Nirgends verbringt man so viel Zeit wie im Job – kein Wunder, dass sich das auch auf das Gehirn auswirkt. Ein Beruf fällt hier besonders auf. Warum ausgerechnet er so gut vor Demenz schützt und warum der Effekt immer schwächer werden könnte.
Mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung gewinnen Demenzerkrankungen immer mehr an Bedeutung. Bereits heute leben in Deutschland schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Für die Betroffenen und ihre Angehörigen bedeutet dies eine große körperliche und seelische Belastung, für die Gesellschaft sind die Kosten für die ambulante und stationäre Pflege schon heute sehr hoch und werden weiter steigen. Entsprechend groß ist das Interesse an Möglichkeiten, die Entstehung einer Demenz zu verhindern oder hinauszuzögern. Prävention ist das Stichwort. Überall ist die Rede davon, dass es zu wenig Prävention gibt und dass man sich in Zukunft mehr davon wünscht. Der scheidende Bundesgesundheitsminister hat sogar ein eigenes Bundesinstitut für Prävention gegründet. Ob damit das selbst gesteckte Ziel erreicht werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Fest steht jedenfalls, dass geeignete Präventionsstrategien dringend benötigt werden.
Als wichtigste Unterform der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit auch der wichtigste Ansatzpunkt für eine wirksame Prävention. Um die Alzheimer-Prävention in Angriff nehmen zu können, muss man zunächst verstehen, wie die Krankheit entsteht. Warum erkrankt Oma Erna an Alzheimer, ihre Schwester Ilse aber nicht? Wenn man die Ursachen kennt, kann man versuchen, sie zu beeinflussen und so die Entstehung der Krankheit im Keim zu ersticken. Ein Faktor, der die Gesundheit und das Risikoprofil eines Menschen wesentlich beeinflusst, ist der ausgeübte Beruf. Schließlich verbringen die meisten Menschen Woche für Woche einen Großteil ihrer Zeit damit. Mehr Zeit als bei der Arbeit verbringen die meisten nur im Bett. Ein vielversprechender Ansatz, um mehr über die Entstehung und die Risikofaktoren einer Krankheit zu erfahren, ist daher der Vergleich verschiedener Berufsgruppen. Dies wurde in einer aktuellen Studie für Demenzerkrankungen untersucht.
Eine frühere Studie hatte bereits gezeigt, dass sich die Struktur des Hippocampus von Taxifahrern deutlich von der anderer Berufsgruppen unterscheidet. Diese Studie mit Londoner Taxifahrern aus der Zeit vor Google Maps kam zu dem Ergebnis, dass die hohen Anforderungen an die Navigationsfähigkeiten der Taxifahrer zu Veränderungen im Hippocampus führen, die im MRT nachweisbar sind. Der Hippocampus spielt eine Schlüsselrolle in unserem Gedächtnis. Hier werden neue Informationen aufgenommen, zwischengespeichert und bei Bedarf zur Langzeitspeicherung weitergeleitet. Er liegt tief im Gehirn, eingebettet in den Temporallappen. Seine Form erinnert an ein Seepferdchen, daher der Name (Hippocampus ist griechisch für Seepferdchen). Bei der Alzheimer-Demenz schrumpft er zusammen mit anderen Teilen des Gehirns und seine Funktion wird beeinträchtigt, was zu den bekannten Symptomen wie Vergesslichkeit und Schwierigkeiten beim Abrufen von Informationen führt. Es war also bekannt, dass es je nach Berufsgruppe Unterschiede in der Struktur des Gehirns gibt. Darüber hinaus stellten die Forscher folgende Hypothese auf: Regelmäßiges Navigieren könnte den Hippocampus trainieren und damit das Demenzrisiko senken. Doch wie lässt sich das wissenschaftlich überprüfen?
Hier kommen die Sterberegister ins Spiel. Um ihre Hypothese zu überprüfen, analysierten die Forscher die Mortalitätsstatistiken in den USA, die auf den Totenscheinen basieren, in denen die Todesursache angegeben ist. Darüber hinaus enthält der Totenschein in den USA ein Feld, in dem der im Laufe des Lebens hauptsächlich ausgeübte Beruf vermerkt ist. Dieses Feld wird in der Regel vom Bestatter ausgefüllt, der die Hinterbliebenen nach dem ausgeübten Beruf des Verstorbenen befragt. Auf dieser breiten Datenbasis (es lagen Daten von fast 9 Millionen Verstorbenen vor) wurde das Risiko, an einer Demenz zu versterben, zwischen den verschiedenen Berufsgruppen verglichen. Die Ergebnisse wurden für verschiedene Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Bildungsstand korrigiert.
Insgesamt wurde bei 3,88 % der Todesfälle Alzheimer als die dem Tod zugrunde liegende Krankheit angegeben. Bei Taxifahrern waren es nur 1,03 % und bei Krankenwagenfahrern nur 0,74 %. Als Vergleichsgruppe wählten die Forscher Busfahrer, Piloten und Schiffskapitäne. Diese Berufsgruppen sind einerseits vergleichbar, da es sich ebenfalls um Transportberufe handelt. Andererseits erfordern diese Berufe nicht in gleichem Maße das ständige Navigieren auf unbekannten Strecken, der Hippocampus wird also weniger trainiert. Und auch hier bestätigte sich die Hypothese der Wissenschaftler: Die Busfahrer hatten nicht denselben Vorteil wie die Taxifahrer. Sie starben mit einer Wahrscheinlichkeit von 3,11 % an Alzheimer, bei den Piloten waren es 4,57 % und bei den Schiffskapitänen 2,79 %. Nach Korrektur der Einflussfaktoren hatten Taxifahrer und Krankenwagenfahrer von allen 443 einbezogenen Berufsgruppen das geringste Risiko, an Alzheimer zu sterben.
Die Autoren sehen durch die Ergebnisse ihre Hypothese bestätigt, dass häufiges Navigieren durch die damit verbundene räumliche Verarbeitung den Hippocampus trainiert und so die Anfälligkeit für Alzheimer-Demenz verringern kann. Ob dieser Vorteil für Taxifahrer weiterhin besteht, ist jedoch fraglich. Taxifahrer müssen sich heute keine komplizierten Routen mehr selbst ausdenken und merken, dafür gibt es längst Navigationssysteme und Google Maps. Die Personen, die in die untersuchte Sterbestatistik eingingen, waren zum Zeitpunkt ihres Todes meist schon länger im Ruhestand und hatten ihren Beruf noch überwiegend in einer Zeit ohne GPS ausgeübt. Wenn man heute vor der Berufswahl steht und sein Alzheimer-Risiko in die Entscheidung mit einbezieht, ist Taxifahrer nicht mehr unbedingt die beste Wahl. Die Frage, welche Berufe heute für die Hirngesundheit am besten sind, beantwortet die Studie leider nicht.
Eine weitere Frage von großer Relevanz lässt die Studie ebenfalls unbeantwortet: Genauso wie es Berufsgruppen gibt, die eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit haben, an Alzheimer zu sterben, gibt es auf der anderen Seite der Verteilung Berufsgruppen, die ein besonders hohes Risiko haben. Allerdings wurde nur das Risiko für die zuvor definierten Berufsgruppen angegeben, die alle eine Transporttätigkeit ausüben. Bei der Frage nach den gefährlichsten Berufsgruppen können wir also nur spekulieren. Wie schneiden wohl die medizinischen Berufe ab?
Patel et al. Alzheimer's disease mortality among taxi and ambulance drivers: population based cross sectional study. BMJ, 2024. doi: 10.1136/bmj-2024-082194.
Maguireet al. London taxi drivers and bus drivers: a structural MRI and neuropsychological analysis. Hippocampus, 2006. doi: 10.1002/hipo.20233.
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