Der Oktober steht im Zeichen der Leberkrebs-Awareness – eine wichtige Gelegenheit, um auf die besonderen Herausforderungen dieser Erkrankung aufmerksam zu machen. Leberkrebs, insbesondere das hepatozelluläre Karzinom (HCC), gehört zu den gefährlichsten Krebsarten und zeichnet sich durch eine hohe Mortalitätsrate aus. Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, da sie die Therapieoptionen, wie moderne Immuntherapien, und die Prognose der Patient:innen maßgeblich beeinflusst. In diesem Jahr gibt es spannende neue Daten, die Licht auf die Risikofaktoren und die Überwachung von gefährdeten Personengruppen werfen.
Eine wegweisende Analyse der AG Versorgungsforschung des LMU Klinikums, geleitet von PD Dr. Karin Berger-Thürmel, bietet erstmals eine umfassende epidemiologische Betrachtung der Risikofaktoren für HCC in Deutschland auf Basis von Krankenkassendaten. Die praxisrelevanten Auswirkungen der Analyse fasst Fr. Dr. Berger-Thürmel so zusammen:
„Unsere Analyse der BARMER-Krankenkassendaten zeigt, dass im Bereich der Leberkrebsfrüherkennung Optimierungsbedarf besteht. Für 46% der Patient:innen wurde keine tumorspezifische Therapie dokumentiert, da die Erkrankung möglicherweise bei Diagnose bereits zu weit fortgeschritten war.“
Eine erste Auswertung der Daten im Hinblick auf Risikofaktoren wurde bereits auf dem ESMO GI 2024 in München vorgestellt.1 Untersucht wurden dabei die Charakteristika und Risikofaktoren von Versicherten in den zehn Jahren vor ihrer HCC-Diagnose. Die Untersuchung bestätigt nun erstmals auch für Deutschland einen Trend, der international schon länger zu beobachten ist: In westlichen Ländern verschiebt sich die HCC-Ätiologie von viral zu metabolisch bedingt.2Die laut den aktuellen Daten häufigsten Risikofaktoren waren Diabetes (76 %), Fettleibigkeit (56 %), Leberfibrose oder -zirrhose (44 %) und Alkoholmissbrauch (36 %).1 Dabei treten metabolische und verhaltensbedingte Risikofaktoren bei Männern 10-70 % häufiger auf als bei Frauen. 1 Metabolische Ursachen spielen deshalb eine zunehmend wichtigere Rolle bei der HCC-Entstehung.
Was lässt sich daraus ableiten? Prof. Dr. med. W. P. Hofman, Sprecher der Fachgruppe Hepatologie des Berufsverbands Niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands e.V. (bng) und an der Analyse beteiligt, fasst es so zusammen:
„Die HCC-Früherkennung in Deutschland hat noch hohes Verbesserungspotenzial. Durch die Verschiebung der Risikofaktoren hin zu metabolischen Faktoren sollten neue Arztgruppen (z. B. Diabetolog:innen) mit in die Surveillance eingebunden werden.”
Ein weiteres Thema der Analyse ist die Überwachung (Surveillance) von Risikopatient:innen. Eine Analyse zu diesem Thema wurde von Selina Becht, wissenschaftliche Mitarbeiterin der AG Versorgungsforschung, im Rahmen des 23. DKVF vorgestellt, der Ende September 2024 in Potsdam stattfand.3 Die S3-Leitlinie empfiehlt zur Früherkennung bei Risikopatient:innen eine Ultraschalluntersuchung alle sechs Monate, diese kann gegebenenfalls durch eine Bestimmung des Alpha-Fetoproteins (AFP) ergänzt werden.4 Doch die Daten zeigen, dass nur 4 % der Patient:innen während 6 bis 10 Jahren des 10-jährigen Beobachtungszeitraums eine leitliniengerechte Ultraschalluntersuchung erhalten haben und lediglich 2 % eine entsprechende AFP-Messung. 3Diese Zahlen sind jedoch Krankenkassendaten, d. h. sie enthalten nur Informationen zur Durchführung von Ultraschall/AFP-Bestimmung im Rahmen der vertragsärztlichen Leistungen in der Niederlassung (GOP-Ziffer). Weil keine Daten zu den durchgeführten Ultraschall/AFP-Prozeduren in z.B. Hochschulambulanzen vorliegen, kann aus diesen Ergebnissen nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Patient:innen unter Risiko ungenügend mit Vorsorgemaßnahmen versorgt werden.Diese niedrigen Zahlen der Krankenkassendaten legen jedoch zwei Interpretationen nahe. Zum einen könnte eine unzureichende Identifizierung von Patient:innen mit chronischer Lebererkrankung vorliegen. Andererseits kann auch eine unzureichende Bekanntheit der Leitlinienempfehlungen dafür verantwortlich sein.
Wie kann man diese Erkenntnis in den ärztlichen Alltag einfließen lassen? Dr. med. Peter Buggisch, ebenfalls Sprecher der Fachgruppe Hepatologie des Berufsverbands Niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands e.V. (bng) und an der Analyse beteiligt, fasst dies prägnant zusammen:
„Eine flächendeckende HCC-Früherkennung durch Ultraschall allein ist nicht machbar. Gute serologische Tests würden die HCC-Früherkennung in Zukunft sehr verbessern.“
Damit spiegelt er ebenfalls den Konsens der HCC-Leitlinie wider:
„Die Früherkennung des HCC mit alleiniger Sonographie ist unbefriedigend. Obwohl in den EASL- und AASLD-Leitlinien keine AFP-Bestimmung empfohlen wird, zeigte eine Metaanalyse, dass die Sensitivität der Früherkennung durch eine zusätzliche AFP-Bestimmung erhöht wird.“4
Der GAAD-Algorithmus, der Ende 2023 in einer prospektiven Studie vorgestellt wurde, bietet eine vielversprechende Unterstützung für die Früherkennung des HCC.5 In einer Fall-Kontrollstudie konnte der GAAD-Algorithmus bei Patient:innen mit chronischer Lebererkrankung ein HCC im Frühstadium mit einer Sensitivität von 70,1% und einer Spezifität von 93,7% zuverlässig nachweisen.5 Dies könnte eine wertvolle Ergänzung zu den bisherigen Überwachungsmaßnahmen darstellen.
Weitere Informationen dazu finden Sie auf der Website des GAAD-Algorithmus.
Die bisher präsentierten Daten unterstreichen die dringende Notwendigkeit, das Bewusstsein für Leberkrebs zu schärfen und die Surveillance-Maßnahmen zu optimieren. Die frühzeitige Erkennung von HCC ist dabei eine grundlegende Voraussetzung. Innovative Ansätze wie der GAAD-Algorithmus können dazu integriert und alternative Gesundheitsmodelle, einschließlich digitaler Werkzeuge, evaluiert werden, um die Früherkennung und Überwachung auf ein neues Niveau zu heben. Denn „die Häufigkeit von dokumentierten metabolischen Risikofaktoren vor einer HCC-Diagnose ist alarmierend. Insbesondere bei diesen Patient:innengruppen sollten Früherkennungsmaßnahmen verstärkt diskutiert werden“, so Dr. Karin Berger-Thürmel.
Der Leberkrebs-Awareness-Monat bietet eine ideale Gelegenheit, diese Themen in den Fokus zu rücken und die medizinische Gemeinschaft zu motivieren, gemeinsam an besseren Lösungen für die Versorgung von Risikopatient:innen zu arbeiten.
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M-DE-00023606