Immer deutlicher setzt sich in der Medizin die Erkenntnis durch, dass Frauen und Männer unterschiedliche Risikofaktoren für das Auftreten von Erkrankungen aufweisen und Symptome sowie der Grad der Ausprägung zwischen den Geschlechtern unterschiedlich sein können. Auch die Prognose kann durch das biologische Geschlecht beeinflusst werden. Unter den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen weisen einige teils deutliche geschlechterspezifische Unterschiede auf.1
Die Liste der biologischen Unterschiede, welche möglicherweise den Verlauf rheumatisch-entzündlicher Erkrankungen geschlechtsspezifisch beeinflussen können, ist lang.1,2 Dazu gehören beispielsweise die Genetik, die hormonelle Ausstattung, physiologische Vorgänge, das Immunsystem sowie die Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung.1,2 Die genauen Mechanismen sind oft nicht vollständig verstanden.1
Für die Mehrzahl der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gilt: Frauen sind in der Regel häufiger betroffen als Männer.1 Insbesondere Kollagenosen wie das Sjögren-Syndrom, der systemische Lupus erythematodes oder die systemische Sklerose, werden deutlich häufiger bei Frauen diagnostiziert.1 Auch die rheumatoide Arthritis (RA) betrifft rund dreimal häufiger Frauen.1,2 Bei Psoriasisarthritis hingegen ist die Geschlechterverteilung eher ausgewogen.1 Bei axialen Spondyloarthritiden ist das Geschlechterverhältnis ebenfalls recht ausgeglichen, wobei die durch radiologische Veränderungen definierte ankylosierende Spondylitis häufiger bei Männern auftritt.1 Auch von Morbus Behçet sind Männer häufiger betroffen.1
Verschiedene Studien haben geschlechtsspezifische Unterschiede im Krankheitsverlauf und in der Prognose der RA aufgezeigt.1-3 Weltweit scheint die RA bei Frauen schwerwiegender zu verlaufen als bei Männern, und es gibt Hinweise darauf, dass Frauen häufiger unter Fatigue, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust leiden.1-3 Außerdem scheinen Frauen eine aggressivere frühe Krankheitsphase zu haben und häufiger Anti-CCP-Antikörper zu entwickeln als Männer.2 Zudem berichten Frauen generell über mehr Symptome und erzielen schlechtere Werte in den meisten Symptom-Fragebögen.2 Das Geschlecht von Patient*innen kann die Bewertung der Krankheitsaktivität, die Therapieentscheidung oder das Ansprechen auf die Behandlung beeinflussen.2,4
Bei der Häufigkeit bestimmter Begleiterkrankungen zeigen sich ebenfalls geschlechtsspezifische Unterschiede: Frauen mit rheumatoider Arthritis leiden häufiger an Arthrose, Osteoporose, Depression und Schilddrüsenunterfunktion.1,2 Männer hingegen sind eher von kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes, Gicht und Niereninsuffizienz betroffen.1,2 Da Komorbiditäten die Therapieauswahl, das Therapieansprechen und den weiteren Verlauf entzündlich-rheumatischer Erkrankungen beeinflussen können1,2, sollten sie im Rahmen der Diagnostik ausführlich erhoben werden.
Abb. 1: Anteile der Komorbiditäten bei Frauen und Männern mit RA (ICD-10-Diagnosen). Mod. nach 1.
Schon gewusst? Rheumatoide Arthritis stellt einen relevanten Risikofaktor für osteoporotische Frakturen dar – unabhängig von einer Therapie mit Glukokortikoiden.5 Mehr zum Thema Osteoporose erfahren auf unserem Osteologie-Kanal „Knochenstark“!
Ein Thema, dass offensichtlich in der Gendermedizin von Interesse ist, ist der Bereich der Familienplanung. Mit Patientinnen, die unter entzündlich-rheumatischen Erkrankungen leiden, sollte dieses Thema daher früh und intensiv besprochen werden – auch um Ängste und Sorgen zu nehmen.6 Wesentliche Aspekte, die dabei berücksichtigt werden müssen, sind der Einfluss der Schwangerschaft auf die Erkrankung der Mutter, die Auswirkungen der Krankheitsaktivität auf die Gesundheit des Kindes, die Sicherheit von Basis- und krankheitsmodifizierenden Medikamenten vor und während der Schwangerschaft (Kontraindikationen!) sowie ggf. Maßnahmen zur Empfängnisverhütung.2,6,7 Bei Männern sollte bedacht werden, dass bestimmte Medikamente die Fruchtbarkeit schädigen oder beeinträchtigen können.7
Empfehlungen zum Vorgehen bei Kinderwunsch und rheumatischen Erkrankungen sind zum Beispiel in der entsprechenden Leitlinie des American College of Rheumatology (ACR) zu finden.
Abkürzungen
CCP: zyklische citrullinierte PeptideCOPD: chronisch-obstruktive LungenerkrankungICD-10: 10. Version der "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems"KHK: koronare Herzkrankheit
Referenzen
Bildquelle:iStock.com/Marcela Ruth Romero
DE-DA-2500065