„Apotheke der Welt“, Nummer-1-Standort für Arzneimittel und medizinische Forschung – das war einmal. Das Medizinforschungsgesetz soll Deutschland wieder dahin zurückführen. Doch Ärzte und Kassen kritisieren es.
Führt man sich die Lieferengpassliste des Bundesinstituts für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) vor Augen, wundert es wenig, dass das Prädikat „Apotheke der Welt“ 120 Jahre alt ist. Mit dem aktuellen Medizinforschungsgesetz will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Deutschland nun wieder dorthin zurückführen. Im Rahmen einer großangelegten nationalen Pharmastrategie ist das Medizinforschungsgesetz bereits seit Mitte Dezember geplant. Damit „werden die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verbessert. Dies stärkt die Attraktivität des Standorts Deutschland im Bereich der medizinischen Forschung, beschleunigt den Zugang zu neuen Therapieoptionen für Patientinnen und Patienten und fördert Wachstum und Beschäftigung“, so der Wortlaut im Gesetzentwurf.
Ein elementares institutionelles Mittel, um Deutschland als Pharmastandort wieder an die Weltspitze zu führen, ist das BfArM, genauer dessen Kompetenzerweiterung. Die Grundlagenforschung sei sehr gut, aber es folgten daraus nur wenige Patente und wenig Produktion, so Lauterbach. „Hier spielt das Medizinforschungsgesetz im Rahmen der Pharmastrategie eine ganz zentrale Rolle. Das Beantragen von klinischen Studien wird zukünftig an einer Stelle möglich sein, beim BfArM. Der ganze Prozess wird deutlich beschleunigt und vereinfacht“, erklärt der Minister. Für ebenjene Kompetenzerweiterung erhält der Referentenentwurf nun jedoch Kritik.
Ein zentraler Punkt im Gesetz ist die Etablierung einer Ethik-Kommission auf Bundesebene. So soll eine gänzlich neu geschaffene Abteilung innerhalb des BfArM künftig ethische, daten- und strahlenschutzrechtliche Bewertungen von klinischen Studien durchführen. Das Kontra gegen das Vorhaben stützt sich dabei auf zwei Kritikpunkte. Laut Bundesärztekammer wäre insbesondere die gesetzlich vorgeschriebene Neutralität in Gefahr, da damit erstmals die ethische Bewertung von derselben Institution vorgenommen wird, die auch für die folgende Genehmigung von Arzneimittelstudien und die Zulassung neuer Arzneimittel zuständig ist. „Vor diesem Hintergrund kann man sich leicht vorstellen, wie schnell die verbriefte Unabhängigkeit einer solchen Bundesethik-Kommission ein reines Lippenbekenntnis darstellt. Eine bei der Genehmigungs- und Zulassungsbehörde BfArM angesiedelte Ethik-Kommission kann nicht unabhängig sein“, sagt Dr. Günther Matheis, Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz.
Unterstützung erhalten die Ärzte durch den Präsidenten der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Prof. Rolf-Detlef Treede: „Der konkrete Nutzen einer Bundes-Ethik-Kommission erschließt sich der AWMF nicht, da hieraus keine Verbesserung der Prozesse erkennbar wird. Ethikbewertung und Studienfinanzierung müssen zur Wahrung der Unabhängigkeit strukturell-institutionell klar getrennt bleiben.“
Treede betont damit den bisher reibungslosen Arbeitsablauf und die Zusammenarbeit zwischen den bestehenden nach Landesrecht geführten Ethik-Kommissionen. Um die, vom Ministerium zum Ziel gemachte, einheitliche Umsetzung von Ethikbewertungen zu schaffen, müsse man laut AWMF eher den aktuellen Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen (AKEK) erweitern. Ebendieser AKEK sei es, der ohnehin in regelmäßigem und auch kurzfristigem Austausch mit dem BfArM stehe, bisher alle zeitlichen Fristen zu Bewertungen eingehalten und seit 41 Jahren Kompetenz gesammelt und sich bewährt habe.
Ein weiterer Punkt, der Gegenwind von Ärzteschaft und Kassen hervorrief: der Plan, dass die Pharmaindustrie künftig nicht mehr verpflichtet sei, Erstattungsbeiträge für neue Arzneimittel zu veröffentlichen. Kurz: Preise für neue Wirkstoffe und entsprechende Arzneien bleiben geheim.
So sollen die Erstattungssätze nur mit dem GKV-Spitzenverband ausgehandelt werden, nachdem ein Medikament die Nutzenbewertung des G-BA erfolgreich durchlaufen hat – Ärzte hingegen würden über diese nicht informiert werden. „Ohne diese Transparenz tappen Ärztinnen und Ärzte im Dunkeln. Sie können ihre Auswahlentscheidung nicht unter Berücksichtigung der Kosten vornehmen“, sagt KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner. „Die Vereinbarung eines Ausgabevolumens in Unkenntnis der Preise ist unsinnig. Preisbezogene Steuerungsinstrumente einer wirtschaftlichen Verordnungsweise laufen damit ins Leere und müssen konsequenterweise aus dem SGB V gestrichen werden.“
Die Ärztevertreterin pocht damit auf die ohnehin geforderte Abschaffung der Regresse (DocCheck berichtete). Immerhin würden die Wirtschaftlichkeitsprüfungen für Verordnungen ausschließlich auf Basis dieser Kosten geführt. Der Vorwurf, dass dieser Entwurf nur internationalen Pharmakonzernen diene, nicht aber den Menschen hierzulande, kommt dazu in der Stellungnahme vom Verband der Privaten Krankenversicherungen: „Gemäß geltendem Recht ist der öffentlich gelistete Preis die Basis für die Berechnung der Handelsspannen von Großhändlern und Apotheken und für die Umsatzsteuer. Träte an die Stelle des verhandelten Erstattungsbetrages der selbst gewählte Listenpreis, würde dies unmittelbar zu Mehrausgaben für die Kostenträger führen; dies sind auch die Beihilfe und der Steuerzahler.“
Neben den negativen finanziellen Folgen hat AOK-Verbandschefin Carola Reimann auch den bürokratischen Mehraufwand durch eine entsprechende Geheimhaltung auf dem Schirm: „Das ist das Gegenteil des in der Pharmastrategie versprochenen Bürokratieabbaus. Wir müssten ganz neue Prozesse zur Rückerstattung von Überzahlungen an die pharmazeutischen Unternehmer inklusive eines neuen Mahnwesens aufbauen. […] Der Plan zur Einführung von Geheimpreisen ist daher ein Irrweg.“
Dass dies nun der Weg ist, Deutschland pharmazeutisch wieder nach vorn zu bringen, bezweifelt derweil selbst die Pharmaindustrie. Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa), urteilt: „Es ist gut, dass die Bundesregierung nun die Umsetzung ihrer Pharmastrategie angeht und mit dem Referentenentwurf die Forschung in den Fokus nimmt. Denn klinische Pharmaforschung im eigenen Land ist für die Versorgung von Patientinnen und Patienten sowie den Pharma-Standort Deutschland elementar. […] Der Referentenentwurf weist hier in die richtige Richtung, springt aber noch zu kurz, um Deutschland wieder in die internationale Spitzengruppe zurückzubringen.“
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