Beim Alpha-1-Antitrypsin Mangel handelt es sich um eine fehlerhafte Produktion des Proteaseinhibitors Alpha-1-Antitrypsin (AAT) in der Leber. Eine der Aufgaben von AAT ist, die körpereigene Protease in der Lunge zu hemmen und damit Entzündungsreaktionen in der Lunge zu verhindern. Bei einem AAT-Mangel (Alpha-1 Antitrypsin Defizienz, AATD) fehlt das Protein oder es liegen nur geringe Mengen vor.1
AATD ist in der Regel erblich bedingt und kann sowohl homozygot als auch heterozygot ausgeprägt sein. Die Menge des tatsächlich produzierten Alpha-1-Antitrypsins ist also u.a. abhängig von der genetischen Prädisposition und hat Einfluss auf die Schwere der Erkrankung. Ein schwerer AAT-Mangel kann zu chronischen Lungenerkrankungen wie chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) und einem Lungenemphysem führen. Menschen mit AATD können außerdem auch Lebererkrankungen entwickeln.2
Abbildung 1: Vererbung des Gendefekts der einen AATD auslöst4
AATD gilt als seltene Krankheit, ist aber mit einer Häufigkeit von 1:10.000 sogar eine der häufigsten genetischen Erkrankungen. Dennoch wird die Diagnose nur bei etwa 10 % der Betroffenen gestellt, oft erst nach 5-10 Jahren. In dieser Zeit werden Patient*innen bei mehreren Ärzt*innen vorstellig und auf Erkrankungen wie eine normale COPD und/oder ein Asthma bronchiale behandelt, da die Frühsymptome Dyspnoe und Obstruktion darauf hinweisen.3
Um die Diagnoseraten zu verbessern, empfiehlt die WHO, alle COPD-Patienti*nnen auf AATD zu untersuchen. Familienmitglieder betroffener Patientinnen sollten ebenfalls gescreent werden.5
Um diese Maßnahmen umzusetzen, ist es jedoch entscheidend, dass Ärzt*innen über die Existenz von AATD informiert werden. In Deutschland6 und europaweit7 besteht hier bisher noch eine Wissenslücke. Etwa ein Drittel aller befragten Ärzt*innen gab an, wenig bis nichts über die Erkrankung zu wissen.6 Daher ist es von großer Bedeutung, das Bewusstsein für dieses Thema zu erhöhen.
Abbildung 2: a) Geschätzte Anzahl der Jahre bis zur formellen Diagnose des Alpha-1-Antitrypsin-Mangels (AATD) ab dem ersten Auftreten von Symptomen; b) Hindernisse für die Diagnose von AATD in Europa.7
Zur Feststellung eines Alpha-1-Antitrypsin-Mangels wird zunächst der AAT-Spiegel im Blut gemessen. Liegt der gemessene Wert im normalen Bereich (ab 1,1 Gramm pro Liter), kann davon ausgegangen werden, dass kein klinisch relevanter Alpha-1-Antitrypsin-Mangel besteht.8
Wird ein niedriger Serumspiegel als 1,1 g/l festgestellt, sollte im Anschluss eine molekulargenetische Diagnostik durchgeführt werden, um den AATD auf genetischer Ebene zu bestätigen und die Therapie gegebenenfalls entsprechend anzupassen.8
Die Produktion von AAT kann in Folge von Infektionen erhöht sein und der AAT-Spiegel daher fälschlicherweise im Normalbereich liegen. Um eine Fehldiagnose zu verhindern, wird üblicherweise gleichzeitig ein Entzündungsparameter wie das C-reaktive Protein (CRP) gemessen. Liegt der CRP-Wert im Normalbereich, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Infektion ausgeschlossen werden.8
Die generelle Behandlung der AATD-Symptomatik orientiert sich an den Empfehlungen für eine COPD-Therapie. Um zusätzlich das Defizit an AAT auszugleichen, führen sowohl die S2K Leitlinien für COPD9 als auch der GOLD-Report 20245 die Möglichkeit einer AAT-Substitutionstherapie bzw. AAT-Augmentationstherapie auf.
Die Augmentationstherapie erfolgt mittels Injektionen mit aus menschlichem Plasma gewonnenem AAT. Für die intravenöse Augmentationstherapie sind vor allem Nichtraucher-Patient*innen mit einem FEV1pred von 35 % bis 60 % am besten geeignet. Neuere Studien legen aber nahe, dass auch bei Patient*innen, bei denen nach dem Aufgeben des Tabakkonsums eine schnelle Verschlechterung der Lungenfunktion mit einem FEV1 von mehr als 65 % des Sollwerts festgestellt wird, ebenfalls die Möglichkeit einer Augmentationstherapie in Betracht gezogen werden kann. Bei Patient*innen mit schwerem AATD und schwerer Funktionseinschränkung (FEV1pred < 30 % ) kann die Neueinstellung auf die Augmentationstherapie nicht generell empfohlen werden – über eine laufende Therapie wird im Einzelfall entschieden.9,5
Unabhängig von der Augmentationstherapie sollten alle Patient*innen mit Alpha-1-Antitrypsin Mangel strikt auf Nikotinkarenz hingewiesen werden. Eine Therapiestart bei Raucher*innen ist angesichts der Inaktivierung des Alpha-1-Protease-Inhibitors durch das Zigarettenrauchen nicht sinnvoll.9
Da AATD bisher als selten galt, wurden nur wenige klinische Studien zur Bewertung der Wirksamkeit dieser Therapie mit herkömmlichen spirometrischen Methoden durchgeführt. Die Belege für die Wirksamkeit der Augmentationstherapie variieren je nach dem untersuchten Ergebnis. Beobachtungsstudien deuten jedoch auf eine Verringerung der spirometrischen Progression bei behandelten im Vergleich zu unbehandelten Patient*innen hin. Neuere Studien haben zudem gezeigt, dass die Therapie das Lungengewebe besser vor emphysematösen Veränderungen schützt als ein Placebo. Die Augmentationstherapie wird jedoch durch hohe Kosten und die Tatsache, dass sie in anderen Ländern im Gegensatz zu Deutschland keine Zulassung erhalten hat, eingeschränkt.9,5
Sie möchten mehr wissen? Dann hören Sie gerne in die zwei Folgen im Podcast ATEMWEG zum Thema AATD! In diesem zweiteiligen Podcast können Sie sowohl eine AATD-Patientin als auch einen führenden Experten hören, die über die Erkrankung und die Schwierigkeiten bei der Diagnose sprechen. In der ersten Folge hören Sie Frau Dr. Heike Isensee, AATD-Patientin und die 1. Vorsitzende des Alpha-1-Deutschland e.V. In der zweiten Folge hören Sie die zwei Expert*innen Herr Dr. Alexander Rupp, niedergelassener Lungenfacharzt in Stuttgart, und Frau Prof. Dr. Franziska Trudzinski, Oberärztin in der Thoraxklinik Heidelberg.
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Bildquelle: KI-generiert