Gewalt gegen Rettungskräfte, Chaos und eine Vielzahl an Verletzungen: Die Eskalationen zu Silvester 2023 machen wenig Lust auf den bevorstehenden Jahreswechsel. Viele Ärzte fordern, Feuerwerk in Laienhand zu verbieten – ein frommer Wunsch?
„Der Jahreswechsel ist immer eine Herausforderung. Ob Feuerwehrleute, Krankenpfleger oder Sanitäter, alle haben in dieser Nacht besonders viel zu tun“, schreibt ein DocCheck-User bei unserer Umfrage.
Viele Health Care Professionals denken mit Wehmut an die Jahre 2020 und 2021 zurück – ohne Feuerwerk als Maßnahme der Pandemie-Kontrolle. Danach gingen die Verkaufszahlen für Pyrotechnik steil nach oben, mit einem bundesweiten Umsatz von jeweils 180 Millionen Euro in den Jahren 2022 und 2023. Im Jahr vor der Pandemie waren es 122 Millionen Euro.
Die Zahlen belegen, dass für viele Menschen in Deutschland der Jahreswechsel ohne Feuerwerk kaum vorstellbar ist. Das bleibt nicht ohne Folgen: „Notfallmedizin im Rahmen des Jahreswechsels erlaubt medizinische Grenzerfahrungen, sowohl was die Anzahl der Einsätze/Patienten als auch das Patientenverhalten betrifft“, schreibt ein DocCheck User. Für den städtischen Bereich nennt er „35 Einsätze in 24 Stunden“.
Statistiken zeigen, welches Ausmaß Verletzungen durch Feuerwerk annehmen. Dazu hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft ausgewertet, wie häufig die ICD W49.9 (Unfall u. a. durch Feuerwerkskörper, Explosionen) bei der stationären Versorgung kodiert worden ist. Wärend des Jahres waren es 9.433 Fälle, also knapp 26 Fälle täglich. 78,5 Prozent der Betroffenen waren Männer, rund 70 Prozent waren zwischen 18 und 64 Jahren alt. Am Neujahrstag waren es 117 Fälle, 90,6 Prozent der Betroffenen waren männlich und zirka 75 Prozent zwischen 10 und 39 Jahren alt. Hinzu kommen Patienten mit leichteren Verletzungen, die ambulant versorgt werden; genaue Zahlen gibt es nicht.
„Während Millionen Menschen feiern, arbeiten andere am Limit und darüber hinaus.“
„Diese Verletzungen führen die Krankenhäuser in der Silvesternacht regelmäßig an den Rand des Ausnahmezustands“, sagte der DKG-Vorstand anlässlich der Vorstellung der Zahlen. „Während Millionen Menschen feiern, arbeiten andere in den Krankenhäusern, Polizeiwachen und Rettungsdiensten am Limit und darüber hinaus.“
In der Silvesternacht 2023/2024 kam es mehrfach zu Gewalt in Notaufnahmen. Ein besonders schwerwiegender Fall ereignete sich im Sana Klinikum Lichtenberg in Berlin. Dort attackierten drei Männer das medizinische Personal in der Rettungsstelle. Ein 25-jähriger Mann schlug einen Arzt nieder, während seine 16 und 20 Jahre alten Brüder ebenfalls den Arzt und einen Pfleger angriffen. Das Überwachungsvideo zeigt, wie die Männer das Personal beschimpfen und schließlich tätlich angreifen. Der niedergeschlagene Arzt blieb regungslos am Boden liegen, bis Kollegen ihm zu Hilfe kamen.
„Es gab in den letzten Jahren so viele Vorfälle, dass es Zeit ist, umzudenken (…)“, erklärt ein DocCheck-User. Zwar ist das Thema bei der Bundesregierung angekommen; ein Gesetzentwurf „zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie von dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten“ mit Verschärfung des Straftatbestands befindet sich in Arbeit. Wie es damit weitergehen wird, bleibt angesichts des Ampel-Endes unklar.
Damit werden Eigeninitiativen wichtiger denn je: Krankenhäuser ergreifen zum Jahreswechsel, insbesondere in der Silvesternacht, vielfältige Maßnahmen, um Gewalt vorzubeugen und die Sicherheit zu gewährleisten. Beispielsweise hat die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) einen umfangreichen Leitfaden entwickelt. Hier zeigt sich, wie komplex Gewaltprävention eigentlich ist. Das Spektrum reicht von baulichen und organisatorischen Maßnahmen im Außenbereich, an der Pforte, in der Notaufnahme und in Abteilungen über Deeskalationstrainings für Mitarbeiter bis hin zu Notfallplänen.
Einige Krankenhäuser verstärken während dieser Zeit auch ihre Sicherheitsvorkehrungen durch den Einsatz von Sicherheitsdiensten oder die Installation von Überfall-Meldeanlagen. Deeskalationstrainings eignen sich auch, um Rettungsdienst-Mitarbeiter im Umgang mit aggressiven Personen zu schulen. Doch das allein wird kaum ausreichen – und Lösungen sind fern. Selbst die Bahn setzt im Testbetrieb auf Bodycams, um mehr für die Sicherheit ihrer Angestellten zu tun. Erste Erfahrungen sollen positiv sein. Eine Studie aus den USA zeigt, dass sich das Konzept auch für den medizinischen Bereich eignen könnte.
Doch zurück zum Jahreswechsel mit Gewaltexzessen und überfüllten Notaufnahmen. DocCheck-User fordern stärkere Einschränkungen beim Verkauf von Feuerwerk bis hin zum Verbot. „Ich bin der Meinung, dass es einen Standort (…) geben sollte, wo ein großes Feuerwerk stattfindet und an anderen Stellen das Böllern und Schießen verboten sein sollte“, heißt es in einem Kommentar.
Das wird ein frommer Wunsch bleiben. Feuerwerkskörper der Klasse F2 (die typischen Silvesterknaller) sind in Deutschland gesetzlich zugelassen und unterliegen dem Sprengstoffgesetz. Die Bundesländer dürfen in Ausnahmefällen den Gebrauch einschränken. Ein generelles Verbot müsste bundesweit geregelt werden und wäre rechtlich schwer durchsetzbar, da es als unverhältnismäßiger Eingriff in die Gewerbefreiheit gilt. Auch fehlt der politische Konsens für solche Maßnahmen – zu beliebt sind Böller und Co. bei vielen Menschen.
Bildquelle: Tzvi Kilov, Unsplash