Ärzte an kommunalen Kliniken warten weiter auf mehr Kohle – gar nicht so schlimm, finden einige Chefärzte. Sind sie nur blinde Besserverdiener oder haben sie den Blick fürs Ganze? Darum ging es in einem Streit in den Unsozialen Medien. DocCheck klärt auf.
Tarifverhandlungen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sind oft begleitet von Kontroversen. Im besten Fall schafft man es die diametralen Sichtweisen irgendwie übereinzubringen und einen Kompromiss zu finden. Nicht so im aktuellen Fall zwischen den Ärztevertretern des Marburger Bundes (MB) und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Doch die Wellen, die diesmal geschlagen wurden, reichten bis in die sozialen Netzwerke – und lösten eine Grundsatzdiskussion über den Sinn und Unsinn der ärztlichen Forderungen aus.
Am Wochenende gingen die Parteien sichtlich entsetzt vom jeweiligen Gegenüber auseinander. Das Ziel der Verhandlung zuvor: Ein klares Plus in Sachen Gehalt. Außerdem: Das Ende des ärztebelastenden Schichtdienstes. Der vom MB geforderten Lohnerhöhung um 8,5 % standen angebotene 5,5 % seitens der VKA sowie die Erhöhung des Nachtzuschlags von 15 auf 20 % und eine Einmalzahlung von 500 Euro gegenüber. In Sachen Neugestaltung der Schichtarbeit erklärt Dr. Andreas Botzlar, 2. Vorsitzender des Marburger Bundes: „Die VKA hat […] uns ein völlig inakzeptables Angebot vorgelegt, das wir nur als schlechten Witz auffassen können. Es liegt weit unter dem, was wir gefordert haben und spart das Thema Schicht- und Wechselschicht komplett aus. Anders als in der letzten Runde diskutiert und von der VKA selbst auch öffentlich bekundet, bieten die Arbeitgeber nun keinerlei dringend notwendige Veränderung bei den besonders belastenden Dienstmodellen an.“
Die Gegenseite beteuert hingegen: „Verhandeln bedeutet, sich aufeinander zuzubewegen. Diese Bereitschaft können wir beim Marburger Bund seit fünf Verhandlungsrunden nicht erkennen. […] Die Blockadehaltung der Ärztegewerkschaft ist deshalb durch nichts zu rechtfertigen“, so Dirk Köcher, Verhandlungsführer der VKA und Kaufmännischer Direktor des Städtischen Klinikums Dresden.
Was aus den verhärteten Fronten klar wird: Bewegung gibt es wohl erst nach noch zäherem Ringen. Auch das scheint schon in die Wege geleitet – und sorgt nun im Netz für Kritik und heiße Diskussion. Bereits am Samstag hat die Große Tarifkommission des MB getagt und über Erzwingungsstreiks im kommenden Jahr abgestimmt. „Die Arbeitgeber nehmen die Ärztinnen und Ärzte in den kommunalen Krankenhäusern offensichtlich nicht ernst. Darauf müssen und werden wir die entsprechende Antwort geben“, erklärt MB-Vorsitzende Dr. Susanne Johna die möglichen nahenden Streikwellen an kommunalen Kliniken.
Was man derweil im Netz vom Arbeitskampf im kommenden Jahr hält, liest sich weniger unterstützend als man es auf den ersten Blick hätte meinen können. Dr. Matthias Hassenpflug äußert sich dort zu möglichen Streiks: „Die kommunalen Kliniken stehen am Rande der Insolvenz und die Ärzteschaft verlangt eine relevante Gehaltssteigerung und droht mit flächendeckenden Streiks. Ich frage mich wie lange noch an dem Ast gesägt werden kann auf dem wir alle sitzen. Woher kommt nur das Urvertrauen, dass Krankenhäuser unabhängig von der Höhe des Defizits von der öffentlichen Hand über Wasser gehalten werden?“ Der Chefarzt und ärztliche Direktor beim GRN Gesundheitszentren Rhein-Neckar scheint mit der Frage um die Sinnhaftigkeit der Arbeitsniederlegung einen Nerv getroffen zu haben.
Das Contra ließ nicht lange auf sich warten und äußerte sich in Kommentaren unter dem Beitrag wie:
„Ich verstehe den Gedanken, dennoch gleichzeitig Bemerkenswert wie hier die ganzen Chefärzte mit Gehältern zwischen 100 und 300K mehr Solidarität fordern, während die Assistenzärzte für eine vergleichsweise schmalen Lohn arbeiten wie die Verrückten. Wie wäre es mit einer differenzierten Forderung: hohe Gehaltssteigerung für Assistenzärzte und niedrigere, je höher man ohnehin verdient? Würde das System entlasten.“
„Es ist eben der Versuch mit emotionaler Erpressung und Stimmungsmache den eigenen ärztlichen Kollegen in den Rücken zu fallen, an Stelle sich gegenüber Politik, Geschäftsführung und Patienten zu emanzipieren.“
„Manchmal fehlt Chefärzten das Fingerspitzengefühl zu erkennen, wie das marktübliche Gehalt von Assistenzärzten in der freien Wirtschaft ist und wie ineffizient ihre Prozesse gestaltet sind.“
„Die Folge könnte sein, dass in naher Zukunft durch unattraktive Verhandlungsergebnisse dem Beruf des Arztes in verstärktem Maße der Rücken gekehrt wird … dadurch ist wiederum keiner Person geholfen, besonders nicht kommunalen Kliniken im ländlichen Raum.“
Doch auch die Gegenseite war argumentativ vertreten und brachte Punkte vor wie:
„Kurzer Exkurs in die Niedergelassen-Untiefen. Ganze 3,85 % Punktwert Erhöhung ab 1.1.2025 zugestanden und als maximaler Erfolg verkauft.“
„Bei der derzeitigen Forderung des MB fragt man sich tatsächlich, in welcher Realität die Verantwortlichen leben. Die Forderungen gefährden die Versorgung schlichtweg noch zusätzlich und sind in dieser Zeit völlig unverantwortlich.“
Während sich der Post in erster Linie an den finanziellen Forderungen und der entsprechenden Formulierung entbrannte, erkannte ein User, dass es in den tatsächlichen Tarifverhandlungen auch um mehr ging:
„Hätten Sie sich mit den Forderungen des MB mal inhaltlich auseinandergesetzt (v.a. hat die VKA nicht auf den Komplex Verbesserungen der Arbeitsbedingungen reagiert), dann hätten sie ihren Artikel wahrscheinlich anders geschrieben. Ich bin im Geltungsbereich VKA und habe 0 Interesse daran, zu streiken. Wie fast jeden den ich kenne. Aber ich habe auch keine Lust, dieses kaputte System auf dem Rücken meiner Kolleginnen und Kollegen sowie dem meinen weiterzutragen. Die Argumente über die Finanzierungslücken durch staatliches Versäumnis die Investitionskosten zu übernehmen haben andere bereits ausgeführt.“
Dass es Hassenpflug jedoch nicht nur um die inhaltlichen Punkte des Marburger Bunds an sich ging, erklärte er gegenüber DocCheck: „Ich bin der Meinung, dass die vom Marburger Bund gewerkschaftlich vorgetragenen Forderungen der Ärzteschaft berechtigt sind. Es geht mir nicht darum, diese Forderungen in Frage zu stellen. Ich bin aber der Meinung, dass es der falsche Zeitpunkt ist, mit flächendeckenden Streiks zu drohen.“ Es gehe ihm vielmehr darum, dass die Ressourcen in Sachen Organisation und Vertretung eher gegenüber der Politik eingebracht werden müssten, um ein Vorschaltegesetz zu etablieren, das die aktuellen Defizite bis zur Umsetzung der Klinikreform überbrückt. Seine Sorge ist, dass durch die weiter steigenden Kosten bei sinkenden Einnahmen (aufgrund wegfallender Leistungsgruppen) die Defizite zunehmen und unkontrolliertes Kliniksterben die Folge sein wird. „Es wird dann nicht mehr darum gehen, die Kliniklandschaft geordnet umzustrukturieren, sondern es wird darum gehen, welcher Träger den längeren Atem hat das Defizit seiner Kliniken noch ausgleichen zu können.“
Ein an der Diskussion beteiligter Arzt, mit dem DocCheck sprach, brachte das Ärgernis gegenüber dem Post auf den Punkt: „Öffentlich anderen Ärzten und somit auch den eigenen Weiterbildungsassistenten, nach all dem was wir in der Pandemie geleistet haben, in den Rücken zu fallen, ist meines Erachtens der falsche Weg. Meines Erachtens sollten solche Diskussionen intern innerhalb der Ärzteschaft und nicht öffentlich auf LinkedIn ausgetragen werden. Zudem liegt die finanzielle Problematik der öffentlichen Gesundheitsversorgung nicht darin, dass Weiterbildungsassistenten einen Inflationsausgleich fordern, sondern in vielen strukturellen Problemen des deutschen Gesundheitssystems. Aufgabe der Ärzteschaft ist es, den Wert unserer Arbeit besser gegenüber den Patienten, den Kostenträgern und der Politik zu kommunizieren und aktiv Prozesse mitzugestalten.“
Was bleibt: Das immergleiche Drama um die Kommunikationsform/-art in den sozialen Medien scheint auch in diesem Thread zugeschlagen zu haben. Neben einer vermutlich anderen Priorisierung und Auffassung in Sachen Arbeitskampf scheinen sich aber zumindest hier alle Seiten einig, dass das Ziel eine auskömmliche und gute Versorgung bei fairen Arbeitsbedingungen sein muss.Bildquelle: Joshua Earle, Unsplash