Die FDA hat jetzt eine Alternative zu Antipsychotika bei der Behandlung von Schizophrenie zugelassen. Das Besondere: Weniger Nebenwirkungen. Experten sprechen von einem Durchbruch – was ist dran?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Die FDA hat das neue Medikament Cobenfy™ zur Behandlung von Schizophrenie zugelassen. Laut der Pressemitteilung zur Zulassung handelt es sich um den ersten neuen Ansatz zur Behandlung von Schizophrenie seit Jahrzehnten. Die Zulassung biete eine neue Alternative zu den antipsychotischen Medikamenten, die Menschen mit Schizophrenie bisher verschrieben wurden, so der FDA-Pressesprecher.
Die medikamentöse Therapie der Schizophrenie beruht bisher vor allem auf der Blockade von Dopaminrezeptoren im zentralen Nervensystem. Medikamente wie Olanzapin und Risperidon überwinden die Blut-Hirn-Schranke und binden an Dopaminrezeptoren in verschiedenen Bereichen des Gehirns. Dadurch können verschiedene Symptome der Schizophrenie behandelt werden. Vor allem die Positivsymptome der Schizophrenie wie Wahnvorstellungen und Halluzinationen können so bei den meisten Betroffenen gut kontrolliert werden. Problematisch ist jedoch die Behandlung der Negativsymptome wie Antriebsminderung und Affektverflachung, bei denen die meisten Antipsychotika nicht gut helfen.
Ein weiteres Problem sind die Nebenwirkungen der Dopaminantagonisten. Durch eine Blockade der Dopaminrezeptoren im Striatum kann es zu parkinsonähnlichen Bewegungsstörungen kommen. Die sogenannten atypischen Antipsychotika sind in ihrer Dopaminblockade selektiver – sie binden nicht so stark im Striatum, daher treten motorische Nebenwirkungen seltener auf. Aber nicht nur die motorischen Nebenwirkungen führen häufig zu einer geringen Adhärenz der Patienten, auch eine Gewichtszunahme tritt bei vielen atypischen Antipsychotika auf und führt häufig zum Therapieabbruch. Neue Wirkmechanismen sind daher dringend erforderlich.
Mit der Neuzulassung von Cobenfy™ steht nun der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffgruppe zur Verfügung. Hinter dem Markennamen verbirgt sich eine Wirkstoffkombination aus dem Muskarinrezeptor-Agonisten Xanomelin und dem Muskarinrezeptor-Antagonisten Trospiumchlorid. Trospiumchlorid wurde hinzugefügt, um die Wirkung von Xanomelin außerhalb des zentralen Nervensystems aufzuheben. Xanomelin wirkt nämlich auf Muskarinrezeptoren im ganzen Körper. Dies führt zu einer Überaktivität im Magen-Darm-Trakt und damit unter anderem zu Durchfall. Trospiumchlorid verhindert diese Nebenwirkungen in der Peripherie, überwindet aber selbst nicht die Blut-Hirn-Schranke, so dass Xanomelin im Gehirn ungehindert wirken kann.
Indirekt kommt es auch bei Cobenfy™ zu einer Beeinflussung des Dopaminstoffwechsels. Durch die Aktivierung von Muskarinrezeptoren wird unter anderem die Freisetzung von Dopamin gehemmt. Es werden aber auch andere Signalwege beeinflusst, die unter anderem für die kognitive und emotionale Verarbeitung verantwortlich sind. Damit hat das Mittel einen breiteren Wirkansatz als herkömmliche Antipsychotika. Entsprechend positiv fallen die ersten Kommentare aus der Fachwelt aus. Prof. Hasan, Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Klinik der Universität Augsburg, sagt gegenüber dem Science Media Center: „Ich schätze das Potenzial als extrem hoch ein, da wir erstmals seit mehreren Jahrzehnten einen wirklichen Durchbruch in der Pharmakotherapie der Schizophrenie haben.“
In den beiden Zulassungsstudien EMERGENT-2 und EMERGENT-3 trug Cobenfy™ noch den sperrigen Namen KarXT. Jeweils rund 250 Patienten wurden eingeschlossen und 1:1 mit KarXT oder Placebo behandelt. Nach 5 Wochen wurde der Effekt beurteilt. Als primärer Endpunkt wurde die Verbesserung auf der PANSS-Skala untersucht. Auf der PANSS-Skala (Positive and Negative Syndrome Scale) werden sowohl die positiven als auch die negativen Symptome der Studienteilnehmer bewertet, um einen Gesamteindruck der Symptomatik auf einer Skala zu erhalten. In beiden Studien verbesserten sich die Symptome der mit KarXT behandelten Studienteilnehmer signifikant stärker als unter Placebo. Der PANSS verbesserte sich unter KarXT um durchschnittlich 20 Punkte, unter Placebo um 10 Punkte.
Menschen mit Schizophrenie, die mit dem neuen Medikament behandelt wurden, erfuhren also eine signifikante Verbesserung im Vergleich zu Placebo. Doch was bedeutet ein Unterschied von 10 Punkten auf der PANSS-Skala? Auf der Skala können Werte zwischen 30 (keine Symptome) und 210 (maximale Symptomausprägung in allen Bereichen) erreicht werden. Die Studienteilnehmer hatten zu Beginn einen durchschnittlichen PANSS-Wert von ca. 90. Nach 5 Wochen hatten die mit KarXT behandelten Studienteilnehmer einen durchschnittlichen PANSS-Wert von ca. 70, die mit Placebo behandelten von ca. 80. Das sieht auf den ersten Blick nicht nach einer neuen Wunderwaffe gegen Schizophrenie aus.
Und bei aller Freude über den neuen Wirkmechanismus muss klar sein: Die Wirkstärke von KarXT/Cobenfy™ nach 5 Wochen ist eher gering und bleibt zum Teil deutlich hinter der Wirkstärke etablierter Antipsychotika zurück. Zudem ist die Beobachtungszeit von fünf Wochen sehr kurz, sodass längere Studien notwendig sind, um wirklich zu verstehen, wie Patienten mit dem neuen Medikament geholfen werden kann. Schließlich ist Schizophrenie eine chronische Erkrankung, die die meisten Betroffenen ihr Leben lang begleitet.
Die eigentliche Innovation des neuen Medikaments liegt jedoch in seiner Verträglichkeit. Die bei Antipsychotika üblichen Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme und motorische Einschränkungen wurden nicht beobachtet. Stattdessen traten vor allem gastrointestinale Nebenwirkungen auf, die zudem meist nach ein bis zwei Wochen Behandlungsdauer abklangen. Damit könnte das neue Medikament eine gute Option für Patienten sein, die die etablierten Antipsychotika nicht vertragen.
Ein zweiter Vorteil, der allerdings erst noch bestätigt werden muss, ist die Wirkung auf die Negativsymptome. In einer Post-hoc-Analyse der Studien konnte ein signifikanter Effekt auf Negativsymptome wie Antriebsminderung und Affektverflachung gezeigt werden. Sollte sich dies in weiteren Studien bestätigen, wäre dies ein echter Durchbruch in der Schizophrenie-Therapie, da die Negativsymptome bisher sehr schwer zu behandeln sind, für die Betroffenen aber oft große Einschränkungen bedeuten.
Die FDA-Zulassung gibt dem Hersteller Bristol Myers Squibb Rückenwind. Es ist daher zu erwarten, dass auch in Europa ein Zulassungsantrag bei der EMA gestellt wird. Allerdings ist nicht gesagt, dass die EMA genauso entscheiden wird wie die FDA. In der Vergangenheit kam die EMA schon häufiger zu einer anderen Risiko-Nutzen-Bewertung als die FDA, zum Beispiel beim Alzheimer-Medikament Lecanemab (DocCheck berichtete).
Auch wenn der große Durchbruch noch aussteht, lässt die Entwicklung hoffen, dass weitere Medikamente mit ähnlichem Wirkmechanismus folgen werden, um die Behandlung von Menschen mit Schizophrenie in Zukunft zu verbessern.
Endlich mal was Neues: Die FDA hat erstmals seit 40 Jahren ein Schizophrenie-Medikament mit neuem Wirkmechanismus zugelassen – Cobenfy™. Experten sprechen von einem Durchbruch.
Wirkmechanismus: Cobenfy™ kombiniert den Muskarinrezeptor-Agonisten Xanomelin mit dem Muskarinrezeptor-Antagonisten Trospiumchlorid, was eine breitere Wirkung bietet. Es zeigt im Vergleich zu herkömmlichen Antipsychotika weniger Gewichtszunahme und motorische Probleme.
Was sagt die EMA? Die FDA-Zulassung macht einen Zulassungsantrag in Europa wahrscheinlich. Allerdings könnte die EMA anders entscheiden, wie schon bei früheren Fällen. Trotzdem weckt die Entwicklung Hoffnung auf weitere ähnliche Medikamente zur Verbesserung der Schizophrenie-Behandlung.
Quellen:
Kaul et al.: Efficacy and safety of the muscarinic receptor agonist KarXT (xanomeline-trospium) in schizophrenia (EMERGENT-2) in the USA: results from a randomised, double-blind, placebo-controlled, flexible-dose phase 3 trial. Lancet, 2024. doi: 10.1016/S0140-6736(23)02190-6
Kaul et al.; Efficacy and Safety of Xanomeline-Trospium Chloride in Schizophrenia: A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry, 2024. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2024.2002
Horan et al.: Efficacy of KarXT on negative symptoms in acute schizophrenia: A post hoc analysis of pooled data from 3 trials. Schizophr Res, 2024. doi: 10.1016/j.schres.2024.08.001
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