Oft verunsichern wir Patienten mit unseren Worten. Wir denken nicht darüber nach, „fachsimpeln doch nur“ oder lassen uns von unseren Emotionen leiten. So kommts auch dazu, dass sich eine Patientin Sorgen macht, weil sie ein Pankreas hat.
Ich war schon vor einigen Jahren darauf eingegangen, dass unsere privaten Erfahrungen auch einen beruflichen Effekt haben. Das hat sich für mich nicht geändert – heute möchte ich das noch etwas weiter ausführen.
Wir haben als Lehrpraxis bei uns häufig Studenten für Famulaturen/Blockpraktika oder das praktische Jahr. Ich finde das toll, weil ich den Studenten unseren wunderschönen Beruf zeigen kann und man damit selbst auch immer schaut, dass man auf dem neuesten Stand bleibt. Andererseits ergibt sich dabei manchmal ein Problem: Man lernt im Studium vor allem das theoretische Wissen, teils auch praktische Fähigkeiten wie Blutabnehmen – aber meiner Erfahrung nach sehr wenig über Arzt-Patienten-Interaktion. Was macht es mit meinem Patienten, wenn ich bestimmte Dinge sage oder mache?
Zum Beispiel beim Ultraschall: Ich sage den Patienten vorher, dass ich teilweise mit den Studenten „Fachchinesisch“ rede, betone aber immer wieder im Gespräch, dass all das, was ich sehe, normal ist. Auch da die persönliche Erfahrung, dass mich eine Patientin im Krankenhaus mal fragte, ob sie sich Sorgen machen müsse, weil sie ein „Pankreas“ habe; das habe sie beim Ultraschall gehört und da sei unheimlich lange geschallt worden. Ich konnte sie beruhigen, dass das nur ihre Bauchspeicheldrüse ist, aber deswegen achte ich sehr auf gute Kommunikation bei so etwas.
Problematischer ist, wenn der Student plötzlich Begriffe in den Raum wirft, die mir zwar durch den Kopf gehen, aber die ich noch nicht aussprechen möchte, weil ich weiß, dass sie den Patienten unnötig erschrecken. Wenn sie geäußert werden, muss ich was dazu sagen und das kann ein ziemliches Gewurschtel geben. Nehmen wir beispielsweise eine Raumforderung in der Leber, die ich sicherheitshalber z. B. mit einer Kontrastmittelsonographie abklären lassen möchte, um ganz sicher zu sein, die aber wahrscheinlich gutartig ist (atypisches Hämangiom, FNH, etc.). Plötzlich kommt von studentischer Seite die Frage: „Aber das kann jetzt auch eine Metastase sein, oder?“
Leider sehen nicht alle, was sie damit im Patienten auslösen. Mein erster Schritt ist dann direkt, nochmal deutlich zu erklären, dass ich mir relativ sicher bin, dass es gutartig ist und dass wir Mediziner ein seltsames Verhältnis zu Wahrscheinlichkeiten haben („häufig“ entspricht bei Nebenwirkungen < 10 % – wer bitte nimmt einen Regenschirm mit, wenn es mit 90%iger Sicherheit nicht regnet?).
Ich versuche, diesen psychologischen Effekt unserer Worte immer wieder mit den Studenten frühzeitig anzusprechen. Dass der Patient jetzt die ganze Zeit das Wort Krebs im Hinterkopf hat und ihm das unnötigen Stress macht. Aber mein Eindruck ist, dass das am besten bei den Leuten läuft, die auch schon mal ernsthafter als Patient irgendwo gelegen haben, oder mehr Lebenserfahrung mitbringen. Grundsätzlich halte ich es für sinnvoll, dass man im Studium lernt, auch auf die emotionale Seite der Interaktion zu achten.
Besser den Patienten bei seiner Behandlung nach seinem Urlaub zu fragen, als 15-mal zu betonen: „Keine Angst, das tut jetzt nicht weh!“ Das Gehirn hört den Begriff „Angst“ und die Verneinung fällt oft hintenüber. Deswegen versuche ich, bejahende Botschaften zu verwenden. „Es ist alles normal“, statt irgendwelche Verneinungen. Das gilt auch für „positiv vs. negativ“. „Das Testergebnis war negativ“ kann ja erwünscht sein (siehe Corona), aber führt schneller zu Verwirrung als: „Es war alles in Ordnung bei dem Test.“
Ein anderer Aspekt ist zusätzlich wichtig: Eigene Schicksalserfahrungen können uns unsensibler den Patienten gegenüber machen – auch wenn mir das insgesamt seltener begegnet ist. Zum Beispiel dann, wenn man anfängt, sein eigenes Leid mit dem der Patienten zu vergleichen.
Ein Kollege hat vor kurzem selbst einen schweren Schicksalsschlag erlitten – seine Frau ist nach kurzer, sehr schwerer Krankheit verstorben. Wir Niedergelassenen sind ja „selbst und ständig“ und neigen deswegen dazu, einfach weiterzumachen, egal, was passiert. So auch er. Keinen Monat geschlossen, irgendwie weitergemacht. Müssen wir ja auch eigentlich, sonst kommt kein Geld rein und die Patienten werden nicht versorgt. Das Problem: Wir geben uns selbst keine Möglichkeit, zu heilen. Und wenn man selbst gerade noch im Schmerz gefangen ist, erscheinen dann viele Erkrankungen der Patienten wie Pillepalle.
Das Problem ist: Leid lässt sich nicht vergleichen. Meiner Erfahrung nach hat der Mensch eine absolut subjektive Leidensskala, die sich immer nach dem heftigsten erlebten Ereignis eicht. Das heißt, jemand, dessen größtes Problem bisher war, dass sein Auto kaputt war, als er ins Kino wollte, empfindet das als großes Leid. Natürlich kommt das Menschen, die Angehörige verloren haben, wie absoluter Hohn vor – aber ich fürchte, so sind Menschen nun mal.
Klar muss man bestimmte Dinge auch mit den Patienten thematisieren – etwa, wenn ich nach AU für eine Woche gefragt werde, weil das geliebte Haustier gestorben ist, was ich persönlich auch grenzwertig finde. Das spreche ich dann mit den Patienten an und versuche, die ablenkende Wirkung von Arbeit zu betonen, womit die Leute meiner Erfahrung nach gut klarkommen. Aber das geht natürlich deutlich schlechter, wenn die eigenen Wunden noch frisch sind und man selbst emotional von solchen Dingen getriggert wird. Das führt dann schon mal zu unschönen Wortwechseln, weshalb dann das Arzt-Patienten-Verhältnis auch nachhaltig geschädigt werden kann, weil beide aus der emotionalen Verwundung heraus sprechen und keiner mehr den anderen wirklich hören kann.
Was tun? Eine wirkliche Lösung weiß ich nicht. In meinem Kurs für psychosomatische Grundversorgung wurde damals auch angesprochen, was die Worte des Patienten in mir als Arzt auslösen. Das war für mich ein damals neuer Gedanke, der mir aber heute oft hilft, zu erkennen, was mein Gefühl ist und was vom Patienten kommt. Aber ob das bei eigenen emotionalen Ausnahmezuständen reicht?
Ich würde mir wünschen, dass es in solchen Notsituationen für Ärzte (und damit oft Selbständige) eine bessere Unterstützung gäbe. Supervision? Eine vermittelte personelle Unterstützung, die nicht zu gleichzeitigen finanziellen Sorgen führt? Denn es ist ja weiterhin so, dass die psychische Gesundheit von Ärzten eher stärker gefährdet ist als die ihrer Patienten. Ich weiß nicht, wie man das konkret am besten umsetzt und freue mich über eure Ideen in den Kommentaren. Ich glaube jedenfalls, dass man selbst halbwegs heil sein muss, um anderen beim Heilen helfen zu können.
Bildquelle: Nik, Unsplash