Immer häufiger sitzen Patienten bei mir, die Behandlungen ablehnen, weil sie „schlimme Sachen“ gehört haben. Wo das Misstrauen gesät wird und wie ich damit umgehe.
Ich versuche momentan, meine Patienten vermehrt auf das Thema Organspende anzusprechen. Ich hab in allen Zimmern die Ausweise so positioniert, dass der Patient (und vor allem ich) sie sehen können und versuche, mithilfe von Markern in der Patientenakte wirklich mit dem Großteil der Patienten ins Gespräch zu kommen.
Die meisten reagieren mit „Hab ich schon“ oder „Oh, gut, dass Sie das sagen, ich hatte mal einen, aber der war aus Papier und ist zerfleddert“ oder „Das stimmt, das muss ich endlich mal machen, ich bin dafür, aber einen Ausweis habe ich nicht“. Das sind einfache, schnelle Gespräche. Manchmal bin ich aber auch echt erschrocken, wie groß das Misstrauen in die Medizin inzwischen geworden ist. Denn wenn jemand sagt, „Ich möchte keinen Ausweis“, frage ich immer nach, ob
a) den Leuten klar ist, dass man auf dem Ausweis auch „Nein“ ankreuzen kann (es geht ja vor allem um die Feststellung des Patientenwillen)
und
b) warum die Leute keinen Ausweis möchten.
Denn das kann ja schon mal aus Gründen der Weltanschauung sein (wir haben auch einige Zeugen Jehovas, was wir auch immer in der Akte vermerken, damit diese wichtige Information berücksichtigt werden kann). Aber häufiger schauen mich die Leute dann bedeutungsvoll an und sagen dann sowas wie „Na ja, man weiß ja nicht so recht …“ Auf meine Frage, WAS man denn nicht weiß, kommt dann häufig was von „Dann wird man ja wohl schneller aufgegeben/sterben gelassen“ oder ähnlichem.
Die ersten Male war ich von diesen Statements schockiert, denn so ein Misstrauen in die medizinische Versorgung finde ich mehr als bedenklich. Aber inzwischen bin ich so weit, dass ich dann weiter ruhig fragen kann, woher denn diese Information komme. Und ja, da kommt inzwischen wirklich zunehmend Social Media (Youtube, Tiktok). Das hatte ich als „Informationsquelle“ so nicht erwartet. Ich versuche dann, von meinen persönlichen Erfahrungen zu berichten – und die sehen halt so aus, dass ich in über 15 Jahren Arztsein insgesamt nur drei Spenden mitbekommen habe: Eine „klassische“ Spende (Motorradfahrer, hirntot, mehrere Organe gespendet) und zwei postmortale Hornhautspenden, bei denen ein bis zwei Tage nach dem Tod der Patienten unsere Praxis kontaktiert wurde, um sicherzugehen, dass keine Kontraindikationen für die Spende bestanden (wobei die Kontraindikationen da ja echt selten sind.
Andererseits haben wir erst vor kurzem wieder einen Patienten auf der Transplantationsliste verloren (und einige andere über die Jahre), sodass ich also auch aus eigener Erfahrung bestätigen kann, dass es wahrscheinlicher ist, dass man auf der Warteliste verstirbt, als dass wirklich die Situation eintritt, dass man spenden kann.
Aber letztlich geht es bei diesen Patienten ja gar nicht um die Organspende an sich, sondern um das Misstrauen, „ob das alles mit rechten Dingen zugeht“. Und DAS ist das, was mir wirklich Sorge macht. Das merkt man auch gerade beim Thema Impfungen wieder sehr deutlich. Es wollen deutlich mehr Patienten die Grippeimpfung als die (ebenfalls von der STIKO empfohlene) Covid-Impfung. Und auch da kommt auf die Nachfrage nach dem Grund meistens ein relativ diffuses „Na ja, man hört ja so Sachen“, die aber auch nicht weiter spezifiziert werden (können?).
Dieses Misstrauen geht mir unheimlich nah. Denn letztlich basiert das ganze Arzt-Patienten-Verhältnis auf Vertrauen und auch wenn es sicherlich (überall) schwarze Schafe gibt: Grundsätzlich vertraue ich dem System, was wir in Deutschland haben.
Wie kann es weitergehen, wenn die Patienten das Vertrauen in das Gesundheitssystem und letztlich in uns Ärzte verlieren? Und wenn ich mitbekomme, dass diese „Informationen“, die dieses Misstrauen säen, meistens auf halbgaren Tiktok- und Youtube-Videos beruhen: Wie bekommen wir dieses Vertrauen wieder?
Ich muss gestehen, dass ich das Internet als Recherche-Ort sehr schätze, aber diese zunehmende Quellenbeurteilung auch extrem anstrengend finde. Früher war die Hauptaufgabe, Informationen zu finden. Heute besteht (auch für meine Kinder, die sich ja auch zunehmend freier im Netz bewegen) die Herausforderung darin, zu sortieren, was eine relevante und verlässliche Quelle ist. Das finde ich sowohl als Ärztin als auch als Mutter oft extrem schwierig. Wie beurteile ich selbst eine Quelle? Und wie bringe ich das den Kindern bei? Auf Plattformen, die ich selbst gar nicht nutze?
Bislang scheinen wir nicht so richtig erfolgreich damit zu sein, einen guten Umgang mit Internet-Quellen zu finden. Und für mich sind diese Unterhaltungen mit den Patienten über Organspenden, Impfungen und andere Dinge vor allem ein Ansporn, die Informationen im persönlichen Kontakt dann richtigzustellen (wobei ich nicht weiß, wie viel Einfluss ich dann letztlich auf die Patienten habe).
Wichtig ist aber: Wir müssen wieder schauen, dass die Patienten einen guten Zugang zu den richtigen Informationen haben und für alle sichtbar ist, was eine vertrauenswürdige Quelle ist. Denn so verlieren wir das allerwichtigste: die vertrauensvolle Beziehung zu unseren Patienten.
Bildquelle: Ben White, Unsplash