Nachdem der Druck zu groß wurde, zog US-Präsident Joe Biden seine erneute Kandidatur für die Wahl im November zurück. Aber auch an Trumps Gesundheit wird gezweifelt – kann er das Land führen? Das sagen unsere Experten.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Letztes Wochenende ist die Bombe geplatzt: Joe Biden trat als Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten zurück und überließ das Zepter der amtierenden Vizepräsidentin Kamala Harris. Der Druck wurde nach seinem Auftritt im TV-Duell gegen Donald Trump zu groß, die Kritik an seiner geistigen Fitness zu laut. Auch wir hatten bei Experten nachgehorcht, wie sie Joe Bidens geistigen Zustand einschätzen würden (hier zu lesen). Nun drehen wir den Spieß um: Was sagen die Fachleute über den sich weiter im Rennen befindenden Donald Trump?
„Trump ist nur knapp 4 Jahre jünger als der amtierende Präsident. Auch hier ist es natürlich auf Entfernung nur möglich, in den vorhandenen Videos nach Hinweisen auf neurologische oder andere Erkrankungen zu suchen“, sagt Neurologe Dr. Johannes Heinemann. „Beim Gangbild gibt es bei Trump weniger Auffälligkeiten als bei Biden. Der Ex-Präsident hat eine unauffällige Schrittlänge und das Gehtempo erscheint altersentsprechend adäquat, er bewegt die Arme beim Gehen mit, es besteht keine offensichtliche Minderbeweglichkeit. Allerdings gibt es Aufnahmen, auf denen Trump eine Schräge hinuntergeht, dabei unsicher wirkt und sich an einem Geländer festhalten muss.“ Dies könne ein möglicher Hinweis auf eine leichte Polyneuropathie sein, bei der die Propriozeption – also die unbewusste Wahrnehmung der Lage von Muskeln, Bändern und Gelenken – gestört ist. „Das führt vor allem beim Gehen auf unebenem Untergrund zu Problemen“, so der Neurologe.
Natürlich würden auch hier die gleichen Einschränkungen gelten: Ohne strukturierte Untersuchungen und allein auf Basis von Videomaterial, das nicht zum Zweck einer medizinischen Untersuchung erstellt wurde, sei es nicht möglich, sichere Diagnosen zu stellen.
Donald Trump ist kampfeslustig. Credit: erstellt mit Midjourney
Der angehende Neurologe Pascal Rappart steht eher Trumps geistigen Fähigkeiten kritisch gegenüber: „Vergleicht man Trumps aktuelle Reden mit denen aus dem Wahlkampf von 2020, fällt unweigerlich auf, dass etwaige Versprecher, Redepausen und vermeintlich sinnloses Gefasel deutlich zunehmen. Meiner Meinung nach liegt das an mehreren Faktoren: Zum einen muss man bei Trumps Alter von 78 Jahren an einen natürlichen kognitiven Abbauprozess denken, zum anderen ist das Ausgangsniveau seiner geistigen Leistungsfähigkeit im unteren Bereich der Gauß’schen Normalverteilung angesiedelt. Das hat er durch diverse Äußerungen (und Tweets) über die vergangenen Jahre hinweg immer wieder – wenn auch unfreiwillig – selbst bestätigt. Dass er offensichtlich an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet, steht nochmal auf einem ganz anderen Blatt.“
Wir haben auch beim Präsidenten der Deutschen Hirnstiftung nachgefragt; Prof. Frank Erbguth ist Neurologe, Psychiater und Psychologe und hat ebenfalls eine eindeutige Meinung zu Trump und seinem geistigen Gesundheitszustand: „Die Reaktion von Donald Trump, als er sich [beim kürzlich auf ihn verübten Attentat; Anm. d. Redaktion] wenige Sekunden nach dem Streifschuss mit Hilfe der Bodyguards wieder aufrichtete, die vorgereckte Faust ballte, mehrmals „fight“ rief – und damit ein ikonisches Fotomotiv abgab – passt zu seiner Persönlichkeit.“ Trump handele intuitiv, instinkthaft und impulsgesteuert. So mutig, wie er sich präsentiert habe, sei er aber nicht: „Allerdings hatte er wohl schon die Info, dass die Luft rein sei.“
Die Entscheidungspsychologie kenne im Wesentlichen zwei entgegengesetzte Reaktionsmuster, so Erbguth. „Im ersten Modus reagiert man intuitiv, spontan, schnell – umgangssprachlich auch als ‚Bauchgefühl‘ bezeichnet. Ein solcher Krisen-Entscheidungsmodus war evolutionär wichtig: Der Steinzeitmensch konnte im Angesicht eines Raubtiers nicht lange fackeln und musste entweder schnell fliehen oder angreifen.“ Der zweite Modus sei reflektierend und abwägend und benötige daher länger. „Die Menschen haben beide Modi in sich – aber in Abhängigkeit von der Persönlichkeit unterschiedlich verteilt.“
Menschen mit eher zurückhaltendem Charakter würden eher defensiv reagieren und sich weg ducken, bis die Gefahr vorüber sei. Donald Trump sei bisher aber nicht durch reflektiert-abwägendes Verhalten aufgefallen, selbst dort wo man es sich wünschen würde – nämlich bei politischen Entscheidungen. „Und die gereckte Faust gehört ja schon seit längerem zu seinem Verhaltensrepertoire.“
„Das jeweilige Krisen-Notfallprogramm im Gehirn ist netzwerkartig organisiert; es läuft als Reaktionsmuster unterhalb des Radars des abwägenden Bewusstseins“, erklärt Erbguth. Dazu gehören das entwicklungsgeschichtlich alte limbische System und ein Netzwerk aus unterschiedlichen Schaltstrukturen im Frontal-, Parietal- und Temporallappen. Etwa die Amygdala und das periaquäduktale Grau. Auch gebe es einen Schaltkanal zu den Bewegungszentren in den Basalganglien. Der präfrontale Kortex als bewusstes ‚Abwägezentrum‘ trete zurück.
„Nun scheinen bei Donald Trump die Frontalhirnfunktionen generell wenig aktiv zu sein: Er agiert unmoralisch, distanzlos, gewaltbereit und lügt. Bei dem ikonischen Bild sehen wir jetzt eine Seite der Medaille der Trump’schen Persönlichkeit, die seine Anhänger glorifizieren. Die andere ist seine Hemmungslosigkeit an anderer Stelle.“ Er ergänzt: „Die religiöse Umdeutung des Attentats auf Trump als göttliche Fügung – eine Woche vor dem 80sten Jahrestag des Anschlags auf Adolf Hitler – macht mich betroffen angesichts dieser Parallelen.“
„Trumps Auftreten und Verhalten – sowohl während als auch nach seiner Amtszeit – liefern ausdrücklich klare Beweise für eine dysfunktionale, psychomentale Grundverfassung“, sagt auch der psychologische Psychotherapeut Dr. Ahmed El-Kordi. Auch über die narzisstischen Aspekte seiner Persönlichkeit sei bereits sehr oft berichtet worden. Viel mehr Sorgen bereiten El-Kordi aber die Gerichtsprozesse und die strafrechtlich-relevanten Beschuldigungen von Trump. „Aus forensisch-psychologischer Sicht erkennt man auf den ersten – oder vielleicht auch zweiten Blick – die Kriterien für die Diagnose Dissoziale Persönlichkeitsstörung“.
„Auch bei Trump bleibt der größte Risikofaktor für die Entwicklung kognitiver Einschränkungen: das fortgeschrittene Alter“, so Heinemann. Bei ihm besteht ebenfalls ein relevantes Risiko, dass während einer möglichen weiteren Amtszeit eine neurologische Erkrankung, wie z. B. eine Demenz oder auch ein Schlaganfall auftritt, „einfach aufgrund der Tatsache, dass deren Häufigkeit mit zunehmendem Alter rapide ansteigt. Auch bestehen weitere Risikofaktoren für neurologische Erkrankungen wie Übergewicht und Schlafmangel – er selbst berichtet stolz, dass er nur ca. 5 Stunden pro Nacht schläft.“
Auch wenn es zum jetzigen Zeitpunkt keine konkreten Hinweise auf eine neurologische Erkrankung gäbe, sei damit noch lange nicht gesagt, dass er eine volle Amtszeit gesund überstehen würde. „Für eine genauere Einschätzung wäre es hilfreich, wenn medizinische Befunde öffentlich zugänglich gemacht würden. Dies war bei früheren Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten üblich. Allerdings sind die Teams von Biden und Trump mit solchen Veröffentlichungen sehr zurückhaltend. Man könnte in beiden Fällen spekulieren, dass die Informationen aus gutem Grund geheim gehalten werden.“ Auch Rappart schließt sich dem an: „Solange kein Journalist ein Interview mit Trump für einen Mini-Mental- oder MoCA- (Montreal Cognitive Assessment) Test nutzt, bekommen wir dahingehend keine guten objektiven Informationen.“
Wie auch bei Biden bleibt es hier also bei Spekulationen. Dass Trumps Verhalten nicht gerade gesund und unauffällig ist, da sind sich die Experten einig. Bleibt abzuwarten, ob sich das auch auf die Wahlergebnisse im November auswirkt.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney