TEIL 1 | Deutsche Kliniken kämpfen seit Jahren gegen Pleiten, so auch das Kieler Uniklinikum mit 1,2 Milliarden Euro Schulden. Wie dieses und andere Häuser vom Steuerzahler aufgefangen werden – und warum der Bundeskanzler hier persönlich involviert ist.
Die Panik vor einem Kliniksterben ist hierzulande so verbreitet wie der Teufel der Privatisierung verhasst ist. Wer den Angstpatienten Deutschland heilen will, muss wissen, wie es dazu kam. Licht ins Dunkel bringt ein Blick in die ersten statistischen Erhebungen nach der Wiedervereinigung. Sie zeigen: Sowohl die Betten- und Krankenhauszahl als auch die Verteilung der Trägerschaften war eine andere. Und auch: Schließungen hat es seitdem immer wieder gegeben.
Entwicklung der Klinikträgerschaften seit 1992. Credit: Sozialpolitik-aktuell.de
Während die ersten Wellen an Schließungen nach geplanter Flurbereinigung aussahen, befindet man sich derzeit in einem unkontrollierten Kliniksterben. Rote Zahlen – so weit man in Richtung öffentlicher Trägerschaften blickt. Da es ohne Versorgung aber nicht geht, ist nun die Zeit, dass die Politik die Geldbörse zückt. Besser gesagt: Die Steuerzahler das Staatsversagen der letzten Jahre auffangen. Immerhin kommen die Länder ihren Investitionsaufgaben seit 2014 nicht mehr nach. Laut der Arbeitsgruppe der obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) floss weniger als die Hälfte der gesetzlich vorgesehen Gelder in die Klinken. Auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung stellte den Ländern ein mangelhaftes Zeugnis aus – so habe sich laut Wirtschaftswissenschaftlern in den vergangenen acht Jahren eine Deckungslücke von 15,2 Milliarden Euro aufgetan.
Zum Vergleich: Der gesamte Haushalt des BMG weist in diesem Jahr rund 16,7 Milliarden Euro auf. Eine Momentaufnahme? Mit Blick auf die Entwicklung der Ausgaben erkennt man einen traurigen Trend: Investitionen der Länder in die Kliniken sind nach einem zu vernachlässigenden Zwischenhoch seit 1991 (3,64 Milliarden Euro) kontinuierlich gesunken und man steht heute etwa auf dem Stand (3,285 Milliarden Euro in 2021) des Wendejahres. Gleichzeitig liegt der Bedarf laut DKG bei 6,7 Milliarden Euro.
Entwicklung der klinischen Kosten und Investitiosnmittel seit 1991. Credit: Das-Parlament.de
Doch das Lied ist an diesem Punkt noch nicht zu Ende – den Refrain zu den immer wieder eintrudelnden Rechnungen, Insolvenzen und Defiziten singen die Städte, Kreise und Gemeinden – obwohl dies nicht zu ihrem gesetzlichen Auftrag gehört. So stemmen die niedersächsischen Kreise und Städte beispielsweise zusätzliche 586 Millionen Euro. In NRW blechen die Kreise 168 Mio. Euro on top (2021 waren es noch 54 Mio. Euro). Dazu kommen die darin nicht enthaltenen Zusatzschulden der Städte. Spitzenreiter ist hier die Stadt Köln, die für 2023 noch einen Liquiditätsbedarf von 161,6 Mio. Euro ausgab.
Zu den Kliniken der Stadt Köln, deren 100%ige Gesellschafterin die Stadt Köln ist, gehören die Krankenhäuser Holweide und Merheim sowie das Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße. Die chronisch klammen Kliniken fahren seit 13 Jahren hohe Defizite ein – auch wenn eine Sprecherin vor DocCheck von einem erfreulichen Anstieg der Fallzahlen im zweistelligen Prozentbereich sprach, liegt das Minus für 2024 bereits bei 114,24 Mio. Euro. Abgesehen von dem zwingend notwendigen Bedarf, der fast komplett auf den Schultern der Steuerzahler abgeladen wird (131,6 von 161,6 Mio. Euro), hat die Stadt in den letzten Jahren ohnehin bereits Darlehen in Höhe von 400 Mio. Euro ausgezahlt. Ginge es nach den Klinik-Chefs, bräuchte man zudem weitere 590 Mio. Euro für Investitionen und Konzentration auf einen neuen Gesundheitscampus. Dazu kämen 290 Mio. Euro für die Betriebssicherung bis zur Fertigstellung des Baus. Erst 2031 wäre man nur noch bei einem Minus von 2,5 Mio. Euro. Mit diesem Geld könnten die Kölner ihre geliebte Doppelturm-Kirche übrigens rund 68 Jahre in Betrieb halten, renovieren und restaurieren.
Worauf die Kliniken neben den Landesinvestitionen bauen, erklärt eine Sprecherin: „Wir hoffen auf eine ausreichende Refinanzierung und finanzielle Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, heute noch stationäre Leistungen zukünftig ambulant am Krankenhaus zu erbringen. Wir brauchen eine Finanzierungsreform, die tatsächlich dazu führt, dass wesentliche Strukturen, wie zum Beispiel die Notfallversorgung, fallzahlunabhängig finanziert werden. Und wir brauchen eine konsequente Entbürokratisierung und Deregulierung, damit wir unsere wertvollen Fachkräfte in der Patientenversorgung statt am Schreibtisch einsetzen können.“ Laut Stadt will man die Versorgungssituation so lange wie möglich in kommunaler Hand wissen – statt ein Wettbieten zu eröffnen und dem größten Investor die Versorgung der Bevölkerung zu überlassen. Als Idee steht weiterhin ein Verbund mit der in Landeshand befindlichen Uniklinik der Stadt. Diese war nach drei mageren Jahren zuletzt wieder mit einem Bilanzplus auf der Spur. Was das alles genau an Steuergeldern kosten würde und welche Gründe dahinterliegen, wollte man auf DocCheck-Anfrage hin nicht mitteilen.
Ein noch größeres Kaliber in Sachen Steuerzahlerunterstützung kommt aus Schleswig-Holstein. Die gute Nachricht zuerst: Die Kölner sind nicht allein in Sachen hoffnungsloser Verschuldung und abwälzen der Kosten auf die kleinen Leute. Das 2003 aus dem Boden gestampfte Prestigeprojekt Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) ist nahezu seit Grundsteinlegung ein finanzielles Minusgeschäft. Betrugen die Bankschulden 2005 noch 35 Mio. Euro, sind es heute 1.243 Mio. Euro. Die unter „sonstige Verbindlichkeiten“ verbuchten 193 Mio. Euro scheinen da fast schon Peanuts zu sein. Hinzu kommen 53 Mio. Euro an Zinsen, die jährlich abgetreten werden müssen. Nachdem man dem Klinikum bereits 2019 mit einem vielgefeierten Zukunftspakt 340 Mio. Euro erlassen hatte und weitere 723 Mio. Euro an (zusätzlichen) Investitionsmitteln versprach, sollen es nun erneut 600 Mio. Euro sein – und der Kreditrahmen so auf 2,2 Mrd. Euro erhöht werden. Parallel dazu kommt der Landesrechnungshof zu einem weiteren Bedarf für Sanierung, Betrieb und Instandhaltung in Höhe von 3,7 Milliarden Euro bis 2044. Es klingt nahezu ironisch, wenn Christopher Vogt von der FDP im Landtag den Zukunftspakt seinerzeit als Zeichen und „guten Tag für die Steuerzahler“ beschrieb.
Wie man in Kiel aus der Schuldenspirale wieder herauskommen will? Eine Sprecherin des Klinikums bestätigt gegenüber DocCheck, dass „die Ergebnissituation sich im Vergleich zum Vorjahr nicht verbessert [habe], allerdings seien die Fallzahlen gestiegen.“ So wolle man aus eigener Kraft die Refinanzierung der Investitionskosten erreichen und die laufenden Kosten des Vertragswerkes bis 2044 aus den Expansions- und Finanzierungspotenzialen stemmen.
Bei einem Preis von 300.000 Euro für einen ganzen RTW wären das 11.333 Rettungswagen oder bei 950.000 Euro für ein MRT-Gerät rund 3.580 Tomographen. Warum die Politik mit aller Kraft am Erhalt des Hauses hängt? Neben dem prestigeträchtigen Zusammenschluss seiner Zeit, wird das Haus heute von Jens Scholz geleitet. Dessen prominenter Bruder sitzt derweil in Berlin und leitet die Geschicke unseres Landes.
Bildquelle: Erstellt mit Midjourney.