)
S2K-Leitlinie Ambulant Erworbene bakterielle Meningoenzephalitis im Erwachsenenalter
2023 ESC Guidelines for the management of endocarditis
Jones et al. Assessment and management of necrotizing fasciitis. British Journal of Surgery, 2024. doi: 10.1093/bjs/znae204
Bildquelle: lucas Favre, Unsplash