Seit Jahren fasziniert Donald Trump Psychologen. Die meisten sind sich einig: Er ist Narzisst. Doch es gibt noch eine andere mögliche Diagnose, die ich für viel gefährlicher halte.
Bereits bei meinem letzten Kommentar zum Gesundheitszustand vom noch amtierenden US-Präsidenten Joe Biden wurde eingangs vor Ferndiagnosen gewarnt. Das möchte ich hiermit auch an dieser Stelle tun, auch wenn einige Kolleginnen und Kollegen – vielleicht auch aus anderen Fachrichtungen – diese Warnung oder Vorsicht nicht für geeignet halten. Man sehe in den Medienauftritten von Biden, wie er sich psychomental verändert habe und wie „fahrig“ er geworden sei, im Vergleich zu Beginn seiner Amtszeit.
Diese Vorsicht und berechtigte Warnung vor Ferndiagnosen trifft den konkurrierenden Präsidentschaftskandidaten und früheren Präsidenten der USA nicht mit der gleichen Vehemenz. Im Gegenteil, da sind unsere amerikanischen Fachkolleginnen und -kollegen viel „weiter“ als wir hier in Deutschland. Sie sparen nicht mit besorgniserregenden Diagnosen. Selbst namhafte Wissenschaftlicher, wie Dr. Philip Zimbardo, sprechen bereits 2017 über die narzisstische Akzentuierung bzw. Störung bei Trump. Sehr passend finde ich hier die Aussage:
"Psychische Krankheiten müssen nicht professionell diagnostiziert werden. Wir müssen uns nicht von einem Arzt sagen lassen, dass der hustende und niesende Typ am anderen Ende des Waggons wahrscheinlich krank ist [...]. Wenn jemand zwanghaft lügt, sich ständig selbst widerspricht, um die Zustimmung der Menschen buhlt, obwohl er sie angreift, Menschen an einem Tag lobt und am nächsten Tag beschimpft und verleumdet, dann ist die Frage nach seinem Geisteszustand überflüssig. Am sichersten ist es, sich nicht nur von ihm fernzuhalten, sondern ihn von Situationen fernzuhalten, in denen er Schaden anrichten kann."
In der Tat, Trumps Auftreten und Verhalten – sowohl während als auch nach seiner Amtszeit – liefern ausdrücklich klare Beweise für eine dysfunktionale, psychomentale Grundverfassung. Über die narzisstischen Aspekte seiner Persönlichkeit wurde bereits sehr oft berichtet. Das Konzept des Narzissmus wird in den Medien eh stark inflationär genutzt. Allerdings benötigen markante Weltpersönlichkeiten wie Präsidenten und Schauspieler auch eine Prise Narzissmus, um auf der Weltbühne existieren zu können. Eine Diskussion über den gesunden und den pathologischen Narzissmus würde hier den Rahmen jedoch sprengen. Daher lasse ich lieber die Finger davon …
Viel eindrücklicher ist eher das, was sofort ins Auge springt: Die Gerichtsprozesse und die strafrechtlich-relevanten Beschuldigungen zum Nachteil Trumps. Ein historisches Ereignis! Trump ist der erste ehemalige US-Präsident, der strafrechtlich effektiv belangt wurde. So berichtete die Tagesschau am 31.05.2024: „Schuldig in allen 34 Anklagepunkten: Dieser Meinung waren die zwölf Geschworenen im Strafprozess gegen Ex-US-Präsident Donald Trump an einem New Yorker Gericht. Und zwar einstimmig.“
Aus forensisch-psychologischer Sicht erkennt man auf den ersten – oder vielleicht auch zweiten Blick – die Kriterien für die Diagnose Dissoziale Persönlichkeitsstörung nach ICD-10: F60.2.
Bei dieser Klassifikation (ICD-11 geht einen anderen Weg in der Definition von Persönlichkeitsstörungen, dabei sind Unterschiede in der Schweregradeinteilung relevant) sollen mind. 3 der o.g. Merkmale vorliegen, um die Diagnose stellten zu können. Dabei sollen die Grundkriterien für Persönlichkeitsstörungen generell vorliegen. Dies ist auch sehr eindrücklich bei Trump: Er zeigt ein durchgängiges Muster von pathologischen Verhaltensweisen, teils dissozial (Missachtung von Regeln, Normen, Gepflogenheiten), teils narzisstisch (Selbstwerterhöhung, Empathiemangel) in den Bereichen Kognition, Affektivität, Impulskontrolle und zwischenmenschlichem Verhalten. Insbesondere im letzten Bereich mehrten sich die Berichte während seiner gesamten Amtszeit über hohe Personalfluktuationen in seinem Stab und im Weißen Haus.
Trump – zumindest, wie er sich vor dem Attentat gezeigt hatte – will anecken. Es scheint, dass die Bad-Boy-Rolle fast strategisch eingesetzt wird, um Wählerstimmen zu bekommen. Er stellt jemanden dar, dem alles egal ist! Das verkörpert er. Und auch, dass Grenzen nicht für ihn gelten – denn er kann alles sprengen, selbst die Gesetzgebung und die Strafprozessordnung. Die impulsiven Durchbrüche eines US-Präsidenten, sei es aufgrund eines kognitiven Defektes im Sinne einer neurodegenerativen bzw. neurovaskulären Erkrankung, sei es aufgrund einer dissozialen Persönlichkeitsstörung oder auch aufgrund eines einfach schlechten Tages, beunruhigen nicht nur die von den Wahlergebnissen direkt betroffenen Amerikaner.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney